Читать книгу Glauben wozu? - Timothy Keller - Страница 21

Kritik am Zweifel

Оглавление

Auch unser rigorosestes rationales Denken ist also mit verschiedenen Formen von Glauben durchsetzt. Doch Michael Polanyi geht noch einen Schritt weiter und zeigt, dass selbst skeptischer Zweifel immer auch ein Element von Glauben enthält. In seinem Aufsatz „The Critique of Doubt“ („die Kritik des Zweifels“) stellt er die These auf, dass Zweifel und Glaube immer „äquivalent“ sind (sich entsprechen): „Der Zweifel an einer Aussage lehnt einen Glauben ab … zugunsten anderer Überzeugungen, die in dem Moment nicht angezweifelt werden.“25 Man kann Glaube A nicht anzweifeln, ohne dafür irgendetwas anderes (Glaube B) in dem Moment für richtiger zu halten. So kann man auch die Behauptung „Niemand kann genug wissen, um sich in Sachen Gott und Religion sicher genug zu sein“ nicht aufstellen, ohne in dem Moment davon auszugehen, dass man selbst genügend über das Wesen religiöser Erkenntnis weiß.

Vor einigen Jahren kam ein Mann in unsere Gemeinde. Als Kind hatte er allgemein an Gott geglaubt, doch dann war er in seiner Zeit auf dem College mit Zweifeln überschüttet worden und hatte jahrzehntelang ohne irgendwelche religiösen Überzeugungen gelebt. Nach ein paar Monaten sagte er mir, dass der Glaube an Gott ihm inzwischen sehr viel plausibler erschien. Als ich nachfragte, wie es dazu gekommen sei, nannte er als Wendepunkt einen Vortrag von mir („meine Zweifel anzweifeln“), den er gehört hatte: „Mir war nie bewusst gewesen, dass auch unter meinen Zweifeln irgendeine Art von Glauben liegen müsste. Als ich mir klarmachte, was ich da alles glaubte, musste ich feststellen, dass ich für diese Überzeugungen keine guten Gründe hatte. Und als ich begann, mich mit den Grundlagen meiner Zweifel auseinanderzusetzen, erschien mir der Glaube an Gott nicht mehr so schwer.“

Wie zweifelt man seine eigenen Zweifel an? Als ich diesen Mann kennenlernte und er zunächst ein Freund und dann auch ein Gemeindemitglied wurde, ging ich die Reihe der Punkte durch, die seine ersten Zweifel ausgelöst hatten. Später stieß ich auf einen atheistischen Blogger, der eine fast identische Liste aufstellte:

Der Grund, der den ersten Samen des Zweifels sät, variiert von Mensch zu Mensch. Darunter können sein: Man trifft einen echten Atheisten und stellt fest, dass er gar nicht so unmoralisch, freudlos und menschenverachtend ist, wie einem beigebracht wurde. Oder man muss miterleben, wie ein gläubiger Freund grauenvolles Leid durchmachen muss, für das sich kein Grund erkennen lässt. Oder man entdeckt institutionalisierte Korruption oder Heuchelei in den Leitungsetagen seiner frommen Kreise. Man erkennt die grundlegende Ungerechtigkeit der Lehre von Himmel und Hölle. Oder man entdeckt unlösbare Widersprüche oder Fehler in den Schriften der Gläubigen.26

Und so hat mein Freund diese Zweifel selbst dem Zweifel ausgesetzt:

Ein echter Atheist, der gar nicht so unmoralisch, freudlos und menschenverachtend ist: Dieser Zweifel setzt voraus, dass Gläubige wegen ihres guten Charakters und Verhaltens gerettet sind. Wenn das stimmt, dann müssten Atheisten tatsächlich per Definition schlecht und unmoralisch sein. Als er die biblische Lehre hörte, dass wir nur durch unverdiente Gnade erlöst sind, nicht wegen unseres moralischen Charakters, merkte er, dass es keinen Grund gab, weshalb ein Atheist nicht ein viel besserer Mensch sein sollte als ein Christ. Die Grundannahme hinter seinem Zweifel bröckelte und damit auch sein Zweifel.

Ein guter Christ muss grundlos grauenvolles Leid durchmachen: Dieser Zweifel kommt aus einer Überzeugung, dass es keinen guten Grund für Gottes Handeln geben kann, wenn wir ihn nicht erkennen können. Meinem Freund wurde bewusst, dass dies bedeuten würde, dass ein begrenzter Verstand die Pläne und Beweggründe eines unendlichen Gottes erfassen können müsste, und er fragte sich, wie vernünftig es sei, das zu glauben und ein solches Vertrauen in seine eigenen Einsichten zu setzen.

Korruption oder Heuchelei in einer religiösen Institution: Dies ist wohl die berechtigtste Grundlage für den Zweifel an einer bestimmten Glaubensrichtung. Doch mein Freund stellte fest, dass die moralischen Maßstäbe, die er an die heuchelnden Gläubigen anlegte, vor allem aus dem christlichen Glauben selbst kamen. „Das Schlimmste, was ich über Christen sagen konnte, war, dass sie nicht christlich genug waren – aber warum sollten sie auch, wenn der christliche Glaube gar nicht wahr war?“

Die grundlegende Ungerechtigkeit der Lehre von Himmel und Hölle: Meinem Freund wurde bewusst, dass dieser Zweifel aus seinem kulturellen Umfeld stammte. Ein Chinese, mit dem er befreundet war und der nicht an Gott glaubte, meinte dagegen, dass Gott, wenn es ihn gäbe, natürlich das Recht hätte, die Menschen zu beurteilen, wie es ihm angebracht erschien. Mein Freund machte sich klar, dass sein Zweifel an der Hölle einem sehr weißen, westlich-demokratischen, individualistischen Denkrahmen entsprang, den die meisten Menschen auf der Welt nicht teilten, und sagte zu mir: „Darauf zu bestehen, dass die Welt wie eine westliche Demokratie betrieben wird, war letztlich ein ziemlich ethnozentrischer Standpunkt.“

Unlösbare Widersprüche oder Fehler in der Bibel: Dieser Zweifel beruhte letztlich auf dem Glauben, dass alle religiösen Gläubigen ein naives, unkritisches Vertrauen in die Bibel haben, wie mein Freund erzählte. „In eurer Gemeinde ist mir bewusst geworden, dass es zu jedem Bibelvers Tausende von Doktorarbeiten gibt und auf jeden Einwand bezüglich scheinbarer Widersprüche zwischen verschiedenen Versen zehn stichhaltige Gegenargumente kommen.“ So verlor er den Glauben daran, dass er je eine Schwierigkeit in der Bibel finden würde, die unlösbar sei.

Glauben wozu?

Подняться наверх