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Alles Fleisch ist wie Gras

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»Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Schönheit wie die Blume des Feldes. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt.«11

Zugegeben, im engeren Kontext des Propheten Jesaja besagt dieser Spruch etwas anderes als dieses aus dem Kontext herausgeschnittene Teilzitat. Denn dort wird der Prophet von Jahwe aufgerufen, Israel zu ermutigen, in der Wüste eine Straße für Jahwe vorzubereiten. Wenn in der Wüste alles geebnet wird, wird Jahwe kommen. Und der Prophet soll dies auch verkünden:

»Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Schönheit wie die Blume des Feldes. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn Gottes Odem sie anweht. Das Volk ist Gras. Das Wort unseres Gottes aber bleibt ewig.«

Längst hat sich aber die erste Hälfte des Textes verselbstständigt – als Symbol der Hinfälligkeit und der Vergänglichkeit der Menschen. Brahms hat diesem Text durch sein Requiem eine unvergängliche Kraft verliehen. Bei Jesaja wie bei Brahms sowie im folgenden Gedicht von R. M. Rilke ist die Vergänglichkeit des Menschen nicht trostlos, denn Jahwe, Gott oder »Einer« hält die fallenden Menschen:

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

als welkten in den Himmeln ferne Gärten;

sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde

aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: es ist in allem.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

Unendlich sanft in seinen Händen hält.

Rainer Maria Rilke (1902)12

Wir sterben und wissen nicht wohin

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