Читать книгу Berlin 1968 I. Bitternis - Drei Romane in einem Band - Tomos Forrest - Страница 18
12.
ОглавлениеBernd Schuster hatte seinen Wagen in einer Einfahrt verborgen. Von hier aus konnte er den Eingang zu Romann Electronics gut übersehen.
Er hatte den ganzen Tag Akten gewälzt und sich dabei fast eine Staublunge geholt. Natürlich war nichts dabei herausgekommen. Die Angestellten von Romann schienen danach die reinsten Musterknaben zu sein. Bernd war überzeugt davon, auf diesem Wege keine Spuren zu entdecken, aber er musste andererseits den Wünschen seines Auftraggebers nachkommen.
Immerhin war sein Interesse geweckt worden, besonders nach dem Gespräch mit Klaus Romann. Hinter diesem Fall steckte mehr als ein simpler Einbruch. Und er wollte die Hintergründe herausbekommen.
Deshalb hatte Bernd an diesem Tag etwas früher Schluss gemacht, als er eigentlich sollte. Er musste einige andere Nachforschungen anstellen. Mal sehen, wer von den interessanten Figuren als erster das Werk verließ. An den wollte er sich dranhängen. Da war das Mädchen. Susanne Wille, deren Verbindung mit Klaus Romann einer Überprüfung wert war.
Der Leiter des Werkschutzes, Manfred Klein, schien ihm auch wichtig. Und natürlich Karsten Romann, sein Auftraggeber.
Der war es auch, der heute als erster der fraglichen Personen das Werksgelände verließ. Bernd reckte den Hals und startete den Motor.
Romann fuhr einen dunkelblauen Jaguar. Bernd ließ ihm einen kleinen Vorsprung, dann folgte er ihm. Romann hielt sich peinlich genau an die Verkehrsvorschriften. Im dichten Gewühl des Nachmittagsverkehrs war es für Bernd kein Problem, unauffällig in Sichtweite zu bleiben.
Es ging nach Wedding hinüber, wo Romann nach Süden abbog. Eine halbe Stunde später befanden sie sich in einem ziemlich üblen Viertel. Bernd kannte die Gegend von früheren Fällen.
Die Hauszeilen links und rechts sahen verkommen aus. Seit Jahrzehnten war nichts mehr daran getan worden. Auf den Straßen lungerten halbwüchsige Jugendliche herum, die sowohl dem Jaguar als wenig später auch dem Mercedes begehrlich nachblickten.
Hier wohnten hauptsächlich Arbeiter und solche, die von der Fürsorge lebten. Es gab zu wenig Arbeitsplätze für diese Leute, die oft kaum etwas gelernt hatten. Viele tätigten nur krumme Geschäfte. Für das organisierte Verbrechen waren diese Menschen eine leichte Beute, die sich leicht einspannen ließen, um die schmutzige Arbeit zu tun.
Bernd vergrößerte den Abstand, als Romann erneut rechts abbog. Bernd fuhr vorsichtig bis zur Ecke und lenkte seinen Wagen herum. Zwanzig Schritte weiter parkte der Jaguar an der Bordsteinkante. Von Romann selbst war weit und breit nichts zu sehen.
Bernd parkte ein Stück weiter, wo man den Mercedes nicht gleich entdecken würde, und schloss sorgfältig ab. Einige der hier rasch versammelten Jugendlichen beobachteten ihn aufmerksam. Zwei keifende Weiber warfen sich Schimpfworte an den Kopf. Auf einer Treppe hockte ein Betrunkener oder ein Süchtiger. Vielen blieb kein anderer Ausweg, um das Elend zu ertragen.
Schuster schlenderte zurück und achtete auf die Hauseingänge. Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit, wo Romann verschwunden sein konnte.
Zwischen einem Gemüseladen mit vergammelten Äpfeln in der Auslage und einem Pornoladen mit flackernder Beleuchtung gab es ein weiteres Etablissement. Saloon 2000.
Die hochtrabende Bezeichnung stand mit großen Neonbuchstaben über einer Tür zwischen zwei verhängten Fenstern. Ein junger Mann lehnte mit verschränkten Armen vor der Tür, eine erloschene Zigarette im Mundwinkel. Er starrte Bernd an, der langsam näherkam.
»Kann man eintreten?« erkundigte sich Bernd freundlich.
Der junge Mann spuckte die Zigarette auf die Straße, sodass sie genau vor Bernds Füßen landete. »Wir haben nur Stammgäste«, gab er mit schleppender Stimme bekannt. »Dein Gesicht kenne ich nicht.«
»Und wie wird man Stammgast?«
»Das entscheidet der Boss.«
»Dann würde ich den Boss gerne mal sprechen. Hier steht nichts von einem Privatclub, also könnte jeder dieses Lokal betreten.«
Der Junge grinste. »Der Boss ist nicht da. Ich würde dir nicht raten, zu versuchen, den Laden zu betreten. Ich bin nämlich hier, um einen solchen Versuch zu verhindern.«
Bernd nickte bekümmert. »Die jungen Leute heutzutage sind ziemlich vorlaut. Man müsste ihnen ab und zu mal gute Manieren beibringen. Am besten mit einer kräftigen Ohrfeige«, fügte er freundlich hinzu.
Der junge Mann trat einen Schritt vor. »Was hast du gesagt?« In seinen Augen funkelte Wut.
»Ich wollte nur zu meinem Freund, und du machst Schwierigkeiten. Das wird deinem Boss nicht gefallen.«
»Von welchem Freund redest du?«
Bernd zeigte auf den Jaguar. »Er muss vor einigen Minuten gekommen sein. Du musst ihn doch gesehen haben.«
Der Junge biss sich auf die Lippen. Er schien verwirrt zu sein. Dann hatte er einen Entschluss gefasst. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Ich kenne deinen Freund nicht.«
»Das ist aber schade. Und dabei kommt mein Freund so oft hierher.«
Der Türhüter sah wieder auf den Jaguar. Er schüttelte den Kopf. »Selbst, wenn ich den Mann kenne, würde ich dich noch lange nicht hineinlassen. Das hat der Boss zu bestimmen.«
»Du bist ziemlich hartnäckig«, sagte Bernd ernst.
Der andere grinste ihn tückisch an und ließ plötzlich seine rechte Faust nach vorn schießen.
Natürlich war er viel zu langsam für Schuster, der den Hieb mühelos abfing und seinerseits eine linke Gerade platzierte.
Der junge Mann krümmte sich zusammen und ächzte. Seine Augen wurden klein. Er gab noch nicht auf. Bernd bereitete sich auf den nächsten Angriff vor, aber er hatte keine Sorgen. Der Junge besaß weder Training noch Routine. Höchstwahrscheinlich kannte er ein paar gemeine Tricks, die er sich bei Straßenkämpfen angeeignet hatte.
Die Finte, die dann kam, war in der Tat sehr durchsichtig. Bernd fiel nicht darauf herein, verlagerte sein Gewicht und drehte sich elegant zur Seite, so dass der Schlag ins Leere ging.
Wieder konterte er mit einem Treffer.
Der Junge schüttelte den Kopf, als könne er es nicht fassen, kam wieder hoch und versuchte einen neuen Angriff. »Du verdammter Mistkerl!« brüllte er. »Ich werde es dir schon zeigen!«
Bernd hob einen Fuß leicht an, der junge Mann kam ins Stolpern, und Bernd verpasste ihm einen harten Handkantenschlag in den Nacken. Der Junge stürzte zu Boden und stöhnte. Er versuchte, schwankend wieder auf die Beine zu kommen, aber dann sackte er zusammen und blieb regungslos liegen. Für ein paar Minuten würde er bewusstlos bleiben.
Bernd stieg über ihn hinweg und drückte die Tür zum Saloon 2000 auf. Er kam in einen muffig riechenden Vorraum, in dem es eine nicht besetzte Garderobe gab. Gegenüber lag eine zweite Tür, hinter der Bernd Gläser klirren und das Gemurmel von Stimmen hörte. Dazwischen unterschied er das Klacken von Billardkugeln.
Vorsichtig drückte er die eine Hälfte der Doppeltür auf und spähte in den dahinter liegenden Raum. Es war eher eine Halle. Niedrig und teilweise grell beleuchtet.
Mitten im Raum befanden sich drei Billardtische, die dicht umlagert waren. An der Schmalseite des Raumes gab es einen langen Tresen mit Barhockern, die fast alle besetzt waren. Die übrigen drei Seiten des Lokals waren mit Tischen und Stühlen ausgefüllt. Das Lokal war gut besucht.
Kein Mensch achtete auf ihn, und so schlüpfte Bernd rasch hinein. Der Saloon 2000 schien eine ganz normale Kneipe zu sein, mit den üblichen Vergnügungen für die breite Masse.
Es gab nur ein Problem. Bernd konnte Karsten Romann nirgends entdecken. Er überprüfte den ganzen Raum, aber die Suche blieb erfolglos. Der Unternehmer blieb verschwunden.
Bernd dachte nach. Es war kaum möglich, dass Romann sich anderswo befand. Er war bestimmt hier hineingegangen! Auch die Reaktion des Türhüters hatte darauf hingewiesen. Also gab es nur eine Möglichkeit. Hinter dem Saloon 2000 gab es noch etwas, das nicht vor den Augen der Öffentlichkeit ausgebreitet wurde. Das Lokal war Einnahmequelle und Tarnung zugleich. Bernd wusste, dass es in der Regel nur eine Möglichkeit gab.
Er befand sich in einer illegalen Spielhölle!
Als er mit seinen Überlegungen so weit gekommen war, stellte er sich an die Bar und verlangte ein Bier, das der Keeper wortlos vor ihn hinstellte. Bernd nahm einen Schluck. Es schmeckte wie erwartet: schal.
Er sah sich weiter aufmerksam um. Nach fünf Minuten bemerkte er mehrere Männer in guten Anzügen, die durch eine schmale Tür kamen, auf der sich der Hinweis befand, dass es hier zu den Toiletten ging. Trotzdem war es merkwürdig, dass diese Männer alle zur gleichen Zeit herauskamen. Bernd hatte sie auch nicht hineingehen sehen. Er wartete, bis sie aus der Nähe der Tür verschwunden waren, dann ging er selbst hinüber.
Hinter der Tür befand sich ein langer düsterer Gang, der nur durch ein paar trübe Lampen erhellt wurde. Mehrere Türen gingen von dem Gang ab.
Die Aufschriften auf den Türen waren die üblichen. Damen, Herren, Küche. Und auf der letzten stand: Privat - Eintritt verboten.
Bernd nickte. Das musste die richtige sein. Er drückte die Klinke herunter. Sie war verschlossen. Er musterte das Schloss und zog ein Etui aus seiner Tasche. Es konnte nicht allzu schwierig sein, das Ding aufzubekommen.
Mit dem Dietrich tastete er das Innere des Schlosses gefühlvoll ab, bis er die Zuhaltungen knacken hörte. Ein Sicherheitsschloss hätte er nicht so leicht geöffnet.
Hinter der Tür lag eine Treppe, von der im ersten Stock im rechten Winkel ein weiterer Gang abzweigte. Bernd stieg vorsichtig hinauf. Die Treppe wurde von einem weichen Teppich bedeckt, und auch die Wände waren im Gegensatz zum Erdgeschoß tapeziert. Er kam sich vor wie in einer anderen Welt.
Vorsichtig spähte Bernd um die Ecke. Am Ende des Ganges gab es eine massive hölzerne Doppeltür mit Messingbeschlägen. Davor stand ein kleiner Tisch, und dahinter saß ein massiger Mann mit einer extrem niedrigen Stirn. Er las in einem Comicheft. Unter seiner geöffneten Jacke war die Pistole deutlich zu erkennen.
Jetzt wusste Bernd, dass sein Verdacht richtig gewesen war. Aber er hätte zu gern noch einen Blick hinter die Tür geworfen. Wenn er den Wächter ablenken könnte, wäre es vielleicht möglich.
Bernd war sicher, dass es keine weiteren Kontrollen gab. Vermutlich besaßen die Kunden einen Schlüssel zu der Treppe, und der Wächter überprüfte sie, bevor sie eintraten. Wahrscheinlich gab es ein Kennwort oder etwas Ähnliches, denn der Mann sah nicht so aus, als ob er mehr als drei Namen oder Gesichter im Gedächtnis behalten könnte.
Zu Bernds Rechten befand sich ein roter Samtvorhang. Er streckte die Hand aus, um einen Blick dahinter zu werfen. Es gab nichts. Der Vorhang verdeckte nur ein Stück kahle Mauer. Er beobachtete den Mann, der ziemlich lange brauchte, bis er eine Seite seines Heftes gelesen hatte. Er fuhr mit dem Finger die Sprechblasen entlang, und auf seinem Gesicht lag ein idiotisches Grinsen. Manchmal lachte er glucksend.
Bernd riskierte es. Der Mann schien ziemlich in seine Lektüre vertieft zu sein. Sicher rechnete er nicht mit einer Überraschung.
Bernd huschte hinter den Vorhang, der sich nur einmal kurz blähte. Dann bewegte sich keine Falte mehr. Der Vorhang reichte bis auf den Boden, so dass nichts von ihm zu sehen war. Allerdings musste er sich ziemlich gegen die Wand drücken.
Bernd griff in seine Tasche und zog einen Groschen heraus. Mit einer geschickten Bewegung warf er die kleine Münze bis zum Ende der Treppe hinunter. Sie prallte klirrend gegen die Tür, schlug leise auf den Teppich und blieb liegen.
Der Wächter stieß einen überraschten Laut aus, dann hörte Bernd, wie ein Stuhl gerückt wurde. Schwere Schritte kamen näher. Er hielt den Atem an.
Der Mann stand jetzt auf Armeslänge von ihm entfernt. Er hörte die schnaufenden Atemzüge und ein unverständliches Gemurmel. Dann stieg der Mann die Treppe hinunter.
Bernd kam aus seinem Versteck heraus und lief lautlos den Gang entlang. Ihm blieben nur ein paar Sekunden.
Er zögerte kurz, als seine Hand auf der Klinke lag, dann öffnete er die Tür. Dahinter befand sich gleich eine zweite gepolsterte Tür. Man wollte offenbar dafür sorgen, dass kein Geräusch nach außen drang. Bernd zog die erste Tür hinter sich zu und blickte durch das Schlüsselloch der zweiten.
Er sah einen Roulettetisch und eine Menge Männer, die gebannt auf das Geschehen auf dem grünen Filz starrten. Qualmwolken aus dicken Zigarren schwebten durch die Luft. Ein Kellner mit einem Tablett voller Gläser lief durch sein Blickfeld. Es sah so aus, als könne er gefahrlos die Tür öffnen. Bernd tat es entschlossen.
Er machte sie sofort wieder zu und ging rasch ein paar Schritte zur Seite, ehe jemand auf ihn aufmerksam wurde. Dann zündete er sich eine Roth Händle an und lehnte sich gegen die Wand, um sich einen Überblick zu verschaffen. Wie vermutet, befand er sich in einem illegalen Spielsalon, und er war gut besucht.
Karsten Romann saß an einem Black Jack - Tisch. Er starrte gebannt auf den Kartengeber, der den Mitspielern die Karten zuwarf. Romann hob die Karten kurz an und blickte darunter. Er machte ein knappes Zeichen, dass er keine weitere brauchte, und lächelte dünn.
Bernd trat näher heran, um sich nichts von dem Geschehen auf dem grünen Filz entgehen zu lassen. Er hatte keine Sorgen, dass Romann ihn gleich entdecken würde. Der Mann war Spieler, das sah Bernd auf den ersten Blick.
Und er spielte hoch!
In dem eingezeichneten Rechteck vor seinem Platz lagen Jetons mit hohen Werten. Sie sahen so aus wie in allen Spielbanken, gleichgültig ob legal oder illegal.
Das Spiel ging weiter. Sechs Personen saßen am Tisch, eine ganze Reihe weiterer stand dahinter und setzte ebenfalls mit.
Der Geber deckte auf. Er nahm noch eine Karte. Ein leichtes Raunen. Black Jack! Die Einsätze verschwanden bei der Bank.
Romann runzelte die Stirn und grub in seinen Taschen nach weiteren Jetons. Er häufte einen Stapel vor sich auf und das Spiel ging weiter.
Bernd schlenderte durch den Raum. Es waren mindestens fünf Dutzend Spieler versammelt. Er würde also überhaupt nicht auffallen. Es war auch kaum anzunehmen, dass alle Gesichter bekannt waren. Normalerweise gab es ein bestimmtes Verfahren, mit dem die Interessenten die Spielhölle betreten konnten. Hier war es der Schlüssel, und außerdem noch die Kontrolle durch den Wächter. Bernd hatte beide Hürden genommen, und niemand würde im Traum daran denken, dass er nicht hierhergehörte.
Am Roulettetisch herrschte ziemlicher Betrieb. Es ging kaum um kleine Einsätze. Hier lag auch Bargeld auf dem Tisch. Eben setzte wieder ein Mann mit stechenden Augen fünf Hundert-Mark-Noten auf Zero.
Die Elfenbeinkugel klickte in die siebzehn. Der Mann zuckte mit den Achseln und holte ein neues Geldbündel aus der Tasche. Vermutlich ein Zuhälter, der die Tageseinnahmen vermehren wollte. Oder ein ganz seriöser Geschäftsmann. Die Spielleidenschaft machte keine Unterschiede.
Bernd wandte sich wieder zu Karsten Romann. Er stellte sich schräg hinter ihn. Der Mann hatte feine Schweißperlen auf der Stirn. Sein Häufchen Jetons war ziemlich zusammengeschmolzen. Er schien nicht besonders viel Glück im Spiel zu haben.
Bernd überlegte. Karsten Romann erhielt durch diese Tatsache eine völlig neue Bedeutung. Wenn er ein Mensch war, der am Spieltisch viel Geld verlor, rückte er automatisch in die Reihe der Verdächtigen. Denn es konnte sein, dass er seine Spielschulden nur noch mit verzweifelten Maßnahmen decken konnte. Es war nur ein Verdacht, und Romann sein Auftraggeber. Aber Bernd ging es darum, die Wahrheit herauszufinden. Er musste Romann einfach weiter beobachten.
Bernd spürte eine Hand auf seiner Schulter. Ein schmieriger, südländischer Typ im dunklen Maßanzug, grinste ihn an. »Ich sehe, Sie haben überhaupt noch nicht gespielt. Gefällt es Ihnen bei uns nicht?«
Bernd machte eine vage Handbewegung. »Ich muss mich zunächst mit der Atmosphäre anfreunden. Ich habe viel Zeit. Ich setze mich nicht gleich an den Tisch, wenn ich hereinkomme.«
Der andere nickte verschwörerisch. »Verstehe. Sie wollen herausfinden, wo interessante Spieler sitzen. Wo es sich lohnt. Sie sind ein Profi, nehme ich an.«
Bernd machte ein nichtssagendes Gesicht.
Der andere grinste noch breiter. »Wir haben auch einen Pokertisch. In einem Nebenraum. Dort wird allerdings sehr hoch gespielt. Wenn Sie daran Interesse haben sollten, sprechen Sie mich an. Sie finden mich sicher irgendwo. Ich muss mich um alles kümmern.«
Der Typ verschwand wieder in der Menge. Verdacht hatte er wahrscheinlich nicht geschöpft. Bernd wandte seine Aufmerksamkeit wieder Karsten Romann zu, der in diesem Moment suchend den Kopf drehte. Bernd trat ein bisschen zurück.
Romann winkte den Mann heran, mit dem Bernd sich gerade unterhalten hatte. Der Südländer glitt wie eine Schlange durch die anderen Menschen, ein verbindliches Lächeln auf dem Gesicht.
Die beiden tuschelten miteinander. Romann stand auf und zog den anderen in eine Ecke. Der schüttelte abwehrend den Kopf.
Bernd musste das Gespräch belauschen. Er drängte sich näher heran. Hinter einem Wandvorsprung gelang es, ohne dass er verdächtig wirkte. Er zündete sich noch eine seiner Zigaretten an.
»Ich kann Ihnen keinen weiteren Kredit geben«, sagte der Schmierige. »Sie wissen doch, wie hoch Ihre Schulden inzwischen sind.«
»Ich zahle Ihnen alles zurück«, drängte Romann. »Schließlich bin ich kein armer Mann, und ich werde demnächst über viel Geld verfügen.«
»So? Wir haben uns informiert.« Das Lächeln war auf dem Gesicht des Südländers erloschen. »Ihre Firma gehört Ihnen nur zum Teil, und die wirtschaftliche Lage ist alles andere als rosig. Sie haben ein bisschen Pech in letzter Zeit gehabt. Nicht nur bei uns am Spieltisch.«
»Woher wissen Sie das?«
»Wir haben einen gut funktionierenden Nachrichtenapparat. Tausend Augen und Ohren arbeiten für uns. Wir wissen genau, was wir über unsere Gäste wissen müssen.«
Aus Romanns Gesicht wich alle Farbe. Er stützte sich an der Wand ab und sah aus, als sei ihm plötzlich schlecht geworden.
»Sie müssten dann auch wissen, dass ich Regierungsaufträge habe. Man kann mich nicht fallenlassen. Mein Unternehmen ist viel zu wichtig. Wir arbeiten an streng geheimen Entwicklungen.«
»Das interessiert uns nicht. Wir wollen nur das Geld, das Sie uns schulden. Das ist alles.«
»Das bekommen Sie auch. Aber geben Sie mir noch eine Chance. Ich spüre, dass ich heute Abend noch eine Glückssträhne erwische. Ich weiß es! Geben Sie mir noch einen Kredit. Zum letzten Mal! Dann kann ich alles zurückzahlen.«
Der andere runzelte die Stirn. »Und wenn Sie wieder verlieren?«
»Nein, nein! Heute gewinne ich!«
Der Schmierige blieb hartnäckig. »Ich brauche eine Sicherheit, wenn Sie noch einen Kredit haben wollen.«
»Sie können alles haben. Aber geben Sie mir heute Abend fünfzigtausend Mark. Sie werden sehen, dass ich heute schon meine Schulden zurückzahlen werde. Ich gewinne!«
Der andere zog einen Zettel aus seiner Brieftasche und kritzelte etwas darauf. Dann drückte er ihn Romann in die Hand. Der warf nur einen kurzen Blick darauf und unterschrieb hastig. In seinen Augen glitzerte die Vorfreude auf die nächste Spielrunde.
»Gehen Sie damit zur Kasse. Sie werden die fünfzigtausend bekommen. Aber es ist zum letzten Mal. Wenn Sie wieder kein Glück haben, werden wir verlangen, was Sie uns heute unterschrieben haben.«
Bernd hätte gerne einen Blick auf das Papier geworfen. Er war sicher, dass Romann sich damit endgültig in die Hände der Gangster begeben hatte, denen diese Spielhölle gehörte. Es war einer der ältesten Tricks der Branche, mit Hilfe von Spielschulden andere in irgendeiner Form zu erpressen. Romann befand sich in höchster Gefahr, wenn er wieder verlor.
Bernd sah ihn hinüber zu der gesicherten Kasse gehen und mit einem großen Stapel Jetons zurückkommen. Der andere Typ war schon wieder verschwunden. Er hatte bestimmt ein gutes Geschäft gemacht.
Romann ließ sich wieder am Black Jack nieder und setzte sofort einen hohen Einsatz. Er gewann!
Damit schien auch die letzte Bremse gelöst zu sein. Mit fiebrigen Augen versuchte er das Glück zu zwingen. Er verlor und gewann auch zwischendurch, aber der Haufen Jetons vor seinem Platz wurde immer kleiner. Die anderen Spieler warfen ihm manch mitleidigen Blick zu, aber er schien die anderen überhaupt nicht zu bemerkten. Seine Augen hingen an den Händen des Gebers, der mit geschickten Bewegungen die Karten aus der Maschine schleuderte.
Dann war es plötzlich aus. Romann hatte seinen letzten Jeton verspielt. Langsam schien er aus einer Art Trance aufzuwachen. Er starrte über den Tisch, über den bereits das nächste Spiel lief, zum ersten Mal ohne ihn.
Romann wühlte in seinen Taschen, brachte ein paar zerknüllte Dollarnoten zum Vorschein, aber der Croupier machte eine abwehrende Handbewegung. Wie aus dem Boden gewachsen, stand auch schon der schmierige Typ neben ihm, das Lächeln wieder auf dem Gesicht.
»Bitte räumen Sie den Platz«, sagte er ruhig. »Es gibt andere Spieler, die gern sitzen würden. Wie ich sehe, haben Sie Ihr Geld verspielt. Kommen Sie, ich lade Sie
zu einem Drink an der Bar ein. Wir haben ein paar Dinge zu besprechen.«
»Ich... ich... brauche noch eine halbe Stunde. Geben Sie mir die Chance. Jetzt klappt es.«
»Oh, nein. Jetzt ist es endgültig aus. Kommen Sie.«
Er zog Karsten Romann auf die andere Seite des Raumes hinüber. Dort befand sich eine kleine Bar, an der mit düsteren Gesichtern ein paar Typen lehnten. Vielleicht hatten sie auch wie Romann ihr Geld verspielt.
Bernd wusste jetzt genug über seinen Klienten. Mit den Spielschulden allein von heute konnte er unter Druck gesetzt werden. Und wie Bernd solche Gangster kannte, würden sie es auch tun, wenn sie einen Vorteil herausschlagen konnten. Im Moment konnte Bernd nichts dagegen unternehmen.
Jetzt musste er sich nur noch unauffällig verdrücken. Bis jetzt hatte Romann ihn nicht gesehen, und dabei sollte es auch bleiben.
Bernd schob sich zum Eingang hinüber, öffnete die Tür und verließ den Raum. Der Wächter blickte hoch. Augenblicklich begann es hinter seiner niedrigen Stirn zu arbeiten.
Bernd grüßte höflich und wollte sich an ihm vorbeidrücken.
»Moment mal!«, sagte der Wächter heiser. »Ihr Gesicht habe ich noch nie gesehen. Wie kommen Sie hier rein?«
Seine rechte Hand schoss nach vorn und packte Bernd am Aufschlag. Schuster drehte sich langsam herum und entfernte die Hand mit einem ziemlich schmerzhaften Griff.
Der Wächter knurrte. Dann wollte er zu seiner Pistole greifen. Doch wieder war Bernd schneller. Beide Hände packten zu und rissen den Mann nach vorn. Er knallte heftig auf die Tischplatte. Holz splitterte.
Der Mann stöhnte.
Bernd angelte mit einer raschen Bewegung die Waffe des anderen heraus und trat einen Schritt zurück. »Ich habe es nicht gern, wenn Leute mit dreckigen Fingern an meine Klamotten greifen.«
Der Wächter richtete sich vorsichtig wieder auf. Auf Kinn und Nase prangten ein paar prächtige Schrammen. »Damit kommen Sie nicht durch, Herr«, grollte er. »Sie sind noch nicht draußen.«
Bernd ließ das Magazin der Pistole auf seine Hand gleiten und ließ dann die Patronen auf den Boden fallen. »Ich gehe jetzt«, teilte er mit. »Und beim nächsten Mal benimmst du dich gefälligst nicht wie ein Gorilla, sonst werde ich richtig ungemütlich.«
Er warf die Pistole in eine Ecke und ging den kurzen Korridor entlang. Er hatte kein Interesse daran, dass man auf seine Anwesenheit aufmerksam wurde. Vielleicht dachte der Wächter jetzt doch, dass er sich geirrt hatte. Der Mann murmelte hinter ihm unverständliche Worte, machte aber keine Anstalten, ihn aufzuhalten.
Bernd stieg die Treppe hinunter und ging in das Lokal. Niemand folgte ihm, und hier nahm erst recht niemand Notiz von ihm. Umso besser.
Er atmete tief durch, als er auf der Straße stand.
Und dann fluchte er, als er feststellte, dass man während seiner Abwesenheit die Wischerblätter an seiner Windschutzscheibe geklaut hatte.
Dies war Berlin.