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Berührungen mit dem Tod

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Unter vielen Themen, mit denen ich mich persönlich beschäftigt habe, sind mir zwei besonders nahegegangen: Gott und der Tod. Irgendwie sind beide Themen miteinander verknüpft, was kulturgeschichtlich in den unterschiedlichsten Kulturkreisen leicht feststellbar ist.

Das Thema Gott – abhängig vom jeweiligen und sich verändernden Bild, das ich mir von Gott machte, also abhängig davon, wie ich in irgendeiner Phase meines Lebens über ›Gott‹ dachte, wie ich ihn mir vorstellte – hat mein Leben existenziell beeinflusst. Lange Zeit war ich ein Mensch des zurückhaltend bejahenden Glaubens und der hinterfragenden, kritischen Hoffnung. Aber auch in dieser Lebensphase war ich eher ein nachdenklicher als ein begeisterter Bekenner. Missionieren lag mir fern, Charismatiker sind mir immer suspekt gewesen und wie Gaukler vorgekommen.

Später zerbrachen mehrere Gottesbilder in meiner Vorstellungswelt, und bei mir entstand eine beunruhigende und gleichzeitig wohltuende Sprachlosigkeit. Über das Thema Gott habe ich ein ganzes Buch geschrieben7.

Wie kluge Marktbeobachter wissen, sind die Bücher dafür da, um den Autor und die Leser in ihren Ansichten zu festigen. Auch mein Buch hat bei den wenigen Lesern, die bereits meine Ansicht teilten, diesen Effekt gehabt: Sie reagierten begeistert, und ich fühlte mich in meinem Versuch, mir Rechenschaft zu geben, bestätigt. Der Gang der Dinge und der Kurs der Weltgeschichte wurden dadurch natürlich um keinen Zentimeter verändert. Die anders Denkenden, Fühlenden und Glaubenden haben das Buch entweder nicht gelesen oder meine Gedanken als versteckten Atheismus gedeutet oder einfach bedauert, dass einer, der das ganze berufliche Leben mit Lesen und Verlegen von theologischen Büchern verbracht hat, zu keinem anderen Ergebnis kommt als zum Agnostizismus. Und Agnostizismus wird als Kategorie, als Substantiv, also als eine Substanz gewordene Größe verstanden, so wie die parallelen Begriffe Theismus und Atheismus. Ich selbst habe nie behauptet, ich sei ein Agnostiker. Ich habe nur behauptet, dass ich über das Thema Gott vieles schreiben könnte, über Gott selbst aber nichts weiß, – was, wenn man will, ein positives Bekenntnis zum Nichtwissen ist. Andere haben mir gewünscht, ich möge irgendwann Gott entdecken oder ihm gar begegnen und darüber ein neues Buch schreiben.

Das Thema ist für mich keineswegs ›erledigt‹ oder gar zu Ende gedacht. Wie könnte es auch sein. Ich will es im Zusammenhang mit dem Thema Tod noch einmal angehen, denn beide Themen sind stark miteinander verwoben.

Beide Themen sind mir auch persönlich wichtig. Ihre Gegenstände (Gott und der Tod) berühren mich aber unterschiedlich. Gott könnte ich auf Anhieb lieben, wenn ich ihm begegnen würde, weil ich mit seinem Bild lauter gute Eigenschaften verbinde, sodass es mir warm ums Herz wird. Dem Tod kann ich spontan keine Sympathie entgegenbringen, geschweige denn ihn so lieben wie jenen Gott, den ich im Kopf habe. Ich möchte ihn von mir fernhalten. Kurz formuliert: Wenn es ihn gibt, möge Gott mich vor dem Tod schützen und retten.

Ob meine Ansichten mich weiterbringen werden, werden wir sehen. Es könnte sein, dass dieser aufmerksame und neugierige Besuch in den Wohnungen des Todes, nachdem ich geistig einige Monate lang im Reich der Toten herumgeirrt bin, ziemlich ergebnislos bleiben wird. Auch diesmal befürchte ich, keine zuverlässigen Antworten auf die Frage geben zu können, was unser Los nach dem Tod sein wird. Ich denke, der Titel des Buches ist das kurz gefasste Ergebnis meiner langen Reise.

Ich habe das Buch zunächst für mich selbst geschrieben, zu meiner Selbstvergewisserung. Es war für mich eine abenteuerliche, interessante Reise. Gern würde ich einige interessierte Menschen mit auf diese Reise mitnehmen.

Das Thema Tod habe ich bald nach dem Erscheinen meines Buches über Gott und die Götter in Angriff genommen, aber ich habe mich mit dem Thema schwergetan. Es ist ein unendlich großes Thema. Ist Gott, wie der erste Johannesbrief meint, größer als unser Herz, so ist der Tod so mächtig, dass er imstande ist, unser Herz endgültig zum Stillstand zu bringen.

Nicht nur das Thema flößt mir Respekt ein, der Tod selbst ist mir unheimlich, weil er überall präsent ist. Er folgt uns auf Schritt und Tritt und versucht, wie ein Chamäleon sich in jeder Umgebung mimetisch unbemerkbar zu machen, sodass wir uns einbilden, er sei nicht in unserer Nähe und wir könnten, von ihm unbemerkt, unbegrenzt leben.

Wir sehen ihn nicht. Wenn wir aber aufmerksam sind, fühlen wir ihn hautnah. Wenn wir nicht laut sind, spüren wir seinen Atem, wenn wir mit unseren Worten kein unnötiges lautes Geräusch machen, hören wir seine Schritte.

Irgendwann, irgendwie und überall werden alle Menschen vom Tod erreicht. Er ist wie ein unheilbares Krebsgeschwür, das überall wütet. Alles, was lebt, wird sterben. Der Tod berührt uns, weil er an den Wurzeln unserer Existenz rüttelt und sie aus dem Erdboden des Lebens herausreißt.

Mit ihm befassen sich, nicht unbedingt lustvoll, aber sehr intensiv, alle Kulturen.

Und auch hier, wie bei der Frage nach Gott, braucht der Mensch Trostbilder, besonders Bilder eines tröstenden, besser noch: eines vom Tod erlösenden Gottes.

Das Thema kann man auf viele Arten behandeln. Mir kommen spontan zwei Wege in den Sinn, und ich werde versuchen, beide zu beschreiten. Der erste ist die eher historische, distanzierte Betrachtungsweise der Kultur- und der Religionsgeschichte. Kultur und Religion überschneiden sich häufig, sind aber nicht deckungsgleich. Kultur kann auch religiöse Kultur sein, Religion ist aber in der Geschichte der Kultur nicht allgegenwärtig.

Die Fragen und Antworten der Kulturgeschichte zum Thema Tod und Jenseits, sind immer verknüpft mit der dazugehörigen Vorstellung der Weltentstehung und -struktur (Kosmogonie, Kosmologie) und sehr häufig mit den Gottesvorstellungen (Theologie).

Diese Ebene berührt uns nur deshalb weniger, weil die Vorstellungen vom Tod und Jenseits, die uns dort begegnen, historische Fossilien sind, die mit unserer heutigen Welt wenige Berührungen haben. Sie waren aber nicht immer Fossilien. In einer früheren Phase waren sie aktuelle Bilder der Menschen, Schreie der Verzweiflung und Hilferufe zugleich. Als diese Todesvorstellungen entstanden sind, waren sie genauso existentiell besetzt wie unsere heutigen Fragen und Antworten, die in einigen Jahrhunderten auch als Fossilien angesehen werden.

Der zweite Weg ist die existentielle Betrachtung, und diese schließt die eigenen, persönlichen Todesberührungen mit ein.

Weniger als der Tod selbst, der mich irgendwann ereilen wird, interessiert mich und viele andere Menschen die Frage, was nach dem Tod mit uns geschieht. Was sich einer zuverlässigen Antwort entgegensetzt, ist die Tatsache, dass wir über die Zeit nach dem Tod genau so viel wissen wie über Gott, nämlich rein gar nichts.

Der Tod ist eine fiktionale Gestalt von Literatur und Kunst, eine sprachliche, kulturelle Personifizierung und Mystifizierung eines Vorgangs. Er wird wie eine Person, eine Hypostase, dargestellt, auch wenn sie kein Fleisch und keine Gesichtsmuskeln mehr mit sich trägt. Blutleer, doch sehr aktiv, ein sehr lebendiger Tod, der mit seiner Sense kommt, und wehe dem, den er trifft.

Der Tod ist nur ein literarisches, künstlerisches und sprachliches Produkt, wenn man will: ein Mythos. Es gibt – paradoxerweise – sozusagen keinen Tod, obwohl wir alle, mitsamt der Natur, sterben. Alles stirbt um uns herum und wir sterben mit allen anderen Naturerscheinungen. Aber den Tod, also ein Wesen, das sich Tod nennt, gibt es nicht.

Auch diesbezüglich scheinen der Tod und Gott nahe Verwandte zu sein. Beide scheinen Produkte unserer Fantasie, unserer dichterischen Fähigkeit zu sein, aus Vorgängen personifizierte Wesen, mythische Geschöpfe, zu bilden. Wir wissen nicht, was hinter diesen Bildern von Gott und vom Tod steht. Den Vorgang des Sterbens können wir beschreiben, weil er beobachtbar ist. Nur weiß keiner, was danach kommt.

Befassen wir uns vor dem Tod mit der Zeit nach dem Tod.

Und schon drängt sich die Frage auf, welche ›Zeit‹ hier gemeint ist. Möglicherweise haben wir nach dem Tod keine Zeit mehr, oder die Zeit ist nicht mehr unsere Zeit, sondern die Zeit der anderen, der noch Lebenden. Wenn nach dem Tod noch Zeit wäre, wäre der Tod gar nicht der richtige Tod, das Ende. Streng genommen gibt es also gar keine Zeit nach dem Tod. Und über diese Zeit kann man nicht viel erzählen. Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob nach dem Tod eine neue Zeit anfängt.

Monatelang war ich auf der Suche nach Antworten. Monatelang hielt ich mich als Lebender im Reich der Toten auf. Und das Ergebnis ist grandios wie verwirrend zugleich. Es gibt nicht nur eine Antwort, sondern sehr viele und zum Teil höchst unterschiedliche.

Das christliche Reich der Toten kannte ich seit geraumer Zeit gut. Dessen Umrisse wurden allerdings in den letzten Jahrzehnten hin und her geschoben. Ob es eine Vorhölle gibt, ist inzwischen nicht mehr klar. Und vom Fegefeuer hört man jüngst auch nicht mehr viel. Natürlich kenne ich die christliche Totenwelt nicht wirklich, sondern nur vom Hörensagen. In die Hölle will ich nicht, und in den Himmel wohl gern, aber nicht gleich, sondern erst später, am liebsten sehr spät. Ich kenne diese Totenwelt vom Hörensagen, vom Lesen und vom Verständnis, das ich von den Bildern dieses christlichen Jenseits im Laufe der Zeit gewonnen habe. Denn die christlichen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod sind Bilder, Bilder des Menschen ebenso wie die christlichen Gottesbilder.

In der letzten Zeit haben mich andere Vorstellungen vom Leben nach dem Tod stärker interessiert. Die griechisch-römischen sicher auch, besonders aber haben mich die Unterweltbilder der Ägypter und die Vorstellungen des tibetanischen Buddhismus stark angezogen. Es war eine faszinierende Erfahrung, in diesen Welten spazieren zu gehen; ich werde darüber berichten.

Es ist spannend, Bilder vom sogenannten Jenseits aus verschiedenen Kulturkreisen und Religionen zu vergleichen, deren geschichtliche Verwurzelung und gegenseitige Verzweigung aufzuzeigen. Es gibt Bilder, die sich in verschiedenen Kulturen wiederholen: zum Beispiel das Totengericht, die Fahrt in die Unterwelt, die Himmelfahrt, die Wiedergeburt und die Auferstehung. Die eigenen Vorstellungen mit denen der anderen Menschen zu vergleichen, bringt weiter, weil wir uns gegenseitig und dadurch auch uns selbst besser verstehen. Bilder relativieren sich und ergänzen sich gegenseitig. Das bedeutet nicht, dass die Bilder auch einen Wahrheitsgehalt, eine Entsprechung in der »Wirklichkeit« besitzen. Sie könnten ja allesamt nur Kreationen unseres Geistes sein. Sie verraten jedenfalls sehr viel über uns selbst.

Für diejenigen, die im christlichen Raum aufgewachsen sind, wird es darüber hinaus interessant sein, zu erfahren, dass viele christliche Bilder über das Jenseits nicht im Christentum entstanden sind und viel älter sind als das Christentum selbst.

Man kann dieses Thema, das tausendmal größer ist als wir selbst, unterschiedlich angehen:

Systematisch Denkende könnten vielleicht versucht sein, gleich zu Beginn den Tod zu definieren. Eine Definition ist die Beschreibung des Wesens einer Sache, ohne in Tautologien zu verfallen. Gerade darin besteht beim Thema Tod die größte Schwierigkeit. Natürlich ist der Tod das Ende der Hirntätigkeit. Ist damit alles zu Ende? Man beschreibt den Tod als Schwelle zwischen der Zeit davor und der Zeit danach. Bilder wie ›Tür‹, ›Schwelle‹, ›Übergang‹ sind aber nicht imstande, den Tod wissenschaftlich zu beschreiben. Sie kranken daran, dass sie einen Zustand nach dem Tod voraussetzen, von dem man nichts weiß. Oder man könnte den Tod als das Ende überhaupt definieren. Aber damit wären sehr viele Menschen gar nicht einverstanden. Also wir verlassen lieber diesen Pfad. Sofern es eine Zeit danach gibt, wissen wir sowieso erst nach dem Tod, was danach kommt.

Die andere Möglichkeit wäre, den Sterbeprozess, die verschiedenen Arten zu sterben und den Totenkult der unterschiedlichen Kulturen darzustellen. Es stirbt die Materie. Es stirbt der Einzelne, es stirbt alles in der Welt. Es sind zwar beschreibbare Prozesse und Phänomene. Um den natürlichen Aspekt des Sterbevorgangs zu beschreiben, müsste man sich aber in Biologie, Physik, Astrophysik und Kosmologie auskennen. Das Sterben betrifft auch unseren ›Geist‹, unabhängig davon, ob es ihn gibt oder nicht, ob er mit dem Körper stirbt oder nicht; hier müsste man sich auch in Psychologie, Philosophie und Neurologie auskennen. Dazu ist ein Menschenleben nicht immer ausreichend. Die Welt ist groß, der Mensch ist klein.

Lieber widme ich mich daher einer existentiellen Seite des Themas: Der Tod berührt uns, und diese Berührung, die zu einem bestimmten Augenblick eine schicksalhafte wird, macht uns betroffen und zwar nicht erst, wenn der Tod uns holt, sondern auch dann, wenn wir nur an ihn denken und seinen Atem im Nacken spüren.

Mein Buch über die Gottesbilder konnte ich mit leichter, nicht selten ironischer Feder schreiben. Nichts läge also näher, als auch über den Tod und unsere Vorstellungen von ihm mit dem gleichen Stil zu schreiben, denn wir Menschen sind auch bei der Darstellung des Todes sehr fantasiebegabt und entwerfen tausend Bilder, um uns ihn vorzustellen.

Die ironische leichte Feder will hier aber nicht richtig gehorchen. Es wird in den nächsten Seiten sicherlich nicht an der einen oder anderen ironischen Bemerkung fehlen. Ironie ist auch eine Art, sich mit der Wirklichkeit zu versöhnen, und dabei hilft uns das Bewusstsein, dass wir über die Zeit nach unserem Tod genauso wenig wissen wie beim Thema Gott.

Aber das Thema Tod scheint mir – die Götter mögen mir verzeihen – ernster als das Thema Gott. Auf jeden Fall liegt mir der Tod näher als alle Götter dieser Erde. Er begleitet mich seit Beginn meiner Tage und bedrängt mich unaufhörlich.

Viele meinen, der Tod habe selbstverständlich mit Gott zu tun, denn nach dem Tod würden wir direkt mit ihm zusammenkommen. Aber im Ernst: Wenn es einen Gott gibt, dann haben wir mit ihm bereits im Leben zu tun und nicht erst nach dem Tod.

Die Bibel redet nicht selten von der Gottesfurcht. Der Ausdruck wird unterschiedlich interpretiert: mal als Angst vor Gott, mal als Ehrfurcht vor ihm. Timor mortis, die Angst vor dem Tod, ist anders geartet und überträgt sich auf Körper und Geist: Das Herz verkrampft sich, die Muskeln beginnen zu zittern. Der timor mortis wird zu einem tremor mortis, dem Zittern vor dem Tod.

Es gibt seltene aber doch entscheidende Augenblicke im Leben, in denen sich das Schicksal eines Menschen entscheidet. Man befindet sich an einer Weiche, es wird einem bewusst, dass die nächsten Augenblicke auch die letzten sein können. Etwa wenn der Anästhesist vor einer Operation mit fraglichem Ausgang sich mit der Betäubungsspritze nähert, oder wenn die Giftspritze an den Arm des zum Tode Verurteilten angesetzt wird. Das Zittern des Patienten oder des zum Tode Verurteilten ist eine ganz normale Reaktion. Oder denken wir an das Zittern eines Tieres, das spürt, dass es von einem anderen Tier gefressen, von einem Menschen getötet wird. Oder an die schreienden Tiere, die zum Schlachthof gefahren werden. Zum Tode verdammte Tiere zittern und schreien, wenn sie das Blut von bereits ­geschlachteten Schicksalsbrüdern riechen, auch wenn sie ›menschenwürdig‹ und zum Wohle der Menschheit geschlachtet werden.

Die Angst zu sterben ist eine natürliche Reaktion auf die Bedrohung des bevorstehenden Todes. Eine todernste Sache. Und darüber Witze zu reißen, ist unangebracht.

Die Angst vor dem Tod braucht keine Gründe. Der einzige Grund ist das bevorstehende Ende der eigenen Existenz.

Man könnte natürlich differenzieren. Nicht alle sollen Angst vor dem Sterben haben. Einige – wie Abraham – sind lebenssatt und zufrieden gestorben.

Man glaubt auch statistisch feststellen zu können, dass gläubige Menschen ruhiger sterben als ungläubige. Sie sind sicher oder hoffen ganz fest, nach ihrem Tod Gott zu begegnen und so im ewigen Licht zu wandeln. Sie verstehen den Tod nicht als Ende, sondern als Neuanfang, als Tor in die glückselige Ewigkeit.

Und man wird gern erinnert an die Märtyrer der Antike, die für ihren Glauben singend aufs Leben verzichteten. Man verweist gar auf die modernen Märtyrer, die sich in die Luft sprengen, sicher, dass diese Sprengung sie ins Paradies versetzt.

Man weiß, dass tiefe Überzeugungen auch im Augenblick des Todes nicht ohne Wirkung bleiben. Sie können helfen – auch im Augenblick des Todes. Wie würden sich dieselben Menschen verhalten, wenn sie nicht mehr sicher wären, dass nach dem Tod ein Gott auf sie wartet?

Mir ist der Angstschweiß Jesu vor dem Tod immer sehr glaubwürdig vorgekommen. Er, von dem die Christen meinen, er sei der Sohn Gottes, bittet Gott, ihm diesen Kelch zu ersparen.

Man kann aber auch als Nichtgläubiger würdig sterben. Der Augenblick des Todes verlangt von uns Würde. Gerne sterben wohl die Wenigsten, außer vielleicht diejenigen, denen das Leben zur Last geworden ist, die am Leben verzweifeln, oder Menschen, auf die eigene Überzeugungen, auch religiöser Art, wie Drogen wirken, sodass sie wenigstens scheinbar die Angst vor dem Tod überwinden.

Alle versuchen den Augenblick des Todes zu verschieben, alle entwickeln eine Technik, um sich vor der Todesgefahr zu schützen.

Ein mir sympathischer Pfarrer nimmt in seinem Buch über das Thema Tod8 die Inschrift des Grabsteins von Erich Kästner (»Hier ruhen meine Gebeine, ich wünscht’, es wären deine«) zum Ausgangpunkt seiner Überlegungen: Er schreibt: »Erich Kästner hat sich diesen Spruch für seinen Grabstein gewünscht. Mag sterben, wer will, Kästner selbst will es nicht, obwohl er es muss! Seine Grabinschrift klingt anders als die Kaltschnäuzigkeit vieler Zeitgenossen. Sie behaupten: Na ja, wenn’s vorbei ist, ist es vorbei. Nach dem Tod gibt’s sowieso nichts mehr. Ein Leben danach, ich glaube nicht daran. Auf keinen Fall an ihn denken, einfach drauflos leben! Oft halte ich diese Reden für gespielt. Ich vermute, hinter den Sprüchen verbirgt sich schreckliche Angst vor dem eigenen Sterben. Sie wird durch solch schnodderiges Reden verdrängt. Ob Angst oder nicht, ich lasse mir meine Sehnsucht nach dem Leben nicht austreiben. [...] Ich will leben, ja, wenn es geht, ewig leben.«

Er will leben, und das ist sein Recht. Warum unterstellt er aber denjenigen, die an ein Leben danach nicht glauben (können), dass sie nicht (ewig) leben wollen? Warum sollten sie nicht? Vielleicht möchten sie doch leben und sogar ewig, wenn es möglich wäre. Und der Vorwurf der Kaltschnäuzigkeit gegen die Menschen, die nicht glauben können, und die Annahme, diese Menschen hätten ja doch nur Angst vor dem Ende, macht nur traurig.

Wir alle wissen nicht, was danach kommt: die Prediger und Missionare, die Glaubensprofis aller Welt, so wenig wie die, die nicht professionell glauben können. Es ist wie bei der Frage nach Gott. Keiner kennt ihn. Wenn man nach ihm sucht, kommt man zu unterschiedlichen Annahmen (Glaubenshaltungen), auch zum Unglauben oder zum Agnostizismus. Solchen Menschen wird oft Überheblichkeit, manchmal auch Sehnsucht nach dem Glauben unterstellt. Es ist für Gläubige schwer erträglich, dass andere Menschen ehrlicherweise anders fühlen, denken, glauben und sich verhalten können.

Am Ende auch dieses Buches wird das Eingeständnis stehen, dass ich nicht weiß, was uns nach dem Tod erwartet. Diese Ignoranz teile ich mit vielen anderen, die wohl nach langem Nachdenken zu diesem Schluss kommen.

Dieses Buch ist für alle gedacht, die nach dem Tod mit großem Ernst fragen. Wir machen uns zusammen auf den Weg. Manchmal ist der Weg schöner und interessanter als das Ziel. So verhält es sich oft bei wichtigen Fragen, auf jeden Fall bei der Frage nach Gott und nach dem Tod und seinem Ausgang.

Wir sterben und wissen nicht wohin

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