Читать книгу CLOWNFLEISCH - Tim Curran - Страница 27
Kapitel 23
ОглавлениеStan steuert seinen Jeep mit dem Vierradantrieb vorsichtig über die schneebedeckten Straßen. Er denkt immer noch fieberhaft über das nach, was er zu Flo gesagt hatte. Es schien sie ja nicht wirklich zu interessieren, aber sie interessiert sie ehrlich gesagt auch für gar nichts außer für Dollarscheine. Sie war eben eine typische Geschäftsfrau. Aber das war ihm egal. Er hatte es hier mit einer Goldmine zu tun, da war er sich sicher. Er musste es nur richtig anstellen. Stan wollte natürlich nicht, dass noch weitere Menschen von einem durchgeknallten Clown ermordet wurden, aber wenn es sowieso passierte, warum sollte er dann kein Geld damit verdienen? Er musste nur darauf kommen, wie er es anstellen konnte. Denk nach!
Wenn da draußen gerade wirklich ein Mörder unterwegs ist, dann würde derjenige, der ihn zur Strecke bringt, doch bestimmt als Held gefeiert werden, und diesen Heldenstatus könnte man dafür nutzen, um ein besseres Leben zu haben. Möglicherweise genau das Leben, das Stan sich schon immer erträumt hat, denn er will zwei Dinge. Er will Ansehen und Geld haben, und zwar jede Menge von beidem, damit er endlich ein großer Mann ist, ein echter Macher. Außerdem will er ein Buch schreiben. Ein wirklich gutes. Eines, das die Leute lesen wollen. Und genau das hier könnte seine Chance sein. Ein Krimi, geschrieben von einem Taxifahrer, der bei den Clown-Morden direkt vor Ort war. Das ist gut. Das gefällt ihm. Er hat schon immer eine fruchtbare Fantasie, und damit könnte er sie endlich perfekt nutzen.
Das Whistle Stop befindet sich genau auf der anderen Seite von Craw Falls. Bei normalem Wetter wäre er innerhalb von fünf Minuten dort, aber nicht bei diesem Scheißblizzard. Er kommt nur im Kriechtempo voran und schätzt, dass es bestimmt zwanzig Minuten dauern wird bis dorthin, vielleicht sogar mehr. Der Wind bläst wie verrückt und überzieht alles mit Schnee, sodass Häuser und Bäume aussehen wie Eisskulpturen. Die Schatten tanzen und Wirbelwinde aus Schneeflocken jagen über die Fahrbahn. Stan hat die Scheibenwischer auf höchster Stufe und sie kommen trotzdem nicht hinterher. Die Lichtkegel sind mit unendlich vielen Flocken gefüllt. Was für eine Nacht.
Was für eine beschissene Nacht.
Clowns!
Stan hat nie Angst vor Clowns gehabt. Für ihn sind Clowns einfach nur Clowns, aber manche Leute werden regelrecht hysterisch, wenn es um das Thema geht. Ob dahinter eine echte Phobie steckt oder die Leute sich das nur einreden, ist seiner Meinung nach reine Spekulation. Seit Stephen King dieses Buch über Pennywise geschrieben hat – Stan hat es sogar zweimal gelesen – und die Filme, die danach herausgekommen sind, haben auf einmal alle möglichen Leute eine Clown-Phobie, die vorher ihr ganzes Leben noch nie über Clowns nachgedacht haben. Das ist doch alles reines Marketing und blanker Hype, mehr nicht. Die meisten Leute wissen doch gar nicht, was sie mögen, lieben, hassen oder fürchten sollen. Also sagt man es ihnen. Wenn man es schafft, genug Interesse zu generieren, stehen die Leute doch für jeden Scheiß Schlange. Ganz egal, für was. Die wollen es doch nicht anders, als dass man die Entscheidungen für sie trifft. Deswegen verkauft McDonald's auch Unmengen an Hamburgern, die Songs in den Top 40 verkaufen sich millionenfach und im Fernsehen werden am meisten die Sendungen geschaut, die von den Zeitschriften gelobt werden – wahrscheinlich, weil heimlich Geld dafür gezahlt wird. Jeder, der halbwegs eigenständig denken kann, weiß doch, dass das alles nur Show und Konditionierung ist. Jeder weiß, dass es wirklich überall bessere Hamburger gibt als bei McDonald's, viel bessere Musik als in den Charts und viel bessere Filme, als die Scheiße, die Hollywood einem reindrückt. Außerdem gibt es auch massenhaft bessere Bücher als die, die ständig auf den Bestseller-Listen stehen. Nur haben die meisten Leute offenbar nur ein halbes Gehirn, und genau diese Leute wird Stan melken bis zum letzten Tropfen.
Schließlich muss man dazu kaum etwas leisten. Man muss nur dafür sorgen, dass die Leute darüber reden, indem man es oft genug in den sozialen Medien postet, zwei, drei Dinge auf Twitter dazu schreibt und Bingo. Dann ist man auch schon so gut wie reich. Stan ist alt genug, um zu wissen, dass die berühmtesten Schauspieler, Regisseure und Autoren nicht etwa die Besten sind, sondern einfach nur die Lautesten und Aufdringlichsten.
»So was wie ein gutes Produkt existiert gar nicht, es gibt nur gutes Marketing«, zischt er.
Aber zurück zu den irren Clowns.
Natürlich hat er sich den Teil, dass Ritchie Chandliss die Kehle herausgerissen worden war, nur ausgedacht. Aber solche Übertreibungen gehören einfach zum guten Marketing dazu. Seit er das mit Ritchie gehört hat, hat Stan jeden damit vollgequatscht, den er getroffen hat, und innerhalb weniger Stunden hat er bereits den halben Ort mit den wildesten Gerüchten versorgt. Flo hat er erzählt, dass Ritchie die Kehle rausgerissen wurde, ein paar alten Damen von der Baptistenkirche hat er erzählt, dass dessen Körper teilweise aufgefressen wurde, und mehrere Leute hat er darüber in Kenntnis gesetzt, dass Ritchies Kopf verschwunden ist.
Bei diesem Gedanken lacht er laut auf.
Ich habe offenbar schon die ganze Nacht mein Buch vermarktet, obwohl ich die Idee dazu zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht hatte. Er muss schon wieder lachen. Aber wie kann er den Ball jetzt am Laufen halten? Das ist die große Frage. Es muss doch einen Weg geben. Das Ganze ist nur eine Frage der richtigen …
Oh heilige Mutter Gottes!
Er tritt auf die Bremse und rutscht ein paar Meter über den Schnee. Irgendein irrer Hurensohn ist gerade eben einfach auf die Straße gesprungen und er hat diese arme Sau beinahe totgefahren. Der Schnee fliegt in dicken Schichten um ihn herum und er kann kaum etwas sehen.
Dieser Jemand steht jedoch immer noch da. Es ist ein Clown! Stan spürt, wie sich eine Gänsehaut in prickelnden Wellen über seinen gesamten Körper ausbreitet, bis hin zu seinen Fußsohlen.
Der Clown steht einfach nur regungslos im Lichtkegel der Scheinwerfer. Er trägt einen übergroßen Anzug, der aussieht wie ein grauer Sack, an dem vorn grüne Puschel genäht sind, dazu hat er eine gelbe Halskrause um. Das ganze Outfit ist mit dunkelroten Klecksen überzogen, als hätte er Blut ausgekotzt. Auch sein Kinn glänzt rot. Sein Gesicht ist lang und schmal wie eine Mondsichel und hat einen fiesen Gelbton. Seine Lippen hingegen sind blutrot, ebenso wie die Spitze seiner lang gezogenen Nase. Übertrieben gewölbte, rote Augenbrauen reichen weit nach oben auf seine wie zusammengenäht aussehende Stirn. Sich verästelnde, schwarze Venen pulsieren direkt unter seiner Haut.
Der Clown starrt Stan mit silbernen Augen an, die aus vernarbten, schwarzen Höhlen hervortreten. Dann verzerrt sich sein Mund zu einem Grinsen. Seine Lippen geben den Blick auf eitergeschwängertes Zahnfleisch frei, aus dem lange, rotbefleckte Hauer ragen, die wie gemacht dazu scheinen, warmes, weiches Fleisch zu zerfetzen.
Das ist kein Mensch, sagt eine panische Stimme in Stans Kopf. Das ist kein geschminkter Kerl in einem Kostüm. Das ist ein gottverdammtes Monster!
Stan ist sich bewusst darüber, dass er etwas tun muss.
Er weiß, dass ihn nur noch wenige Sekunden von einem grausamen Tod trennen, aber sein Körper will einfach nicht reagieren. Seine Muskeln bewegen sich nicht und seine Gliedmaßen sind so taub, als wären sie erfroren.
Tu etwas, fordert ihn die Stimme auf. Und zwar sofort!
Der Clown macht jetzt zwei steife Schritte auf den Wagen zu. Er streckt seine grauweißen Hände mit den langen, skelettartigen Fingern von sich, die in den blutroten Klauen eines Monsters enden. Das Fleisch ist überall zerfetzt und gelbe Knochen haben sich einen Weg nach außen gebahnt. Er kommt immer näher, legt den Kopf schief und macht dabei kehlige Geräusche, während er sadistisch grinst. Offenbar freut er sich schon darauf, seine Zähne in Stan zu versenken. Sein roter Haarkranz bewegt sich im Wind, wobei jede Strähne ein Eigenleben zu haben scheint, als wären es zappelnde Blutegel.
Stan tritt das Gaspedal bis zum Boden durch.
Für eine oder zwei Sekunden drehen die Räder einfach wirkungslos durch und der Jeep rutscht nur ein paar Zentimeter zur Seite, doch dadurch gelangen die Reifen wieder auf festeren Untergrund und das Geländefahrzeug schießt nach vorn, sodass es den Clown einfach niedermäht, der daraufhin wutentbrannt aufschreit.
Stan lässt das Monster hinter sich und geht nicht vom Gas, bis er das Whistle Stop erreicht, wo er schräg auf den Bürgersteig fährt, bis er den Wagen krachend in einen Schneehügel setzt.
Dann rennt er hinein, und bevor einer der Stammgäste auch nur fragen kann, was los ist, fängt er an, einen Whiskey-Shot nach dem anderen in sich hineinzuschütten.