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Kapitel 3

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Obwohl er nun schon seit zehn Jahren der Sheriff von Clay County ist, weiß Will Teague ganz genau, dass ihn die meisten der alten Leutchen hier im Ort immer noch den Neuen nennen. Genau wie sein Vorgänger steht Will immer noch im Schatten von Lester Pease, der entweder der beste Cop aller Zeiten gewesen sein musste, oder das größte Arschloch, das je einen Sheriffstern getragen hatte – je nachdem, wen man fragte.

Lester war 1993, nach stolzen vierzig Dienstjahren als County-Sheriff in Rente gegangen. Sein Nachfolger war Benny Lacks gewesen, der dieses Amt innehatte, bis Teague ihn 2005 abgelöst hatte. Doch selbst jetzt, über zwanzig Jahre später, war Lesters Glanz noch immer nicht verblasst – sein Schatten hingegen wurde immer länger. Für die Rentner in Craw Falls war Lester Pease augenscheinlich einfach nur der beste und härteste Cop, den die Welt je gesehen hatte, zu gleichen Teilen Dirty Harry und John Wayne. Ein pflichtbewusster, fleißiger Teufelskerl, der immer ganz genau gewusst hatte, was im Ort los war. Sobald irgendeine metaphorische Scheiße passierte, hatte er offenbar sofort mit der Schaufel daneben gestanden und hatte klar Schiff gemacht.

Die Frage war nur: Was an diesem Bild entsprach der Wahrheit und was davon war von Lester einfach nur vorgegaukelt worden? Ehrlich gesagt, war das im Nachhinein schwer zu sagen.

Als der Blizzard schlimmer wird, fährt Teague gerade die Nebenstraßen der Stadt ab und denkt über die Dinge nach, die außer ihm und Lester niemand weiß … die Veruntreuung von Geldern, die frisierten Statistiken, die gefälschten Beweise … und noch ein halbes Dutzend anderer unangenehmer Wahrheiten, die er damals, als Lesters Hilfssheriff, über seinen Boss erfahren hat. Benny Lacks hat es nie herausgefunden, sonst hätte er Les garantiert eingebuchtet. Teague hingegen hätte das natürlich tun können, doch er hatte es dem alten Mann durchgehen lassen, denn unterm Strich war durch Lesters schlampige Ermittlungsarbeit niemand je zu ernsthaftem Schaden gekommen. Nun war Les tot, deshalb breitete er einfach den Mantel des Schweigens über die Vergangenheit, auch wenn einiges davon einen wirklich üblen Nachgeschmack bei ihm hinterlassen hatte. Bis zu seinem Todestag hatte Les genau gewusst, dass Teague ihn durchschaut hatte, und wann immer sich die beiden getroffen hatten, hatte er es kaum fertiggebracht, Teague in die Augen zu schauen. Sein langer Schatten war nach und nach bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft.

Es ist schon seltsam, dass Will ausgerechnet jetzt darüber nachdenkt, während unbändige Winde den Schnee durch die nächtlichen Straßen treiben, aber manchmal holt einen die Vergangenheit eben ein.

Auf seiner Fahrt sieht der Sheriff nur wenige Menschen, was gut ist, doch auf der Hauptstraße sind eine Menge Autos geparkt, was schlecht ist, weil der Schneepflug hier bald durch muss. Das bedeutet, er muss sämtliche Kneipen abklappern und den Saufnasen sagen, dass sie gefälligst ihre Vehikel wegfahren sollen, und das würde ihnen garantiert nicht gefallen. Sie werden Ärger machen, das weiß er ganz genau.

Aber das gehört nun mal zu seinem Job.

Die Schaufel wurde weitergereicht und nun muss er die Scheiße wegschaufeln.

Er parkt vor einer Bar namens Broken Bottle, steigt aus und bleibt für einen Moment unter der wild im Wind schwingenden Werbetafel stehen, um sich in die richtige Stimmung für seine Aufgabe zu bringen. Wenn das folgende Gespräch die unangenehmste Situation ist, die ihn heute Nacht erwartet, war das doch eigentlich in Ordnung, denn es gibt deutlich schlimmeres, sagt er sich.

Damit hat er verdammt recht, denn schon bald wird er etwas bedeutend Schlimmeres kennenlernen.

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