Читать книгу Berlin 1968 I. Bitternis - Drei Romane in einem Band - Tomos Forrest - Страница 15
Оглавление10.
Als der Mann die Tür öffnete, stutzte Bernd Schuster für einen Moment verblüfft. Die Ähnlichkeit mit Karsten Romann war bemerkenswert. Aber es handelte sich um Klaus Romann, Karstens Bruder.
»Guten Abend«, sagte Bernd. »Ich danke Ihnen, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich hatten.«
»Oh, keine Ursache, kommen Sie herein.«
Wenig später saßen sie in bequemen Sesseln. Durch das breite Panoramafenster hatten sie einen fantastischen Ausblick über das Lichtermeer von Berlin. Klaus Romann besaß eine Dachgeschosswohnung, die ein Vermögen gekostet haben musste. Man nannte diese oft aufgestockten Wohnungen auf den Hochhäusern Berlins auch sehr gern Penthouse-Wohnung.
Die Einrichtung war nicht nur teuer, sondern auch geschmackvoll zusammengestellt.
»Sie sagten mir, dass Sie im Auftrag meines Bruders bestimmte Ermittlungen im Zusammenhang mit unserer Firma unternehmen.«
Bernd registrierte, dass Klaus Romann von »unserer« Firma sprach.
»Ja, das ist richtig. Es hat einen Einbruchsversuch gegeben, bei dem ein Wächter ermordet wurde. Allerdings haben die Diebe die Stahltür zur Konstruktionsabteilung nicht aufbekommen.«
Romann legte seine Fingerspitzen aneinander. »Karsten hat mir noch nichts davon erzählt. Aber das ist typisch für ihn. Er denkt, er könne im Unternehmen schalten und walten wie er will.«
»Kann er nicht?«, unterbrach Bernd sofort. »Ich denke, er besitzt die Mehrheit an Romann Electronics.«
»Hat er Ihnen das erzählt? Ja, unser lieber Bruder hat es mit der Wahrheit noch nie so genau genommen. Sein Anteil ist zwar größer als der von uns anderen, aber er besitzt nicht die Mehrheit an der Firma. Er hat vierzig Prozent Anteile, wir anderen je zwanzig. Das heißt, dass wir anderen ihn überstimmen können, wenn wir einig sind.«
»Ist so etwas schon vorgekommen?«
Romann nickte. »Mehrmals. Wir haben Karsten zum Geschäftsführer gemacht, weil er zugegebenermaßen etwas von Elektronik versteht. Aber wir müssen ihm schon auf die Finger sehen, denn seine ausgeprägte Schwäche ist die Buchhaltung. Mit Geld konnte er noch nie umgehen.«
Bernd machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Das hörte sich anders an, als ich mit Ihrem Bruder sprach. Er tat so, als sei er der einzige, der überhaupt Interesse für das Unternehmen hat. Er sagte, dass die anderen alle froh seien, wenn sie nur ihren monatlichen Scheck bekämen.«
Romann schüttelte den Kopf. »Wir haben jeden Monat eine Gesellschaftsversammlung, und es kommt ganz selten vor, dass einer von uns nicht teilnehmen kann. Im Gegenteil, wir alle haben größtes Interesse an der Firma, denn wir wollen sie erhalten. Der monatliche Scheck kommt nämlich nicht immer regelmäßig. Aber glücklicherweise sind wir nicht nur darauf angewiesen. Ich nicht, und die anderen Geschwister auch nicht.«
Bernd zündete sich eine Zigarette an. Dieses Gespräch wurde ja weitaus ergiebiger als er gehofft hatte. Klaus Romann schien keine Hemmungen zu kennen, ihn über alle Einzelheiten zu informieren. Das war ein Punkt, den Bernd selten genug erlebte.
»Soll das heißen, dass es der Firma nicht besonders gut geht?«, fragte Bernd erstaunt.
Klaus Romann griff nach einer Pfeife und stopfte sie sorgfältig.
»Wenn Sie statt der Polizeiberichte die Wirtschaftsnachrichten in den Zeitungen lesen würden, dann wüssten Sie alles schon, was ich Ihnen hier erzähle. Das ist schließlich kein Geheimnis. Die Romann Electronics haben in den letzten Jahren kaum Gewinne erzielt. Die allgemeinen Kostensteigerungen und die notwendigen Investitionen haben alles aufgefressen. Es mussten sogar einige Leute entlassen werden. Und das, obwohl die Umsätze des Unternehmens in die Höhe gingen.«
»Dann handelt es sich also um Fehler der Geschäftsleitung?«
Romann seufzte. »So einfach ist es wahrscheinlich nicht. Aber sicher haben wir unserem Bruder nicht genügend auf die Finger gesehen. In Zukunft wird das nicht mehr geschehen. Wir haben gerade vor einigen Monaten beschlossen, dass alle wichtigen Entscheidungen nur noch mit der Stimme aller Gesellschafter getroffen werden können. Damit haben wir ein Kontrollinstrument in der Hand, falls unser lieber Bruder mal wieder einsame Entschlüsse treffen will.«
»Ich verstehe nur nicht, dass sich das Verteidigungsministerium und wohl auch das Pentagon mit einem Unternehmen zusammentut, das offensichtlich nicht zu den florierenden im Lande gehört«, meinte der Detektiv.
»Das Unternehmen hat einen entscheidenden Vorteil. Es besitzt ein paar Köpfe in seiner Entwicklungsabteilung, auf die das Militär nicht verzichten kann. Wir produzieren elektronische Bauteile für die Luftwaffe und die Air Force, im wesentlichen radargesteuerte Rechner für überschallschnelle Flugzeuge im Tiefflug. Wir sind in diesen Dingen am weitesten. Es ist das modernste und zuverlässigste System, über das wir verfügen. Die Firma ist mit Aufträgen für die nächsten Jahre im Übrigen ausgelastet.«
»Und trotzdem stimmen die Finanzen nicht?«
Romann nickte. »Die Gewinnsituation ist nicht so, wie sie sein sollte. Aber das werden wir schon in den Griff kriegen. In diesem Zusammenhang dürfte auch wichtig sein, dass es keinen weiteren Versuch gibt, Werkspionage zu treiben. Dann sähe es in der Tat mit dem Unternehmen schlecht aus. Ich hoffe, dass Ihre Nachforschungen in dieser Hinsicht erfolgreich sind. Wenn Sie irgendwelche Unterstützung brauchen, können Sie sich jederzeit an mich wenden.«
»Ich wundere mich schon die ganze Zeit, dass Sie mir so offen Rede und Antwort stehen.«
Klaus Romann lächelte.
»Als Sie mich anriefen, habe ich mich natürlich sofort nach Ihnen erkundigt. Ich darf sagen, dass die Auskünfte einwandfrei waren. Also gab es für mich auch keinen Grund, Ihnen etwas zu verschweigen. Schließlich arbeiten Sie auch in meinem Interesse, auch wenn Sie Ihren Auftrag von meinem Bruder haben.«
Auch Bernd lächelte. Es war doch erstaunlich, was für einen guten Ruf er neuerdings in dieser Stadt besaß. Er schien doch mehr Freunde zu haben, als er angenommen hatte. Der Fall begann ihm allmählich Spaß zu machen. Alle waren nett und freundlich, gaben ihm Informationen, boten ihm Drinks und Zigaretten an...
Er war ganz sicher, dass der große Haken bei der Geschichte noch im Hintergrund lauerte. Bisher ging alles viel zu glatt. Der Fall sah nach Routine aus. War er es auch?
»Kann ich Ihnen sonst noch helfen?«, erkundigte sich Romann. »Meine Schwester Elisabeth ist in den nächsten Wochen auf Reisen. Mit ihr können Sie also nicht reden. Und mein Bruder Karl ist auf einer Geschäftsreise in Süddeutschland. Er dürfte allerdings in drei, vier Tagen zurück sein. Die beiden werden Ihnen aber kaum mehr erzählen können als ich.«
»Ich glaube, es wird nicht nötig sein, mit den beiden zu reden. Mir kam es darauf an, ein wenig Hintergrundinformationen zu bekommen, so dass ich den Fall besser einordnen kann. Sie haben mir sehr geholfen.«
Romann erhob sich.
»Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg.«
Er blickte auf seine goldene Rolex. »Die Zeit war genau richtig. Denn ich erwarte in Kürze einen weiteren Besuch.«
Bernd bedankte sich, sie gingen zur Tür. und Sekunden später fuhr er im Fahrstuhl nach unten. Die Fahrt schien endlos zu dauern. Aber das Penthouse lag auch im vierzehnten Stock.
Die Türen öffneten sich, und Bernd trat in die riesige Halle, deren blankpolierter Marmorboden das Licht reflektierte.
Eine Frau stöckelte über den Stein auf den Lift zu. Erst beachtete Bernd sie kaum, da er noch über das Gehörte nachdachte. Aber dann erkannte er sie plötzlich, und es traf ihn wie ein Schlag.
Susi Wille! Die Sekretärin von Karsten Romann.
Sollte sie der Besuch sein, den Klaus Romann noch erwartete? Es gab kaum eine andere Möglichkeit, denn Bernd glaubte nicht an solche Zufälle. Rasch wandte er den Kopf ab und ging zur anderen Seite. Sie hatte ihn noch nicht erkannt, und sie achtete auch nicht auf ihn.
Ohne zu zögern ging sie zu dem Lift, den Bernd eben verlassen hatte. Sie drückte den Knopf, und die Türen schlossen sich. Bernd blieb stehen und achtete auf die Stockwerkanzeige. Der Lift fuhr ohne anzuhalten bis zum obersten Stock. Dort gab es nur das Penthouse von Klaus Romann.
Sehr nachdenklich verließ Schuster das Haus.