Читать книгу Berlin 1968 I. Bitternis - Drei Romane in einem Band - Tomos Forrest - Страница 20
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Als Bernd an diesem Tag das Werksgelände von Romann Electronics verließ, spürte er, dass er beobachtet wurde. Sein fast untrüglicher siebter Sinn für Gefahrensituationen warnte ihn.
Er ließ sich nichts anmerken. Das wäre verkehrt gewesen und hätte den Betreffenden nur gewarnt. Bernd Schuster war ein neugieriger Mensch, und er hätte gern gewusst, wer sich in diesem Augenblick für ihn interessierte.
Gemächlich schlenderte er zu seinem Wagen, schloss auf und schwang sich hinter das Steuer. Die starke Maschine summte beruhigend, und er rollte langsam los.
Das Tor wurde elektrisch betätigt und öffnete sich automatisch. Auf der anderen Seite stand ein Mann, der ihm zuwinkte und Zeichen gab, dass er anhalten sollte. Ein Angestellter von Romann?
Bernd rollte langsam weiter und hielt an. Er kurbelte die Scheibe herunter. Der Mann beugte sich zu ihm herunter, aber als Bernd begriff, war es schon zu spät. Er blickte in die dunkle Mündung einer Pistole, die der Kerl aus seiner Jacke gezaubert hatte.
Bernd biss sich auf die Lippen. Er war auf einen Anfängertrick hereingefallen, und das ärgerte ihn.
Auf der Beifahrerseite hörte er ein Geräusch. Durch die Zentralverriegelung waren jetzt alle Türen unverschlossen. Ein zweiter Mann riss die Tür auf und setzte sich neben Bernd. Auch er hielt eine Waffe in der Hand. »Nett, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte er.
Der erste setzte sich hinter Bernd auf den Rücksitz. Schuster spürte das kühle Metall der Pistole im Nacken. »Wir unternehmen jetzt eine kleine Spazierfahrt«, sagte der erste.
»Lassen Sie sich Zeit«, ergänzte der zweite. »Wir haben es nicht eilig.«
Bernd blickte in den Rückspiegel, aber im Werk hatte niemand den Zwischenfall mitbekommen. Alles hatte völlig normal ausgesehen. Und Bernd besaß keine Möglichkeit, jemand auf sich aufmerksam zu machen. Hier war auch niemand, der in Frage gekommen wäre. Er war den beiden Typen zunächst ausgeliefert, und für ihn gab es keinen Zweifel, dass dieser Überfall mit Romann Electronics zusammenhing.
»Wohin soll’s denn gehen?« erkundigte sich Bernd.
»Hinüber in den Grunewald«, sagte der erste und deutete mit der Pistole in die Richtung. »Wir haben dort ein kleines, entzückendes Versteck angemietet, das auch
verwöhnte Wünsche befriedigt. Sie werden dort eine Zeitlang unser Gast sein.«
Bernd nickte. »Es ist doch immer wieder erfreulich, mit gebildeten Menschen ein Gespräch zu führen. Ich bewundere Ihren feinsinnigen Humor, lieber Freund. Ich glaube, Sie haben sich noch nicht vorgestellt?«
»Ein Witzbold«, knurrte der zweite. »Fahren Sie jetzt los. Zunächst immer geradeaus. Ich sage Bescheid, wenn wir die Fahrtrichtung ändern. Und noch etwas: Diese Geschichte ist kein Spaß. Wenn Sie irgendwelche Dummheiten machen, müssen wir Ihnen eine Kugel verpassen. Ist das klar?«
»Oh, ich habe mir schon gedacht, dass Sie die Pistolen nicht zum Vergnügen mit sich herumtragen.«
»Greif ihm mal unter die Arme!«, befahl der zweite.
Bernd spürte die Hände des anderen, und dann wechselte seine Waffe den Besitzer. Es gab noch nicht einmal eine Bemerkung dazu. Eines schien sicher: Bei den beiden handelte es sich um professionelle Verbrecher. Das konnte er sehr gut einschätzen. Die Frage war nur, was Sie von ihm wollten.
»Wie komme ich zu dem Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen?«, fragte Bernd.
Der erste wies nach hinten. »Sie stören im Augenblick unsre Kreise ein wenig. Daher möchten wir Ihnen Ungelegenheiten ersparen. Es könnte Ihnen sonst noch etwas zustoßen. Wir ziehen Sie aus dem Verkehr, gehen unseren Geschäften nach, und Sie erholen sich in der Zwischenzeit. Wenn alles vorbei ist, können Sie wieder gehen!«
Bernd wusste sofort, dass dies eine Lüge war. Sie hatten ihm ihre Gesichter gezeigt. Das würden sie nie riskieren, wenn sie nicht wüssten, dass er später keine Gelegenheit mehr haben würde, sie zu identifizieren. Sie hatten ihn zwar nicht gleich erschossen, aber das hätte wohl zu viel Aufsehen erregt. Bernd war ganz sicher, dass er die Männer vor sich hatte, die den Einbruch versucht hatten und die offensichtlich noch nicht aufgaben.
Er runzelte die Stirn. Wer hatte ihn verraten? So viele Personen gab es nicht, die dafür in Frage kamen.
Karsten Romann? Seit Bernd wusste, dass es sich um einen Spieler handelte, der hoch verschuldet war, musste er seinen Auftraggeber in einem neuen Licht sehen.
Klaus Romann? Karstens Bruder kannte seinen Namen ebenfalls. Und da gab es diese merkwürdige Beziehung zu Susanne Wille, Karstens Sekretärin. Ein noch ungeklärtes Rätsel.
Auch Manfred Klein, der Sicherheitschef von Romann Electronics, kannte seinen Namen. Auch er gehörte immer noch zu den Verdächtigen.
Bernd warf einen raschen Seitenblick auf den Mann, der neben ihm saß. Er war mittelgroß, hatte ein ziemlich unscheinbares Gesicht und eine an den Kopf geklatschte, schwarze Haartolle. Dumm sah er nicht aus, und die Waffe lag ruhig in seiner Hand. Er trug einen durchschnittlich teuren Anzug mit einer breiten, dunkelbraunen Krawatte, die von der Farbe her nicht ganz zum Hemd passte.
Der andere hinter ihm war etwas größer und schwerer, ohne dass er massiv wirkte. Seine Augen waren fast farblos. Sie blickten kalt und feindlich. Dieser Mann war der Gefährlichere von beiden. Er sah aus, als könne er sehr schnell reagieren.
»Achten Sie auf die Geschwindigkeitsbegrenzung!«, befahl der vorn Sitzende. »Wir wollen doch keiner Polizeistreife in die Hände fallen. Das wäre sehr dumm.«
»Oh, ja, das wäre sehr dumm«, echote der andere. »Dann müssten wir Sie nämlich gleich umlegen.«
»Ich habe schon verstanden«, sagte Bernd kühl.
Der Hintere brachte seinen Mund dicht an Bernds Ohr. »Sie sind ein intelligentes Kerlchen. Bleiben Sie so, dann gibt es keine Schwierigkeiten. Es wird nur zwei oder drei Tage dauern, Herr Schuster, dann können Sie wieder Ihrer mühsamen Verbrecherjagd nachgehen.«
Seinen Namen kannten sie also auch. Aber Bernd hatte nicht damit gerechnet, dass er einer Verwechslung zum Opfer gefallen war.
»Biegen Sie dort vorn nach links ab, und dann weiter geradeaus, bis ich Bescheid sage.«
Bernd gehorchte und überlegte fieberhaft, wie er aus dieser Falle entkommen könnte. Im Augenblick gab es keine Möglichkeit. Sie hielten beide ihre Waffen schussbereit und ließen ihn nicht aus den Augen. Er musste warten, bis ihre Wachsamkeit nachgelassen hatte.
Sie fuhren jetzt durch eine menschenleere Seitenstraße in Steglitz, bis der mit den kalten Augen »Halt!« sagte.
Bernd fuhr durch ein geöffnetes Brettertor auf einen schmalen Hof. In dieser Umgebung wirkte sein Wagen wie ein exotisches Wesen.
»Fahren Sie dort in den Schuppen!«, kam wieder ein Kommando.
Bernd rollte langsam in die angegebene Richtung. Er wusste ziemlich genau, wo er sich befand, denn er kannte die Stadt sehr genau. Aber das nützte ihm recht wenig, wenn er keine Hilfe bekam. Franziska würde sich Sorgen machen, wenn er sich nicht meldete, und alle Hebel in Bewegung setzen, aber es war sehr fraglich, ob sie damit Erfolg hatte.
Bernd drehte den Zündschlüssel herum, und der Motor erstarb.
»Sie steigen jetzt langsam aus«, befahl der vorn Sitzende. »Halten Sie die Hände so, dass ich sie immer sehen kann. Wenn Sie ausgestiegen sind, gehen wir gemeinsam durch die Tür da hinten. Gegenüber steht ein Metallbett, darauf legen Sie sich.«
Er wartete nicht auf eine Antwort. Sein Kumpel war bereits ausgestiegen. Sie gingen wirklich kein Risiko ein. Hier etwas zu versuchen, wäre Selbstmord gewesen. Also tat Bernd genau das, was sie von ihm verlangten. Er hatte keine andere Wahl.
Er prägte sich den Weg gut ein. Sein Wagen stand in einem niedrigen Schuppen, der als Lagerraum für allen möglichen Trödel diente. Über allem lag ein scharfer Geruch nach Farbe. Die winzigen Fenster waren von Staub und Spinnweben völlig undurchsichtig.
Bernd stieß die nächste Tür auf und trat in einen kleinen, abgetrennten Raum, in dessen Mitte ein alter Kohleofen stand.
Hier gab es nur ein winziges Fensterchen, durch das höchstens ein kleines Kind gepasst hätte. Gegenüber befand sich das angekündigte Bettgestell, auf dem eine nicht mehr ganz neue Matratze lag.
»Sehr luxuriös, meine Herren«, bemerkte Bernd.
»Das gerade frisch eröffnete Palace Hotel Berlin war leider ausgebucht«, knurrte einer der beiden. »Legen Sie sich auf das Bett.«
Bernd gehorchte und streckte sich aus. Er hörte Metall klappern, und dann schloss sich die Handschelle um sein rechtes Handgelenk. Ein zweites Klicken, und er war an das eiserne Gestell angeschlossen. Es sah im Übrigen ziemlich stabil aus.
Der mit den kalten Augen baute sich vor ihm auf. »Wir werden Sie jetzt gleich wieder verlassen. Machen Sie sich keine Hoffnungen auf eine Befreiung. Sie können hier schreien, soviel Sie wollen. Es dringt kein Laut nach draußen. Die Wände bestehen aus massiven Bohlen, einer Dämmwand und einer weiteren Wand. Der frühere Besitzer brauchte diese Einrichtung, damit niemand seine Druckerpresse hört.«
»Falschgeld, nehme ich an.«
Die beiden lachten herzhaft. »Sie sehen«, fuhr der Mann fort, »dass wir an alles gedacht haben. Sie werden auch nicht verhungern. In der Tüte unter dem Bett finden Sie alles Notwendige. Einen Ausbruchversuch können Sie auch vergessen. Es gibt hier drinnen keine Hilfsmittel, um das stabile Schloss der Tür zu knacken. Also warten Sie ab, bis wir Sie wieder herauslassen. Das ist für alle Beteiligten das Einfachste.«
Bernd wusste, dass sie ihn mit diesen Worten nur in Sicherheit wiegen wollten. Aus irgendwelchen Gründen wollten sie ihn noch nicht umbringen, aber dies würden sie tun, wenn sie ihren Auftrag erledigt hatten.
»Sie werden nicht viel davon haben, dass Sie bei Romann die geheimen Unterlagen klauen«, sagte Schuster ruhig.
Die beiden starrten ihn an, und Kaltauge, wie Bernd ihn inzwischen nannte, stieß einen überraschten Laut aus. »Sie wissen mehr, als für Sie gut ist«, sagte er.
»Diesen Schluss zu ziehen, ist für einen halbwegs intelligenten Menschen nicht sonderlich schwierig. Sie wollen mich aus dem Weg haben, weil Sie bei Romann Electronics einen zweiten Versuch wagen wollen, stimmt's?«
»Glauben Sie, was Sie wollen, aber machen Sie lieber keine Dummheiten. Unseren Plan können Sie doch nicht mehr stören, aber Sie können immerhin noch Ihr Leben retten.«
»Ich werde Ihren weisen Rat befolgen.«
Sekunden später war Bernd allein, und er hatte Zeit, sich in seinem Gefängnis umzusehen. Er war nicht sonderlich begeistert.