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6.

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Romann Electronics bedeckte ein ziemlich weitläufiges Areal, ohne dabei ein riesiges Unternehmen zu sein. Eine ganze Reihe von Gebäuden fügten sich harmonisch in eine parkähnliche Umgebung ein. Die Geschäftsleitung war offensichtlich daran interessiert, den Angestellten ein angenehmes Arbeitsklima zu vermitteln.

Bernd parkte seinen Wagen vor dem Hauptgebäude, in dem die Verwaltung untergebracht war. Er hatte sich am Haupttor anmelden müssen, aber sein Name war bereits bekannt und man zeigte ihm den weiteren Weg.

Er ließ seinen Blick über das Gelände schweifen. Eines war ihm jetzt schon klar: Ein Eindringen am helllichten Tage war kein Problem. Ein fingierter Name für die Anmeldung, und man konnte auf das Gelände fahren. Es gab zwar stellenweise Fernsehkameras, aber die Überwachung schien bei weitem nicht lückenlos. Es war bestimmt ohne weiteres möglich, sich auf dem Gelände zu verstecken und sich abends einschließen zu lassen.

Bernd hatte aus Romanns wenigen Worten entnommen, dass es gewisse Unregelmäßigkeiten in diesem Betrieb geben musste. Was lag näher als Diebstahl oder Werkspionage?

Bernd ging zum Eingang hinüber und drückte die Tür auf. Dahinter befand sich ein kleiner Verschlag für den Pförtner. Ein älterer Mann in einer uniformähnlichen Fabiane, wie sie gelegentlich auch ein Chauffeur trug, sah ihm aufmerksam entgegen.

»Sie sind Herr Schuster«, stellte er fest. »Warten Sie hier einen Augenblick. Sie werden abgeholt.«

Bernd nickte und nahm auf einer Sitzgruppe Platz, die sich in einer Ecke der Empfangshalle befand. Der Pförtner telefonierte.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis ein außerordentlich attraktives Wesen aus dem Lift trat. Das Mädchen war Mitte Zwanzig und besaß eine Figur, nach der sich die Männer auf der Straße umdrehten. Mit einer lässigen Kopfbewegung schwang sie sich eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann entdeckte sie Bernd, der sich erhoben hatte, und kam auf ihn zu.

Ihre Stimme klang leicht rauchig. »Sie sind bei Herrn Romann angemeldet. Folgen Sie mir bitte.«

»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte.«

Sie strafte ihn mit einem Seitenblick. Als sie in den Lift traten, drückte sie stumm auf einen Knopf und fuhren schweigend in die Chef-Etage.

‚Ein bisschen zu arrogant‘, dachte Bernd. Dann stoppte der Lift.

Der Korridor war mit einer flauschigen Teppichware ausgelegt, zu dessen Farbe die Textiltapete passte. Gedämpftes Licht sorgte für eine abgestimmte Beleuchtung. Bernd schloss daraus, dass Romann einen hervorragenden Innenarchitekten besitzen musste.

Sie betraten ein Büro, das sich stilistisch an das Bisherige anschloss. Für Bernds Geschmack war es ein bisschen zu modern. Aber über Geschmack ließ sich bekanntlich streiten.

Ein etwa vierzigjähriger Mann erhob sich hinter einem riesigen Schreibtisch, dessen Platte fast völlig leer war. Der Mann trug einen Tweedanzug aus teurem englischen Stoff und machte ein grämliches Gesicht.

»Mein Name ist Karsten Romann. Ich freue mich, dass Sie so schnell kommen konnten.«

Bernd stellte sich vor, und sie schüttelten sich die Hände. Das Mädchen verzog sich lautlos wieder, nachdem sie sich nach Getränkewünschen erkundigt hatte. Doch Bernd hatte jetzt noch den Eindruck von Verbrennungen zweiten Grades, wenn er an seinen eigenen Kaffee dachte.

Sie ließen sich in zwei Sesseln nieder und Bernd zündete sich eine Roth Händle an. »Ich denke, es wäre am besten, wenn Sie mir ausführlich schildern, weshalb Sie meine Hilfe brauchen.«

Romann nickte. »Gestern haben Einbrecher versucht, in die Konstruktionsabteilung einzudringen. Es gelang ihnen zwar nicht, die Panzertür zu knacken, aber sie haben einen meiner Wächter erschossen, der sie offensichtlich überrascht haben muss. Die Polizei hat natürlich sämtliche Spuren gesichert. Sie ist der Überzeugung, dass nur Profis für diesen Einbruch in Frage kommen. Nun hat sich außerdem das BKA eingeschaltet. Der Beamte, ein gewisser Fabian Kerner, nimmt an, dass die Täter Hilfe aus dem Unternehmen gehabt haben müssen. Sie besaßen vermutlich einen Nachschlüssel zu dem Hauptgebäude und kannten sich überdies bei den Sicherheitseinrichtungen gut aus. Ich glaube jedoch nicht, dass einer meiner Leute solchen Verbrechern helfen würde. Sie werden alle gut bezahlt.«

Bernd lächelte schwach.

»Was hat die Einbrecher an Ihrer Konstruktionsabteilung interessiert?«

Romann wand sich unbehaglich. »Das darf ich Ihnen im Einzelnen nicht sagen. Wir stellen bestimmte Bauteile elektronischer Art für Nato-Kampfflugzeuge her. Wir entwickeln diese Teile selbst in unseren Laboren. Sie gehören zu den Modernsten, was zurzeit auf dem Markt ist, und unterliegen natürlich der höchsten Geheimhaltungsstufe.«

»Ich verstehe. Also haben vermutlich ausländische Agenten ein Interesse an diesen Dingen. Deshalb hat sich auch das BKA eingeschaltet, das für diese Dinge zuständig ist. Da wäre zuerst zu klären, wie viele Leute informiert sind über das, was Sie produzieren.«

Romann zuckte die Schultern.

»Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Es müssen Tausende sein, die darüber Bescheid wissen. Vom Pentagon über unser Verteidigungsministerium bis zum Flugzeugtechniker, der mit diesen Dingen zu tun hat. Dazu kommen natürlich noch meine eigenen Leute, die aber vom BKA überprüft werden, bevor ich sie einstelle.«

»Wie gut sind denn Ihre Geheimnisse gesichert?«, wollte Bernd wissen.

»Ich habe eine Werkschutzabteilung, die von einem pensionierten Polizisten geleitet wird. Er hat etwa ein Dutzend Leute unter sich, die im Schichtdienst arbeiten. Einige von ihnen sind ständig bewaffnet. Sie kontrollieren die zentrale Sicherheitsanlage, die Tore und die einzelnen Gebäudeeingänge. Nachts sind sämtliche Türen verschlossen. Es handelt sich um spezielle Sicherheitsschlösser. Es gibt keine ungesicherten Eingänge in die einzelnen Gebäude.«

»Aber mit einem Nachschlüssel ist das Eindringen kein Problem«, meinte Schuster ruhig.

Romann wurde rot. »Ich verstehe nicht, wie jemand an einen Nachschlüssel kommen kann. Das ist völlig ausgeschlossen.«

»Darum werde ich mich kümmern. Wer besitzt überhaupt einen Schlüssel?«

»Es gibt drei Zentralschlüssel«, erklärte Romann. »Einen habe ich, den zweiten besitzt der Leiter des Werkschutzes oder der jeweils Wachhabende, und der dritte liegt als Reserve in meinem Banktresor. Es ist ein sehr komplizierter Schlüssel. Man hat mir gesagt, dass man ihn mit einem einfachen Abdruck nicht fälschen kann.«

Bernd nickte. »Ich kenne diese Art von Schlüsseln. Sie werden auch von Banken verwendet. Sie sind so präzise, dass ein einfacher Abguss sinnlos wäre. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass ein Nachschlüssel verwendet wurde. Also müssen wir die Frage klären, wer in der fraglichen Nacht an einen der drei Schlüssel herankommen konnte.«

»Meiner war es nicht«, sagte Romann rasch. »Ich habe ihn immer bei mir getragen. Der zweite Schlüssel liegt auch noch sicher im Tresor, das habe ich bereits überprüft.«

»Bleibt der dritte Schlüssel«, ergänzte Bernd.

Erst nach einer kleinen Pause sagte Romann. »Sie finden Herr Klein genau unter mir in der Sicherheitszentrale. Er ist der Leiter des Werkschutzes. Sie können mit ihm reden.«

»Das werde ich auch tun. Ich habe noch ein paar Fragen. Es ist richtig, dass nur mit diesen drei Schlüsseln sämtliche Eingänge zu den Gebäuden und zu einigen besonders geheimen Abteilungen geöffnet werden können?«

Romann nickte.

»Die Konstruktionsabteilung ist die einzige, die mit einer ebensolchen Panzertür ausgerüstet ist wie die Gebäude. Das liegt daran, dass diese Abteilung sich hier im Hauptgebäude befindet. Das Hauptgebäude hat als einziges keine Panzertür am Eingang. Es sähe auch für Besucher etwas komisch aus. Deshalb haben wir diese Lösung gewählt.«

»Das sehe ich ein. Aber weshalb haben Sie diese besonders gefährdete Abteilung hier untergebracht, wo doch fremde Leute ein und ausgehen?«

»Die Konstrukteure und Techniker, die dort arbeiten, sind meine wichtigsten Leute. Ich brauche den ständigen Kontakt zu ihnen. Deshalb sind sie hier in meiner Nähe.«

»Was könnte ein Eindringling in diesen Räumen denn entdecken? Sind die geheimen Unterlagen nicht zusätzlich in einem Tresor gesichert?«

Romann machte eine fahrige Handbewegung.

»Doch, selbstverständlich. Aber es liegen immer noch genügend Pläne herum, aus denen sich etwas ablesen lässt. Außerdem befinden sich Bauteile dort, die viele Einzelheiten verraten können.«

Die Erklärung klang für Bernd nicht besonders überzeugend. Er fragte sich, ob jemand, der sich überdies auszukennen schien, einen Einbruch riskierte, nur um ein paar Pläne oder Bauteile besichtigen zu können. Interessant waren doch nur die Dinge im Tresor! Vielleicht besaßen die Täter auch einen Nachschlüssel zum Tresor?

Bernd lehnte sich zurück.

»Können Sie mir erklären, weshalb die Täter die Panzertür nicht aufbekamen, wenn sie einen Nachschlüssel besaßen?«

Romann lächelte. »Sie haben mich missverstanden. Sie besaßen keinen der zentralen Hauptschlüssel, sondern einen Nachschlüssel für das Hauptgebäude. Das ist ein Unterschied. Denn es besitzt ein anderes Schloss, ein viel leichter zu knackendes.«

Bernd hatte den Eindruck, als hätte Romann vor wenigen Minuten etwas Anderes gemeint. Wollte er ihn auf eine falsche Spur locken? Er verwarf den Gedanken wieder. Schließlich handelte es sich bei Romann um seinen Auftraggeber und den Besitzer der Firma.

»Sind Sie Alleininhaber von Romann Electronics?«

»Nicht ganz«, erwiderte Karsten Romann. »Es ist ein Familienunternehmen. Es wurde kurz nach dem Krieg von meinem Vater gegründet, der vor drei Jahren starb. Ich habe das Unternehmen mit einem Mehrheitsanteil geerbt, aber ich habe noch zwei Brüder und eine Schwester, die ebenfalls Anteile besitzen. Meine Funktion ist hier die eines Geschäftsführers. Ich trage die volle Verantwortung für alles.«

»Und Ihre Brüder und Schwestern kümmern sich nicht um die Firma? Sie haben auch keine Schlüssel irgendwelcher Art.«

Romann schüttelte den Kopf.

»Die sind froh, wenn sie einen großen Bogen um die Firma machen können. Sie bekommen ihren monatlichen Scheck und können die Hände in den Schoß legen. Sie leben von meiner Arbeit.«

Bernd hatte den Eindruck, dass in diesen Worten eine gewisse Emotion mitschwang, auch wenn sie ganz kühl vorgebracht worden waren. Er beschloss, sich mit diesen Tatsachen noch auseinanderzusetzen. Die Familie Romann schien nicht gerade ein Herz und eine Seele zu sein.

»Ich werde dann damit beginnen, das Personal unter die Lupe zu nehmen. Denn irgendwo müssen wir schließlich anfangen. Dazu benötige ich die Personalkartei.«

Romann nickte. »Ich habe den zuständigen Mann bereits unterrichtet. Denn das ist der Zweck Ihres Auftrages. Das BKA sieht sich aus Personalmangel nicht in der Lage, die hier Beschäftigten erneut zu überprüfen. Dafür habe ich Sie engagiert. Allerdings nehme ich an, dass Ihre Nachforschungen nichts erbringen werden.«

Bernd lächelte. »Das werden wir sehen. Wenn man etwas überprüft, findet man eigentlich immer etwas.«

Romann erhob sich ruckartig. Sein Gesicht war schlagartig ernst geworden. »Ich will Sie nicht länger aufhalten. Das Finanzielle regeln Sie bitte mit meiner Sekretärin. Wenn Sie Fragen an mich haben, wird Ihnen die Dame ebenfalls behilflich sein und einen Termin nennen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.«

Bernd verbeugte sich leicht. »Danke.«

Diesmal gaben sie sich nicht die Hand, und Bernd hatte den Eindruck, dass die Atmosphäre frostiger war als zu Beginn. Er fragte sich, woran das wohl liegen mochte. Romann schien über seine Nachforschungen nicht sehr begeistert zu sein. Es hatte den Anschein, als hätte er ihn nur engagiert, weil das BKA es ihm empfohlen hatte.

Der Männertraum im Vorraum sah ihn aus großen Augen an. Sie erinnerte Schuster an die Barbie-Puppen seiner Tochter Lucy, und sogar an die Vorgänger-Figur konnte er sich noch immer beim Anblick langbeiniger Blondinen erinnern. Sein Großvater kaufte regelmäßig die Bild, und das Einzige, das ihn damals in dem Blatt interessierte, war die langbeinige Lilli in einem Cartoon von Reinhard Beuthien. Schuster trauerte noch immer ein wenig dieser witzigen Blondine nach, die es seit 1961 nicht mehr gab. Dafür machte sich ihre Nachfolgerin aus den USA immer mehr in den Kinderzimmern breit.

‚Und selbst die bei jeder Demonstration mitlaufende Lucy konnte sich noch nicht entschließen, ihre Barbies aus dem Jugendzimmer zu verbannen!‘, dachte Bernd Schuster und musste lächeln.

»Herr Romann hat mir gesagt, dass Sie immer für mich da sind!«, sagte er gut gelaunt zu der Vorzimmerdame.

Ihre Augen verwandelten sich in glitzernde Eisbrocken.

»Das hat Herr Romann bestimmt nicht so gemeint.«

Bernd grinste sie an.

»Sie scheinen eine merkwürdige Fantasie zu haben. Ich meinte natürlich nur für den Fall, dass ich einen Termin mit Herr Romann haben will. Was haben Sie denn gedacht?«

Sie schnaubte unwillig. »Von einem Privat-Schnüffler kann man eben kein besseres Benehmen erwarten.«

»Sie kennen sich aus, wie? Schönes Kind, Sie sollen auch noch für mein Honorar zuständig sein.«

Sie schob ihm einen Block hin. »Schreiben Sie Ihre Kontonummer auf und den Betrag, den Sie pro Tag bekommen. Ich hoffe, er hält sich in Grenzen. Wir schmeißen hier nicht gerne Geld zum Fenster hinaus.«

Bernd verlor seine gute Laune nicht.

»Sie haben eine spitze Zunge. Passen Sie auf, dass Sie noch einen Mann abkriegen.«

Ihr Gesicht wurde von dunkler Röte übergossen. Sie verschluckte sich fast an einer Entgegnung. Und Bernd verließ fröhlich pfeifend das Büro.

Berlin 1968 I. Bitternis - Drei Romane in einem Band

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