Читать книгу Die Biologie der Hunde - Tim Lewis - Страница 30
Chromosomen
ОглавлениеStellen wir uns nun einmal jedes Chromosom als ein Buch vor. Vergessen Sie dabei nicht, dass Hunde davon achtundsiebzig an der Zahl in jeder Zelle haben. Alle Säugetiere haben im Grunde ungefähr die gleiche Menge an DNA, nur ist diese in verschiedene Stückzahlen aufgeteilt. Das sind die Chromosomen, die ich erwähnt habe. Ich verallgemeinere hier, damit diejenigen von Ihnen, die Ahnung von Molekularbiologie und Biochemie haben, jetzt die Augen verdrehen können, weil ich Polyploidie, sich schnell wiederholende Segmente usw. einfach überspringe. Also zurück zu den Chromosomen, die wir uns als Bücher vorstellen wollten. Da „ein Buch“ heute als archaischer und selten verwendeter Gegenstand gilt, nennen wir es einen alten, pflanzenbasierten analogen Speicher. Sie halten gerade eines davon in Ihren Händen. Da Sie ja nun eines hier haben, bleiben wir auch bei der Bezeichnung „ein Buch“.
Stellen Sie sich einen Stapel von achtundsiebzig Büchern vor, die meine Hündin auf ihrer genetischen Ebene in einer einzigen Zelle ihres Körpers darstellen. Wir nennen diese Hündin „Wish“. Offiziell heißt sie MACH2 Brighteye Fairy Tail und es folgen noch eine lange Reihe an Titeln nach. Das ist ein viel zu langer Name zum Aussprechen, wenn man sie von der Jagd nach einem Eichhörnchen zurückrufen möchte. Genau wie das bei Kampfpiloten aus ähnlichen Gründen der Fall ist, hat sie einen Rufnamen bekommen: Wish. Wie wir uns Wish als einen Hund vorzustellen haben, ist klar. Aber zunächst stellen wir uns Wish als einen Haufen vor, der aus zehn Billionen Zellen besteht. Wish hat achtundsiebzig DNA-Bücher in jeder Zelle ihres Körpers. Die Hälfte der Bücher stammte von Wishs Mutter Brighteye Amazing Grace, die andere von ihrem Vater Offon Remingtons Blue Steel. Obwohl die Chromosomen alle dieselbe Farbe haben, nehmen wir zur Veranschaulichung an, dass die von Remington gelieferten Bücher blau und die von Grace erstellten Bücher rosa sind. Meine Wish hat neununddreißig blaue Bücher von ihrem Vater und neununddreißig rosa Bücher von ihrer Mutter. Die Bände sind von 1 bis 39 nummeriert. Band 1 von ihrer Mutter oder ihrem Vater hat Kapitel oder Gene, die für einen Mix aus Dingen codieren. Diese sind nicht nach ihren Funktionen in die 39 Bücher eingeordnet. Die Natur tendiert nicht zu einer solchen Ordnung und eine solche Organisation wäre auf lange Sicht katastrophal. Das erste Buch könnte die Form von Fellflecken, Augenfarbe und Anweisungen zur Pilzbekämpfung und Hunderte anderer Anweisungen enthalten. Band 2 enthält möglicherweise Anweisungen zum Anpassen der Körpertemperatur und der Haarlänge sowie der Anzahl der Zehen einer Pfote. Band 1 von Grace hat die gleichen Kapitel mit Arbeitsanweisungen wie Band 1 von Remington. So geben die rosa und blauen Kopien von Band 1 für jeden Hund die gleichen Anweisungen für die gleichen Dinge.
Aber Band 1 bei Hunden unterscheidet sich von Band 1 bei Menschen. In der gesamten Büchersammlung sind die gleichen Basiseigenschaften alle vorhanden. Allerdings ist der Instruktionssatz an unterschiedlichen Stellen aufgebrochen. Dieselben Ideen, aber andere Anleitungen. Meistens ist die Reihenfolge des Materials gleich, aber es ist keineswegs identisch. Das blaue Set ist auf den meisten Seiten identisch mit dem rosa Set, aber einige Kapitel weichen ab. Genau diese Unterschiede sind es, die meinen Hund Wish von ihrer Mutter Grace und ihrem Vater Remington unterscheiden. Und ein einzelnes Buch, nämlich Band Nr. 39, ist ganz anders. Wish hat die gleiche Version von Grace und Remington bekommen, also ist sie von den Chromosomen her ein Mädchen. Wären sie unterschiedlich gewesen, wäre sie ein Junge. Wahrscheinlich würde man sie immer noch Wish nennen, aber das spielt wohl kaum eine Rolle.
Bei Säugetieren bekommen Weibchen, wenn man es chromosomal betrachtet, alle die X-Ausgabe von ihrer Mutter und ein weitere X-Ausgabe von ihrem Vater. Männchen bekommen, chromosomal betrachtet, die X-Ausgabe von ihrer Mutter und die Y-Ausgabe von ihrem Vater. Grace, die Mutter, war XX. Remington, der Vater, war XY. Wish, mein Hund, hat ein X von Mutter Grace und ein X von Papa Remington. Mütter können nur X Kopien weitergeben, denn das ist alles, was sie haben. Die Hälfte der Papa-Spermien hat ein Y, die Hälfte ein X.
Das alles ist ziemlich detailliert. Wenn Sie die nächste Überschrift unwiderstehlich finden, können Sie das hier ja überspringen und später darauf zurückkommen. Anderenfalls rate ich dazu, die letzten beiden Absätze noch einmal durchzulesen, und zwar langsam.