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Der zivilisierte Aasfresser

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Ist der Mensch auch ein Aasfresser? Die Frage ist mit einem klarem Ja zu beantworten, wenn man unter ›Aas‹ nicht unbedingt vergammeltes Fleisch versteht (aber auch dieses Fleisch essen die Menschen, zumeist, ohne es zu wissen), sondern totes Fleisch. Denn auch der Mensch ist ein Tier, oft ein fleischfressendes. Er war früher sogar ein Jagdtier. Diese Gewohnheit hat der Mensch keinesfalls aufgegeben. Manche jagen heute zum Sport, um den alten Trieb des Clanmenschen zu befriedigen. Aber der Mensch jagt auch heute, um die eigene Nahrung abzusichern. Er jagt Vögel in der Luft, Fische im Meer und Tiere, die auf dem Boden leben. Die meisten Menschen brauchen heute aber nicht mehr selbst zu jagen. Der Mensch ist inzwischen zivilisiert. Er ist kein Wilderer mehr, er ist schon seit langem fähig, Haustiere zu halten, sie zu mästen und dann zu töten, um deren Fleisch zu essen.

Wenn man aber ›vom Menschen‹ redet, so flüchtet man sich in eine grobe Verallgemeinerung. Den Menschen gibt es nicht. Es gibt zurzeit sieben Milliarden Menschen, von denen die meisten Fleisch essen wollen. Und sie jagen längst nicht alle. Die Menschen sind nicht nur zivilisiert, sondern auch organisiert. Die allermeisten essen Fleisch, das andere getötet und zerlegt und mundgerecht geschnitten haben.

Es gibt jagende Menschen, Menschen, die das tote Tier zerlegen und das tote Fleisch lagern. Der Mensch kann auch Fleisch essen, das monatelang gelagert wurde. Das Fleisch kann so lange gelagert werden, dass die Menschen sich gar nicht erinnern würden, wann es geschlachtet wurde, würde kein Gesetz dafür sorgen, dass das Datum auf dem Packzettel vermerkt wird.

Der Mensch ist also selbstverständlich ein Aasfresser, aber ein zivilisierter.

Global genommen essen die Menschen jede Sorte von Tierfleisch: von allerlei Fischen, sogar von Meeressäugern, allerlei Tieren auf der Erde, allerlei Vogelarten.

Nicht jeder Mensch und nicht jedes Volk isst jede Fleischsorte. Schon aus religiösen Gründen nicht. Die Hindus essen die Kuh nicht, weil sie heilig ist, die Juden und die Muslime essen kein Schweinefleisch, weil Jahwe bzw. Allah es verboten hat. Wir in Europa essen meistens kein Hundefleisch, was in China als Delikatesse gilt. Kultur und Religion beeinflussen auch den Appetit und die Neigung, die eine oder andere Fleischsorte zu essen.

Der Hund, der in chinesischen Restaurants gerne serviert wird, ist etwa bei uns in Europa ein so treuer Freund, dass wir für ihn aber wirklich alles tun – sogar seinen Kot sammeln wir unterwegs. Sein Fleisch können wir natürlich, aus reiner Anhänglichkeit, nicht essen. Wenn ein Hund sich von uns verabschiedet und in das Reich der Toten hinüber segelt, wird er nicht selten wie ein guter Mensch und naher Verwandter mit allen zeremoniellen Würden beerdigt.

Aber ansonsten isst die Gesamtheit der Menschen doch alle Arten von Tieren: im Wasser schwimmende, in der Luft fliegende, auf Erden gehende oder kriechende, alles, was der Mensch erreichen, jagen und töten kann. Inzwischen ist eine Nahrungsindustrie entstanden, die es dem Menschen erlaubt, zu jeder Zeit ein Stück Fleisch zu essen, ohne dass er mit Jagdutensilien losziehen muss. Das erledigen für den hungrigen Menschen berufsmäßig andere Menschen so zeitig, dass er nur in den Kühlschrank greifen muss, rohes Fleisch braten oder bereits von anderen Menschen für ihn gebratenes Fleisch wärmen und essen kann. Manchmal muss er daran denken, eingefrorenes Fleisch rechtzeitig aus der Tiefkühltruhe herauszunehmen und auftauen zu lassen. Das ist alles.

Also der Mensch isst totes Fleisch, sogar Fleisch, das bereits längst tot ist. Er ist ein Nekrophage, Esser von totem Fleisch und, wenn man sich vor dem Wort nicht ekelt, ein Aasesser. Da er letztendlich auch ein Tier ist, kann man wohl sagen, dass er ein Aasfresser ist.

Der Mensch beteiligt sich aber nicht nur aktiv am Konsum von totem Fleisch. Er ist auch Gegenstand von Nekrophagie. Auf Deutsch gesagt: Er wird auch von anderen Tieren gefressen.

Am brutalsten passiert es natürlich, wenn ein Mensch von einem wilden Jagdtier erlegt und gefressen wird. Obwohl der Mensch durch seine Waffen meistens besser gerüstet ist als ein Tier, befindet er sich manchmal doch in einer unterlegenen Situation, und er ist nicht in der Lage, den Angriff abzuwehren. So wird er von einem Jaguar oder einem Leoparden erlegt, zerfleischt und – manchmal – noch bei lebendigem Leib gefressen. Geschieht das zum Beispiel im Dschungel oder in der Wüste, so wird sein Fleisch durch das Rudel aufgeteilt und aufgefressen. Knochen werden nicht immer mit vertilgt. Nicht selten bleiben üppige Überreste liegen. Da kommen weitere Aasfresser und erfreuen sich an den Resten des gewesenen Menschen: die berühmten Hyänen, aber auch allerlei Vögel stürzen sich auf die Reste und picken sich saftige Menschenfleischstücke ab.

Zum Schluss kommen die kleinen Tiere, zum Beispiel die Ameisen. Sie müssen auch leben und sie machen wie die großen Kollegen zwischen Fleisch und Fleisch keinen großen Unterschied, um ehrlich zu sein, gar keinen.

Wir sterben und wissen nicht wohin

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