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4. Zeitfenster: Vor 150.000 Jahren Der Neandertaler

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Die Heimat des Neandertalers war eine öde, eisige Tundra, die nur in Südeuropa in Grassteppe und schütteres Taiga-Waldland überging. Eine solche Umwelt erforderte Anpassungsfähigkeit, um überleben zu können. So war der Neandertaler, dessen Lebensraum sich von Südfrankreich bis nach Sibirien, von Afrika bis in den Nahen und Fernen Osten erstreckte, ein sehr kräftiger, ungemein geschickter und listenreicher Jäger, der auch Großwild wie Höhlenbären oder den Sibirischen Steinbock erbeuten konnte. Die Tiere lieferten ihm nicht nur energiereiche Fleischkost, sie versorgen ihn auch mit Pelzen. Der Neandertaler, „Homo sapiens neandertalensis“, war etwa 1,60 Meter groß, starkknochig und muskulös. Aber trotz seiner kräftigen Natur erreichte er in seiner rauen Heimat selten mehr als das 50. Lebensjahr. Der harte Kampf ums Überleben forderte Intelligenz. Sein Gehirn war ungefähr so groß wie das des heutigen Menschen. Er muss in der Lage gewesen sein, seine Gedanken zu formulieren und eine einfache Sprache zu sprechen. Sogar erste Kunstgegenstände, kleine, einfach Statuetten, fertigte er an.

Neue Menschenarten traten auf, die den heutigen Menschen schon sehr ähnlich waren. Dass der „Homo Neanderthalensis“ – Skelettreste wurden erstmals 1856 im Neandertal bei Düsseldorf entdeckt – ein halbtierischer Urmensch war, ist ein Vorurteil des 19. Jahrhunderts. Die Neandertaler waren im Gegenteil intelligente Wesen. Sie legten sogar schon erste Gräber an. Dieser Umgang mit den Toten setzte ein Verhältnis der Lebenden zum Tod voraus, das in den Bereich des Religiösen gehört.

Wie ihr muskulöser Körperbau und die ausgesprochen robusten Knochen zeigen, spielten Kraft und Ausdauer im Leben der Neandertaler eine große Rolle. Als erfolgreiche Jäger in der rauen, eiszeitlichen Umwelt schreckten sie auch vor Auerochsen oder Mammuts nicht zurück. Zugleich war ihre Jagdtechnik risikoreich und gefährlich, trieben sie doch ihre Beutetiere in die Enge und töteten sie dann aus kurzer Distanz mit einem Lanzenstoß. So verwundert es nicht, dass nur selten ein Neandertaler-Skelett gefunden werden konnte, das frei von Verletzungsspuren ist.

Viele Neandertaler litten an infektiösen Erkrankungen der Zähne und des Kiefers, an Karies, Parodontose und Abszessen, die einen massiven Verlust der Zähne noch in relativ jungen Jahren zur Folge hatten. Die Ursachen dafür könnten sein, dass die Neandertaler regelmäßiger Nahrungs-Verknappung ausgesetzt waren, möglicherweise jährlich zum Ende des harten Winters.

Starker körperlicher Verschleiß, ein hohes Verletzungsrisiko, eine beträchtliche allgemeine Krankheitsbelastung und immer wieder kehrender Nahrungsmangel, kurz: ein Leben an der physischen Belastungsgrenze forderte seinen Tribut von den Neandertalern.

Sie alterten schneller und starben früher als die nachfolgenden modernen Menschen. Während Letztere durchaus ihr sechstes Lebensjahrzehnt erreichen konnten, waren die ältesten Neandertaler bei ihrem Tod erst in den Enddreißigern oder Mittvierzigern. Meist jedoch starben sie bereits noch früher.

Die ersten anatomisch modernen Menschen gelangten vor etwa 40.000 Jahren von Süden her nach Europa, wo sie einige Jahrtausende Seite an Seite mit den Neandertalern lebten, bevor sie diese schließlich vollständig ersetzten. Wie aber kam es zu dem verhältnismäßig raschen Aussterben der ursprünglichen Bevölkerung?

Die Neandertaler waren trotz möglicher Versuche, sich dem Fortschritt anzupassen, den modernen Menschen in vielerlei Hinsicht unterlegen. Sie stießen schnell an ihre Leistungsgrenzen. Ihr stämmiger Körperbau mag sich im Wettbewerb mit den neuen Einwanderern letztlich als Nachteil erwiesen haben, da Aufbau und Unterhalt eines solchen Körpers deutlich mehr Energie und damit mehr Nahrung erforderten. Die ständig wieder kehrenden Nahrungskrisen trafen die Neandertaler deshalb sicher härter als die weniger muskelbepackten „Modernen“, die es zudem verstanden, ihren Kalorienverbrauch durch die Entwicklung verbesserter Behausungen, genähter Kleidung und eine effizienteren Wärmeausnutzung der Feuerstellen zu reduzieren. Dadurch war es ihnen möglich, ungeachtet der an wärmeres Klima angepassten Anatomie, die kälteren Gebiete erfolgreich zu besiedeln, die über Jahrtausende den Neandertalern vorbehalten gewesen waren.

Außerdem werden die kulturellen Errungenschaften dazu beigetragen haben, dass die modernen Menschen älter wurden als die Neandertaler, womit auch ihr ganzer Erfahrungsschatz der jeweiligen Gruppe länger zur Verfügung stand. Zu einer Zeit, die noch keine schriftliche Überlieferung kannte, dürfte das letztlich ein nicht zu unterschätzender Vorteil gewesen sein.

Die Höhlenmalereien, die vor allem in Südfrankreich und Nordspanien entdeckt wurden, hatten ihre Blütezeit vor etwa 20.000 bis 15.000 Jahren. Danach verliert sich die Spur der Neandertaler im Dunkel der Geschichte.

Die Geschichte der Menschheit

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