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Aasfresser und Lebendfresser

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Die feine Hochsprache unterscheidet säuberlich zwischen ›Totenfressern‹ und ›Lebendfressern‹. Solche sind etwa Wildtiere, die ihre Beute jagen, erlegen und warm oder frisch erlegt fressen.

Aasfresser sind die Tiere, die sich vom Fleisch toter Tiere ernähren, die nicht unbedingt von ihnen selbst erlegt worden sind und eventuell Tage davor gestorben sind. Die Tiere müssen auch nicht durch Unfall oder Jagd gestorben sein. Auch Tiere, die durch einen natürlichen Tod gestorben und liegengeblieben sind, werden von anderen Tieren vertilgt. Aasfresser sind also Totenfresser.

Diese saubere Differenzierung ist zum Teil künstlich und dient der Befriedigung des menschlichen Gefühls. Sie macht einige Tiere schlechter als andere. Zum Beispiel die Hyänen und die Schakale werden als die typischen Aasfresser angesehen und als solche unter den Tieren als unsauber und feige verpönt. Jagdtiere werden hingegen als mutig, kämpferisch, als Vorbild und Symbol für menschliche, besonders männliche Tugenden wie Mut und Stärke angesehen.

Die Unterscheidung selbst ist aber nicht ganz sauber, denn auch Jagdtiere fressen ihre Beute nicht immer und nicht ganz unmittelbar, nachdem sie sie erlegt haben. Sie könnten auch nicht gleich ein großes Tier ganz vertilgen. Viele Jagdtiere halten totes Fleisch auf Vorrat und fressen es in den darauffolgenden Tagen.

Und natürlich fressen Jagdtiere auch gefundenes totes Fleisch, sei es, dass die Tiere eines natürlichen Todes gestorben sind, sei es, dass sie von anderen Tieren oder von Menschen erlegt wurden. Es ist auch viel bequemer als selbst zu jagen. Welches Tier jagt stundenlang gern, wenn es bereits erlegtes Fleisch findet? Im Zoo frisst auch der Tiger wie ein zivilisierter Mensch: Man gibt ihm zurechtgeschnittene Schnitzel, und er weiß auf die Dauer nicht mehr, wo das Fleisch, das er frisst, herkommt. Das muss er auch nicht wissen. Wir Menschen wollen es auch nicht immer genau wissen.

Eigentlich sind alle fleischfressenden Tiere Totenfresser, egal ob das Aas alt oder frisch ist. Tot ist tot.

Es sei denn, das Tier frisst die Beute, während sie noch lebt. Es ist meistens schwierig festzustellen, zu welchem Zeitpunkt die Beute stirbt. Boas erwürgen die Beute und warten, bis sie sich nicht mehr bewegen, bevor sie sie verschlingen.

Interessant sind diesbezüglich auch die Vögel, die lebende Regenwürmer zu der Brut bringen. Im Flug kann man sehen, dass sich die Regenwürmer im Schnabel der Vögel noch winden, aber dann werden sie in den Schnabel der Brut gereicht, manchmal erst, wenn diese schnabelgerecht aufbereitet worden sind.

Wir wollen nicht allzu differenziert denken. Das bringt dem toten Fleisch sowieso nichts mehr. Wir können jedoch pauschal sagen, dass alle fleischfressenden Tiere Nekrophagen, Totenfresser, – übertreiben wir ruhig – Aasfresser sind. Und sie können nicht nur frisches Fleisch fressen, sondern auch Fleisch, das – ginge man nach der feinen menschlichen Nase – bereits zum Himmel stinkt.

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