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Dem Tod entgegensehen und Vergebung finden

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Ein bekanntes Buch, das ähnliche Gedanken entfaltet, ist der US-Bestseller When Breath Becomes Air (dt.: Bevor ich jetzt gehe: Was am Ende wirklich zählt – Vermächtnis eines jungen Arztes) des Neurochirurgen Paul Kalanithi, der an Krebs erkrankte und verstarb. In dem Buch berichtet er von seinen Reflexionen, die zu einer Reise zurück zum Glauben wurden. Paul Kalanithi war ein „eiserner Atheist“ gewesen. Sein vorrangiger Vorwurf gegen das Christentum war dessen „Versagen im Empirischen“ gewesen; „wirklich aufgeklärte Vernunft hatte einen wesentlich kohärenteren Kosmos zu bieten … eine materielle Konzeption der Wirklichkeit, ein ultimativ wissenschaftliches Weltbild“.20 Doch das Problem mit diesem ganzen Ansatz wurde ihm sehr deutlich: Wenn alles eine wissenschaftliche Erklärung und Beweisführung haben muss, dann „verbannt man nicht nur Gott, sondern genauso Liebe, Hass, Sinn – und das ist offensichtlich nicht die Welt, in der wir leben“.21

(Natur-)Wissenschaft kann seiner Ansicht nach nur „Phänomene auf handhabbare Einheiten reduzieren“. Sie kann nur etwas über Materie und Energie sagen und Dinge wie Liebe und Sinn nur als chemische Reaktionen im Gehirn erklären, die unseren Vorfahren zum Überleben halfen. Aber wenn wir davon ausgehen (was wirklich jeder tut), dass Liebe, Sinn und ethische Moral sich nicht nur real anfühlen, sondern es wirklich sind, kann Wissenschaft dazu nichts beitragen. So schließt er, dass „wissenschaftliche Erkenntnis nicht auf zentrale Aspekte des Menschseins anwendbar ist“ wie Hoffnung, Liebe, Schönheit, Würde, Leiden und Tugend.22

Als Kalanithi bewusst wurde, dass es für Dinge wie Sinn und Tugend, von denen er sicher war, dass sie existierten, keinen wissenschaftlichen Beweis gab, überdachte er sein ganzes Weltbild. Wenn die Voraussetzung des säkularen Denkens zu Schlussfolgerungen führte, die er für falsch hielt (nämlich dass Liebe, Sinn und Moral Illusionen sind), war es an der Zeit, seine Voraussetzungen zu ändern. Er fand es nun nicht länger unvernünftig, an Gott zu glauben, und kam zum Glauben an Gott und „die zentralen Werte des Christentums – selbstloses Opfer, Erlösung, Vergebung –, weil ich sie so verlockend fand“.23 Ebenso wie Habermas hatte er festgestellt, dass dem völlig säkularen Standpunkt zu viel von dem „fehlte“, was er als nötig und real erkannt hatte.

Kalanithi nennt als einen Grund dafür, dass er den Säkularismus hinter sich ließ, dass er die Vergebung entdeckte. Er führt dies nicht näher aus, aber ein anderer Fall mag darauf ein Licht werfen: Die Autorin und Dozentin Rebecca Pippert hatte einige Graduiertenkurse in Harvard zu prüfen, einen davon für Beratungssysteme. Einmal stellte der Professor eine Fallstudie vor, in der therapeutische Methoden eingesetzt wurden, um einem Mann zu helfen, die tiefe Feindseligkeit und Wut gegenüber seiner Mutter zu erkennen. Das half dem Klienten, sich besser zu verstehen. Dann fragte Pippert den Professor, was er gemacht hätte, wenn der Mann ihn um Hilfe gebeten hätte, seiner Mutter zu vergeben.24 Er antwortete, dass das Konzept von Vergebung eine moralische Verantwortung und vieles mehr voraussetzen würde, worüber wissenschaftliche Psychologie nicht sprechen könne. „Drücken Sie Ihre Werte über Vergebung nicht Ihrem Klienten auf“, sagte er. Als einige Studenten bestürzt reagierten, wollte er die Spannung mit Humor lösen und sagte: „Wenn ihr nach einem veränderten Herzen sucht, seid ihr hier wohl in der falschen Abteilung.“

Doch Pippert stellt fest: „Die Wahrheit ist, dass wir tatsächlich nach veränderten Herzen suchen.“25 Säkulare Vernunft gibt uns keine Grundlage für Selbstlosigkeit, Erlösung und Vergebung, wie Kalanithi in seinen letzten Lebensmonaten erkannte.

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