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Schon wieder Reproduktion

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Evolutionär gesehen ist der gesamte Organismus darauf optimiert, Kopien seiner selbst in die nächste Generation zu bekommen. Trotz all der Konzentration bisher auf dieses Thema, so ist es eben nicht dasselbe, wie Nachkommen zu haben. Setzen Sie sich gerade, halten Sie sich fest, denn ich bin im Moment dabei, Welpen als einzige Möglichkeit zur Reproduktion eines Hundes anzuzweifeln! Ich habe die Hälfte meiner Gene, die rosa Bände, von meiner Mutter. Und wie wir nun wissen, bekam ich nur die Hälfte ihrer Gene. Die andere Hälfte ging in ein anderes, weniger glückliches Ei, einen Polkörper, der vom Eierstock meiner Mutter resorbiert wurde. Ebenso bei Papas Genen, nur dass die andere Hälfte in einem Sperma endete, das das einzige große Rennen seines Lebens verlor. Also für meine Mutter sind mein Bruder und ich jeweils eine halbe Kopie von ihr. Nehmen wir meine Schwester noch hinzu und wir erhalten eineinhalb Kopien meiner Mutter. Wenn meine Schwester die Hälfte der Gene meiner Mutter hat und ich die Hälfte der Gene meiner Mutter und die Hälften zufällig geteilt wurden, dann ist die Hälfte der Gene meiner Mutter, die ich von meiner Mutter bekommen habe, in meiner Schwester. Eine halbe Hälfte ist eine Viertel, bitte merken Sie sich diesen Punkt. Am besten behalten Sie jene Punkte, da dies der einzige Punkt dieses ganzen Absatzes ist. Meine Schwester hat ein Viertel der gleichen Gene von unserer Mutter wie ich und ein Viertel der gleichen Gene, die ich von meinem Vater habe. Meine Schwester ist genetisch die Hälfte von mir. Mein Bruder ist die Hälfte von mir. Für eine Genpool-Zählung sind sie mir gleich. Soweit die Evolution funktioniert, ist es egal, ob ich Kopien von mir in die nächste Generation bringe, ob ich den Kindern meiner Geschwister zum Überleben verhelfe oder ob ich meinen eigenen Kindern beim Überleben helfe. Sie sind jedes ein Viertel von mir. Zwei ihrer Kinder sind genetisch gleichbedeutend einem meiner Kinder. Denken Sie daran, dass Dinge, die Kopien von sich selbst erstellen, dazu neigen, mehr Kopien von sich selbst zu erstellen als Dinge, die dies nicht tun. Mutter Natur ist es egal, ob die Kopien bei meinen Kindern oder bei den Kindern meiner Verwandten sind. Ihr evolutionärer Erfolg wird in Kopien von jenen gemessen, die unter anderen Menschen verstreut sind, nicht in direkten Nachkommen.

Ihr genaues Genom existiert nur einmal in der Geschichte als Paket. Ja, genau Sie meine ich! Leider sind Sie, wie das frühe Hühnerei, nur die Art und Weise, wie Ihre Gene mehr Gene herstellen. Wenn dies das einzige Mal in der Geschichte ist, dass das Paket (Sie) existiert, kann es nicht sehr wichtig sein (natürlich ist es alles für Sie). Sobald dieser einzigartige Satz von Genen verschmutzt ist (durch die Paarung mit anderen vermischt), sind diese Nachkommen wirklich keine mehr oder weniger „Kopien von dir“, ob Sie ihnen tatsächlich beim Überleben helfen oder nicht. Kopien von Ihnen in die nächste Generation zu bringen, ist das ganze Ziel dessen, worum es im Leben geht, rein biologisch gesehen jedenfalls. Andere als Blutsverwandte zählen dabei nicht. Beachten Sie, dass die Nichte und der Neffe meiner Frau, also die Kinder ihrer Schwester, für mich nicht zählen, weil sie nichts von meiner eigenen genetischen Linie haben. Aber für meine Frau schon, da sie dieselbe gemeinsame Quelle haben, die Mutter meiner Frau, die ihre Großmutter ist.

Nun lassen Sie uns mal die Tim-Lewis-Kopien zählen:

Mein Bruder hat drei Kinder. Mein Bruder ist eine halbe Kopie von mir und jedes der drei Kinder ist eine Viertelkopie von mir. Die Seite meines Bruders besteht somit zu einunddreiviertel Kopien von Tim Lewis. Meine Schwester hat zwei Kinder und insgesamt ergeben sie eine Kopie von mir (mit jeder Nichte kommt ein Viertel hinzu, meine Schwester ist eine Hälfte). Ich bin eine vollständige Kopie von mir. Ich habe keine Eltern mehr, jeder hätte eine halbe Kopie von mir dazu beigetragen, wenn sie denn noch am Leben wären. Das sind sie aber nicht, also zählen sie hier leider nicht mit. Großeltern sind ein Viertelexemplar, aber von ihnen leben bei mir auch keine mehr. Hätte ich Kinder, wären diese jeweils eine Hälfte von mir. Ihre Kinder, meine nicht existierenden Enkel, würden jeweils ein Viertel von mir ausmachen. Ich habe also drei- und dreiviertel Kopien von mir, aber sie verteilen sich auf acht Menschen. Aus evolutionärer Sicht hätte ich weniger Erfolg (gemessen an den Kopien von Tim Lewis da draußen), wenn ich keine Geschwister, keine Nichten oder Neffen, sondern fünf eigene Kinder hätte. Oder, um es noch einmal klar zu sagen, weil es nicht intuitiv verständlich ist: Aus evolutionärer Sicht ist eigene Kinder zu haben nicht immer der beste Weg, Kopien von sich selbst in die nächste Generation zu bringen. Wenn ich fünf Kinder hätte, wäre eine Menge Essen zu beschaffen. Wenn Kopien von mir in den Kindern meiner Geschwister verteilt werden, kostet mich das lediglich ein paar Weihnachtsgeschenke, aber ich muss sie nicht jeden Tag ernähren. Evolutionär gesehen bin ich ein Parasit, da meine Familie Kopien von mir aufzieht, damit ich es nicht muss. Man könnte meinen, ich müsste meine eigenen Kinder haben, um in diesem evolutionären Wettbewerb erfolgreich zu sein, habe ich aber nicht.

Bei wildlebenden Wölfen scheint die Strategie, fünf Welpen zu haben, eine gute Strategie zu sein, mit der sie da draußen Kopien von sich selbst erschaffen. Und tatsächlich funktioniert das. Ein Wolf jedoch, der an der Installation von Systemen mitwirken könnte, mit denen sichergestellt wäre, dass eng verwandte Welpen besser überleben würden als seine eigenen Welpen, müsste keine eigenen produzieren. Das erfordert ein größeres Gehirn und eine Gesellschaft oder ein Rudel. Erkennen Sie, wohin das führt? Wie auch immer, die meisten meiner Schüler kommen durchschnittlich auf sieben bis zehn Kopien von sich selbst, wenn sie Eltern, Cousins, Geschwister und manchmal auch ein Kind mitzählen. Biologisch gesehen sind sie also alle erfolgreicher als ich, evolutionär fitter und besser darin, Kopien von sich selbst herzustellen.

Wenn ich sage, dass mein Bruder die Hälfte von mir ist, meine ich tatsächlich, dass wir von den 0,1% der DNA, die wir möglicherweise nicht teilen können, die Hälfte teilen. Für die anderen 99,9% ist er ganz ich, oder ich bin ganz er, so wie wir Menschen alle diese 99,9% teilen.

Rufen Sie sich einmal ins Gedächtnis, dass Sie genetisch einzigartig sind, es Sie nur einmal in der Geschichte genauso gibt, wie Sie sind und Sie tatsächlich gar nicht das darstellen können, worum es bei der Evolution geht. Gene sind ziemlich langlebig. Wir tragen sogar Neandertalergene in uns und haben parasitäre, von Viren eingetragene Gene in uns. Ich habe Sie sowas wie angelogen, was die Wichtigkeit der Kopienherstellung anbelangt. Für die Gene ist das Ei der Weg zu mehr Kopien der Gene. Für das Ei ist das Huhn der Weg, ein weiteres Ei zu produzieren, welches wiederum der Weg der Gene zu mehr Genen ist. Das Gen ist die primäre Einheit. Das Ei ist der Weg eines Gens, eine Kopie von sich selbst zu erstellen, und Gene, die Kopien von sich selbst erstellen, bestehen fort und vermehren sich. Gene, die sich in Chromosomen einhüllten, schnitten besser ab als solche, die dies nicht taten und stellten mehr Kopien her. Das Ei ist der Weg des Gens, mehr Kopien des Gens herzustellen. Das Huhn ist der Weg des Eis, mehr Eier zu produzieren, welche tatsächlich der Weg des Gens ist, mehr Gene zu produzieren. Wir sind eine Verschmelzung erfolgreicher Gene auf deren Weg durch die Geschichte. Diese sind aktuell in Ihnen, Ihrem Hund oder einem anderen lebenden Wesen verpackt und bestehen fort. Für wie lange? Nun, kein Gen überlebt länger als Sie, außer dasjenige, das in der erfolgreichen Eizelle oder dem Spermium ist, die Sie oder Ihre nahen Verwandten produziert haben. Hierzu kann ich Richard Dawkins „Das egoistische Gen“ nur wärmstens empfehlen.

Bevor Sie sich jetzt fragen, was mit Ihrem Hund ist, wenn es jetzt doch nur um die Gene geht: Dieses Genpaket – einzigartig und in einmaliger Zusammensetzung, historisch gesehen, dazu noch in Ihrem Hund – hat immerhin das Wesen geschaffen, das Sie so lieben und über das Sie mehr wissen möchten. Es spielt wirklich keine Rolle, dass das Gen nicht denken kann und dass Ihr Hund nur ein zufälliges Nebenprodukt sich selbst replizierender DNA-Abschnitte ist. Diese erschaffen wunderbare Organismen, die von Emotionen und Gedanken angetrieben werden. Das Ziel der Tour in diesem Buch ist es, genau zu wissen, wie dieses Paket funktioniert, damit der einzigartige DNA-Satz, der in der Ihren Hund ausmachenden Enzymtasche untergebracht ist, eine reichhaltige und lohnenswerte Zeit erleben kann, und zwar mit dem einzigartigen DNA-Satz in der Sie ausmachenden Tasche aus Enzymen. Auf Ihrer gemeinsamen Reise durch die Zeit.

All das ist ein sehr langer Weg für die Erklärung, dass vererbbare Merkmale bei Hunden erfolgreich dabei waren, Kopien von sich selbst zu erstellen, sodass sie in die nächste Generation gelangten. Wobei sie dem einzelnen betreffenden Hund selbst nicht immer nützlich sind. Eine Eigenschaft oder ein Gen, aufgrund dessen der Hund wahrscheinlich ein Menschenleben auf Kosten seines eigenen Lebens retten wird, funktioniert evolutionstechnisch gesehen dann, falls der Hund mit der Rettung dieses Menschen dazu beiträgt, dass mehr Kopien von ihm selbst (in Form naher Verwandter) bei dem Menschen leben werden, den er gerettet hat. Vergessen Sie nicht, dass hier gar keine bewusste Absicht vorhanden zu sein braucht. Hunde mit einem Gen, die einen Menschen unter Umständen retten, bei denen andere Geschwister in der Nähe waren, wie bei den früh domestizierten Hunden, würden trotz der negativen Auswirkungen auf sich selbst einfach erfolgreich sein. Um es genauer auszudrücken: Ein Gen, das in einem Organismus untergebracht ist, der den eigenen Tod verursacht, aber mit dem Ergebnis, dass andere Kopien des Gens überlebt haben, wäre ebenso erfolgreich wie eins, dessen „Wirts-Organismus“ überlebt und eigene Nachkommen produziert. Wir werden darauf zurückkommen, wenn wir gegen Ende unserer Touren einen Blick auf das Verhalten von Hunden werfen. Evolution ist nicht immer auf den ersten Blick verständlich, aber sie funktioniert und hat die Bühne für unsere Hunde bereitet. Ich habe Ihnen gerade eine der wichtigsten Entdeckungen von Zusammenhängen geschildert, die Menschen je gemacht haben. Dabei erwarte ich nicht, dass Sie es gleich beim ersten Lesen verstehen. Vielleicht kehren Sie später noch einmal zu dieser Textstelle zurück und lesen diesen Teil noch einmal. Langsam. Geben Sie sich Zeit, es in sich aufzunehmen. Wenn diese Gedanken sacken, wird das Ihre Welt erschüttern. Nehmen Sie sich in der Zwischenzeit eine Minute Zeit, um Ihren Hund zu knuddeln, denn das ist das Wichtigste. Unsere folgenden Touren werden viel konkreter sein. Aber sie alle bauen auf der etwas abstrakten Idee auf, dass Eigenschaften vererbbar sind sowie auf der Frage, warum Vielfalt existiert.

Wenn Sie den evolutionären Erfolg Ihres Hundes überprüfen wollen, so ist das Prinzip genau das gleiche. Ich habe viele Züchter argumentieren hören, wie erfolgreich ihre Zuchtlinie ist. Ich kann diesen Leuten nicht widersprechen, weil ich nicht weiß, wie sie Erfolg messen. Vielleicht in Geld. Vielleicht ist es die geografische Verteilung oder der Ruhm ihrer Hunde. Für Mutter Natur ist das einzige Maß für Erfolg Kopien des Hundes in der nächsten Generation – nicht, weil Kopien an und für sich gut sind, sondern einfach, weil Kopien eben Kopien sind. Selbst für uns mit unseren kastrierten Hunden ist der evolutionäre Erfolg von Belang. Erfolgreiche Kopien, die weitere gute Kopien herstellen, sind hervorragend an ihre Umgebung angepasst. Wenn es viele Kopien meines Hundes gibt, stehen auch die Chancen gut, dass das Genpaket ziemlich gut ist. Wish, unser 11-jähriger Border Collie, stammte aus einem Sechserwurf, wovon fünf noch immer am Leben sind. Es gab zwei weitere Nachzuchten derselben Eltern und jede davon zählt als volles Blutsgeschwister oder halbe Kopie von Wish. Sie ist die Tante unseres jüngsten Hundes Cricket. Das Sperma von Crickets Vater ist seit Jahren eingefroren, wer weiß also, wie viele ihrer Geschwister, Halbgeschwister und so weiter es geben mag. Gromit, unser Ältester, wurde adoptiert. Soweit wir wissen, könnte er auch ganz alleine dastehen im Universum. Oder vielleicht haben Sie inzwischen herausbekommen, dass wenn mein Kind die Hälfte von mir ist, ein blutsverwandter Cousin ein Achtel von mir ist und Sie, die zufällige Person, die diesen Absatz liest, immer noch 99,9% Ihrer DNA mit mir teilen. Und da wir alle genetisch verwandt sind, ist ein sehr kleiner Bruchteil Ihrer Gene auch mit meinen Genen identisch. Unter den 7,5 Milliarden Menschen da draußen gibt es viele Kopien von mir und ein bisschen von mir in allen lebenden Menschen. Und in mir sind auch eine Menge der Gene der Vorfahren meines Hundes, und die Gene meiner entfernten Vorfahren sind in meiner Hündin. Wir sind wirklich alle eine Familie.

Oh, und habe ich schon erwähnt, dass wir heute wissen, dass wir noch Neandertaler-Gene in uns tragen? Tatsächlich scheinen wir nur geringfügig von deren Genpool abzuweichen. Außer uns und ihnen gab es vier weitere Arten von Menschen (unsere Gattung, andere Arten als wir, aber wie Kojoten und Wölfe, die sich wahrscheinlich mit uns kreuzen können). Drei dieser anderen Arten lebten alle zur gleichen Zeit, in der wir vor zwanzig- bis dreißigtausend Jahren mit dieser Hundebeziehungskiste beschäftigt waren. Mindestens ein Buch behauptet, Hunde seien der Grund, warum wir die anderen drei Menschenarten, die Neandertaler in Europa und Westasien, die Denisova-Menschen in Asien und die Flores-Menschen (leider im Volksmund „Hobbits“ genannt) aus dem Feld geschlagen haben. Für den Fall, dass Sie es noch nicht mitbekommen hätten – es ist nur noch unsere Art da. War das der Hunde und unserer einzigartigen Partnerschaft wegen? Möglicherweise haben wir Hunden viel mehr zu verdanken, als wir zugeben möchten.

Noch viel zu oft hört man Leute sagen, sie würden nicht glauben, dass die Welt Milliarden von Jahren alt ist oder dass es Billionen von Sternen gibt oder dass es über sieben Milliarden Menschen gibt und dass sie mit ihrem einzigartigen Satz von Genen alleine dastehen. Manche Menschen fühlen sich dadurch bedeutungslos. Bei mir hat es den gegenteiligen Effekt. Es gibt zig Millionen Hunde – meiner ist der wertvollste auf dem Planeten. Zeit mag scheinbar endlos sein. Meine Zeit hingegen ist knapp, also ist jede Minute wichtig und jeder Moment unbezahlbar. Und zwar so sehr, dass ich jetzt meinen Hund zum Schwimmen in den Fluss mitnehmen muss, nur Cricket und ich. Wenn Momente wichtig sind, in diesem Meer von DNA und einem Ozean von Menschen in unendlicher Menge an Zeit, dann kann ich gar nichts Besseres tun, als meinem Hund eine Freude zu bereiten. Dieser sorgt sich um nichts von dem und erfüllt meine Momente so mit Hoffnung, Liebe und Glück. Bis gleich, nach dem Schwimmen sehen wir uns wieder.

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