Читать книгу CLOWNFLEISCH - Tim Curran - Страница 8
Kapitel 4
ОглавлениеEs ist alles Tubbs Schuld, und Gina hat bereits beschlossen, dass er dieses Mal aus ihrem Haus ausziehen muss, sobald er wieder aus dem Knast kommt. Es ist ihr scheißegal, dass er ihr Bruder ist. Sie hat einfach keine Lust mehr, sich um einen Vierzigjährigen zu kümmern, der sich immer noch wie ein Teenager benimmt. Die Quelle ihrer schwesterlichen Nächstenliebe hat lange genug gesprudelt, nun ist sie ausgetrocknet wie ein Wüstencanyon.
Das ist schon das zweite Mal, dass er in den letzten anderthalb Jahren wegen Trunkenheit am Steuer eingebuchtet wurde, denkt sie, während sie darum kämpft, ihren Toyota trotz des unnachgiebigen Blizzards in der Spur zu halten. Dieses Mal behalten sie ihn garantiert für mindestens drei Monate da, und der Vollidiot hat jede Stunde davon verdient.
Was für ein Sturm!
Auf dem Hinweg nach Vermillion war es ja schon schlimm gewesen, aber nun ist die Straße kaum noch passierbar. Vor zwanzig Minuten hat sie noch einen Schneepflug gesehen, doch inzwischen liegen schon wieder über zehn Zentimeter Schnee. Wenn das so weitergeht, würde sie noch eine halbe Stunde bis nach Craw Falls brauchen – falls sie überhaupt jemals dort ankommt.
Danke, Tubb. Vielen Dank auch!
Sie kann sich lebhaft vorstellen, wie der Trottel gerade in einer gemütlichen Sammelzelle sitzt und mit den anderen Delinquenten Zigaretten raucht, während sie hier quasi um ihr Überleben kämpft. Natürlich hätte sie gar nicht nach Vermillion fahren müssen. Tubb und seine blöde Sucht hätten auch bis Montag warten können, aber ihr blöder Helferkomplex hatte schließlich wie immer gewonnen. Das hatte sie zwölf Jahren katholischer Mädchenschule sowie einer Mutter, die das eigene Leiden zur Kunstform entwickelt hatte, zu verdanken. In einem tobenden Blizzard den ganzen Weg nach Vermillion zu fahren, nur um ihrem geliebten Sohn eine Stange Kippen zu bringen, wäre garantiert ganz genau das, was sie getan hätte. Also muss Gina es auch tun, denn alles andere wäre undenkbar. Schließlich ist das Märtyrertum in der Keller-Familie so eine Art Wettkampf.
Ich liebe dich, Mom, und ich vermisse dich jeden Tag, aber ich bin es wirklich leid, immer krampfhaft zu versuchen, noch mehr zu leiden als d… Der Wind trifft den Wagen plötzlich wie eine Tsunamiwelle und Gina klammert sich so fest sie kann, am Lenkrad fest, damit es ihr nicht aus der Hand gerissen wird. Der Toyota rutscht nach rechts und kippt dann etwas nach links, als er über den vereisten Straßenrand rutscht. Als sie schon kurz davor ist, im Graben zu landen, bekommt sie den Wagen endlich wieder unter Kontrolle.
Mein lieber Herr Gesangsverein, das war aber knapp.
Der Wind peitscht über die weiten Felder und wirft unablässig eine Art weißen Vorhang auf die Frontscheibe des Wagens. Die Wischer laufen bereits auf Hochtouren, um das Glas einigermaßen freizuhalten. In den Kegeln des Fernlichtes tanzen die weißen Flocken, als würde man unaufhörlich eine Daunendecke ausschütteln.
Gina kneift die Augen zusammen, um herauszufinden, wo sie ist.
Sie hat schon seit einer Weile kein anderes Auto mehr gesehen und die Straße ist ein jungfräuliches weißes Band, das am Rand in die umliegenden Felder übergeht. Zögerlich nimmt sie den Fuß vom Gas. Es ist unmöglich, zu sagen, ob sie überhaupt noch in ihrer Spur ist, oder schon im Gegenverkehr. Der Toyota schlingert um eine Kurve, als der Schnee ihre Fahrt schließlich zum absoluten Blindflug macht. Die Sichtweite beträgt jetzt nicht einmal mehr zehn Meter.
Dann sieht sie plötzlich Scheinwerfer. Sie halten genau auf sie zu, und das mit einer irren Geschwindigkeit. Scheiße!
Sie muss tatsächlich die Mittellinie überquert haben und nun kommt ein Laster genau auf sie zu. Der Trucker lässt sein mächtiges Horn ertönen, während Gina von absoluter Todesangst übermannt wird. Wenn sie das Steuer jetzt zu schnell herumreißt, werden die Reifen ihre Haftung verlieren und sie wird frontal mit dem LKW zusammenstoßen. Also dreht sie, so vorsichtig es geht, am Lenkrad und schafft es gerade so, an dem entgegenkommenden Wagen vorbei. Es ist ein Tieflader, der mit Kieferstämmen beladen ist. Es sind nur wenige Zentimeter, die zur absoluten Katastrophe gefehlt haben. Wenn man eine Orange zwischen die beiden Fahrzeuge geklemmt hätte, wäre diese nun geschält. Sie kann von Glück sagen, dass der Truck bei seinem Ausweichmanöver nur eine riesige Ladung Schnee abgeworfen hat, die ihren kleinen Wagen beinahe in den Graben befördert hätte.
Die nächsten zwanzig Minuten sind dankbarerweise deutlich ruhiger.
Schließlich kämpft sich der Toyota über eine Kuppe und Gina kann Craw Falls in dem Tal vor sich sehen. Die Lichter der Stadt funkeln wie auf einem kitschigen Gemälde und das Ganze wirkt beinahe wie eine Fata Morgana in der Wüste, denn innerhalb von Sekundenbruchteilen ist die Aussicht wieder im Blizzard verschwunden.
Ich bin fast zu Hause, denkt sie. Bald bin ich da.
Als sie nur noch fünf Minuten vom Stadtrand entfernt ist, rollt sie einen Hügel hinunter und muss sich anschließend durch zehn Zentimeter hohen Schnee kämpfen, der die Straße komplett bedeckt.
In diesem Moment tritt eine Gestalt in ihren Scheinwerferkegel. Sie schreit erschrocken auf und tritt auf die Bremse. Der Toyota schaukelt hin und her, rutscht aber auf dem gefrorenen Untergrund beinahe ungebremst weiter. Es gibt ein grauenhaftes, dumpf klingendes Geräusch, als die Person von der Stoßstange erfasst und dann ins Schneegestöber geschleudert wird.
Das Nächste, was Gina mitbekommt, ist, dass der Toyota bis zur Windschutzscheibe in einem Schneehaufen steckt. Sie legt den Rückwärtsgang ein, aber die Räder drehen einfach durch. Sie versucht sich zu beruhigen, schaltet die Warnblinkanlage an und öffnet dann unter hohem Kraftaufwand die Tür. Anschließend torkelt sie in den Sturm hinaus.
Der eiskalte Wind peitscht auf sie ein und sofort fühlt sich ihr Gesicht taub an.
Ihr ganzer Körper zittert, doch nicht nur wegen der Kälte. Sie hat jemanden angefahren, und es gibt absolute keine Chance, dass diese Person noch einmal aufsteht. Sie muss sofort die 911 wählen und die Leiche suchen. Allein der Gedanke daran, lähmt sie, denn sie hat ganz genau gesehen, wen sie gerammt hat, oder besser gesagt, was. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.
Sie hat einen Clown überfahren!