Читать книгу Die Biologie der Hunde - Tim Lewis - Страница 36
Selektive Zucht und künstliche Selektion
ОглавлениеHaushunde, die Stars in unserem Leben, bestehen also aus einer Reihe von Wolfsboxen mit den Bänden, bei denen die von uns nicht erwünschten Teile ausgemustert worden sind. Wir haben sie rausgeworfen. In den letzten zwanzigtausend Jahren haben wir ständig Eigenschaften ausgemustert, die uns nicht gefielen, während wir die Eigenschaften, die wir mochten, durch langsames, mühsames Bearbeiten beibehalten haben. Egal ob uns diese gefielen oder nicht, wir mussten diejenigen Eigenschaften behalten, die das Überleben des Hundes sicherten. Falls der Hund starb, so ging mit ihm dieser ganze Satz von Büchern (Genen) verloren. Anders ausgedrückt, Sie können sich nicht für eine Eigenschaft entscheiden, sodass der Hund kein Futter braucht, nur damit er nie kackt. Schade eigentlich, denn das wäre eine beliebte Rasse! Aber Haushunde und Wölfe können gemeinsame Boxen haben. Nicht ein Chihuahua und ein Wolf, denn einer von ihnen wird den anderen fressen. Natürlich kann man ihre Spermien und Eizellen im Labor paaren. Mit CRISPR können wir die DNA direkt ausschneiden und einfügen und benötigen damit keine Hunde und mehrere Generationen ihrer Misch-DNA, um das gleiche Ergebnis zu erzielen. Jetzt frage ich mich, weil CRISPR nun schnell und neu ist, ob es wirklich etwas Anderes ist als das, was wir seit zwanzigtausend Jahren tun?
Wenn eine Eigenschaft zu erfolgreicheren Kopien führt, dann wird diese selektiert. Bei der Fellfarbe kann man das zum Beispiel ganz gut beobachten. Mit der falschen Fellfarbe wird man zum Ziel, weil man sich nicht verstecken kann. Oder man wird nicht als potenzieller Partner erkannt. Auch andere Merkmale stehen unter evolutionärem Druck. Nehmen wir einmal die Lebenserwartung. Sofern schwach sein und jung sterben zur Folge hat, dass mehr Energie für die Fortpflanzung bleibt, als aus Kopien von sich selbst, die sich später reproduzieren könnten, dann wäre fit oder evolutionär erfolgreich sein gleichbedeutend mit „stirb jung, du Schwächling“. Wenn dagegen große Zähne zu haben und viel zu knurren dafür stünde, dann würde sich das auf Dauer durchsetzen. Im Grunde genommen ist die Menge an vorhandener Energie begrenzt. Diese kann nur für eine begrenzte Anzahl von Tätigkeiten eingesetzt werden, einschließlich Fortpflanzung, Wachstum, Nahrungsaufnahme für die Energiegewinnung und zur Regeneration. Wenn einer zu viel Energie in die Regeneration steckt, dann werden die Mitglieder eines Genpools, die darauf programmiert sind, mehr in die Fortpflanzung zu investieren, bald in der Überzahl sein. Wer nicht genug in die Regeneration steckt, stirbt zu früh und stellt zu wenige Kopien von sich her. Die Natur schafft hier den Ausgleich über viel Zeit und Experimente. Mit Experimenten meine ich erfolglose Individuen, deren genetische Linien sich nicht durchgesetzt haben. Sie sind ausgestorben.
In freier Wildbahn gibt es zwei Arten von Lebenserwartungen bei Organismen. Die eine wird als ökologische Lebenserwartung bezeichnet. Die andere ist die physiologische, also was der Organismus erreichen könnte, wenn es in der Umwelt keine Bedrohungen wie Raubtiere, Krankheiten und gelegentliche Hungersnöte gäbe. Letzteres kommt in der Natur nicht vor; denn dort draußen ist es echt gefährlich. Sowas gibt es nur bei Ihnen zu Hause. Ihr Hund kann nicht ewig leben, weil er irgendwann verbraucht ist. Aber warum ist das beim Hund schon mit zehn bis fünfzehn Jahren so, und nicht wie bei uns mit achtzig oder neunzig Jahren? Warum sterben Menschen mit siebzig Jahren, während Grönlandwale zweihundert Jahre alt werden können? Und die bedauernswerte Sunda-Ratte lebt bloß ein Jahr lang.
Es gibt offensichtlich seit Jahrhunderten biologisch tragfähige Mechanismen, durch die Lebewesen abgenutzte Teile reparieren und ersetzen können. Diese Art der Reparatur kostet allerdings sehr viel Energie. Wenn es in der Umgebung von Gefahren, Krankheiten und Raubtieren wimmelt, wäre es pure Verschwendung, Energie für das Erreichen eines Alters von zweihundert Jahren aufzuwenden, während die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass man durch andere Dinge viel früher aus dem Leben scheiden wird. Die ökologische Lebenserwartung einer Art in freier Wildbahn ist in Wirklichkeit die durchschnittliche Lebenserwartung der Population auf Grundlage der Bedrohungen, denen sie ausgesetzt ist, mit einer gewissen Reserve zur Aufrechterhaltung des Durchschnitts. Wenn wir nun annehmen, dass der Durchschnittswolf in freier Wildbahn fünf Jahre alt würde und weniger als ein Prozent würde doppelt so alt werden – dann gäbe es keine Selektion auf solche Gene, die dieser Spezies helfen würden, hundert Jahre alt zu werden. Individuen mit Genen, die so lange leben, würden einen zu großen Anteil ihrer Energie in Reparaturen anstatt in die Reproduktion investieren. Das wäre so, als ob Sie in Ihren betrieblichen Vorsorgeplan so investierten, dass Sie genug Geld bis zum Erreichen eines Alters von eintausend Jahren hätten. Selbiges werden Sie nicht erreichen, ganz egal, was passiert. Somit würde der größte Teil des angehäuften Geldes verschwendet sein. Es gilt also: Das Merkmal „Energieverschwendung“ wird durch Selektion aussortiert.
Die ökologische Lebenserwartung einer Art in freier Wildbahn, wo sie lebte, bedeutet, das richtige Gleichgewicht zwischen Reparatur im Verhältnis zu anderen Energienutzungen zu finden, welche zu den erfolgreichsten Kopien mit einer zusätzlichen Fehlerquote führte. In einer sicheren, stabilen Umgebung ohne Raubtiere können Sie sich Zeit nehmen. Werden Sie älter und vermehren Sie sich ein wenig auf diesem Weg. In einer Umgebung, in der Sie im Durchschnitt gesehen sowieso in einem Jahr gefressen werden, wie eine Ratte, können Sie auch nicht zu viel in Reparaturen investieren, da Sie eine Wegwerf-Spezies sind. Die Domestikation einer Art kann deren Leben mit guter medizinischer Versorgung, Schmerz- und Arthritismedikamenten usw. um Jahre verlängern. Bei Hunden lebt die wilde genetische Quelle (Wölfe) im Allgemeinen nicht viel länger als etwas mehr als ein halbes Dutzend Jahre, weshalb sich das darauf Programmiertsein auf eine erheblich darüber hinausgehende Reparatur nicht auszahlte. Aus diesem Grund bekommt Ihr Hund mit einem Jahrzehnt Arthritis und Katarakte – Sie waren in diesem Alter gerade mal warmgelaufen. Nur wenige Wildhunde würden so lange leben, und diejenigen, die es taten, waren eine leichte Beute. Könnte CRISPR die Gene für das Altern finden und das Spiel verändern und Hunde hervorbringen, die zweihundert Jahre alt werden? Wahrscheinlich, obwohl es unwahrscheinlich ist, dass sich so am meisten Geld verdienen lässt. Damit nichts, wo Forscher ansetzen würden. Das Altern wird auch von vielen Genen gesteuert, womit das für einen Anfang auch keine guten Voraussetzungen wären.