Читать книгу Reiterhof Dreililien Sammelband - Ursula Isbel - Страница 10

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Ich öffnete das Gatter zwischen den Koppelzäunen, die rechts und links den Weg säumten, und trat zögernd auf den Hofplatz vor dem Torbogen. In diesem Moment kam ich mir wie ein Eindringling vor; und als ein Mann hinter einem Mauervorsprung auftauchte, wäre ich am liebsten wieder umgekehrt.

Er sah mich nicht gleich. Er blickte über den Hofplatz zur Birkengruppe, wo die alte Steinbank stand. Der Mann bewegte sich langsam und ziemlich mühselig mit Hilfe von zwei Krücken, und sein Rücken war leicht gekrümmt, wie das oft bei Menschen der Fall ist, die sich beim Gehen auf etwas stützen müssen.

Dann knirschte der Kies unter meinen Schuhsohlen, und er hob rasch den Kopf. Ein wachsamer Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.

Ich fühlte mich mehr denn je als Eindringling. Das Gesicht des Fremden war gebräunt, sein blondes Haar an den Schläfen grau, und seine Augen erinnerten mich an Matty.

Er sagte: „Was willst du?“

Es klang fast feindselig. Ich zwang mich, ein paar Schritte weiterzugehen und sagte ziemlich schüchtern: „Ich wollte zu Matty und Jörn. Ich habe versprochen, ihnen bei der Stallarbeit zu helfen.“

Er musterte mich prüfend, aber nicht mehr ganz so abweisend. „Aha. Und wer bist du, wenn ich fragen darf?“

„Ich wohne mit meinem Vater und Kirsty im Kavaliershäusl“, sagte ich. „Ich heiße Elinor – Nell.“

Er nickte. Ein gefleckter Hund kam durch das Hoftor gestürmt und rannte bellend auf mich zu. Es war Diana. Ich bückte mich und streichelte sie; da tauchte auch Jörn auf und sagte: „Du bist also doch gekommen. Ich dachte schon, du würdest kneifen.“

„Weshalb sollte ich kneifen?“ fragte ich.

Der Mann mit den Krücken sagte: „Ich glaube, wir müssen morgen den Tierarzt kommen lassen, Jörn. Marnie gefällt mir nicht recht. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Und wirf mal einen Blick auf Pans Fessel. Die Schwellung könnte von einem Insekt sein, das mit irgend einem Schädlingsgift verseucht war, aber vielleicht ist’s auch etwas Ernsteres. Und Horkheimer kommt morgen vorbei, um sich die beiden Stuten anzusehen. Er wird wohl wieder versuchen, mich kräftig im Preis zu drükken, der alte Geier!“

„Dann verkaufst du ihm die Pferde eben nicht“, erwiderte Jörn heftig. „Er soll nur nicht glauben, daß wir das Geld brauchen, sonst kann man mit ihm überhaupt nicht mehr vernünftig verhandeln, Vater.“

„Wir brauchen’s aber“, erwiderte Herr Moberg bitter.

Jörn wollte etwas erwidern, warf dann aber einen Seitenblick auf mich und schwieg. Sein Vater hinkte mühsam mit seinen beiden Krücken durch den Torbogen, und Jörn sagte kurz zu mir: „Ich hole dir eine alte Latzhose. Du kannst inzwischen schon in den Stall gehen. Den Weg kennst du ja.“

Es klang nicht übermäßig freundlich. Er drehte sich um, ließ mich stehen und folgte seinem Vater. Diana lief eifrig voraus.

Langsam und zögernd ging ich an der mit Efeu überwachsenen Mauer entlang zum Stallgebäude. Das Stalltor stand ein Stück offen. Ich trat vorsichtig über die Schwelle und fragte: „Matty?“ Doch es kam keine Antwort.

Ich sah mich um. Die Boxen waren leer, und es war sehr still bis auf das Surren einiger Fliegen, die gegen die staubigen Fensterscheiben prallten. Spinnweben hingen zwischen den Stützpfeilern, und Strohhalme lagen in den Futtertrögen. In den Boxen war schmutzige Streu, und es roch streng und irgendwie sauer. Ein breiter Sonnenstreifen fiel durch die offene Tür über den gepflasterten Boden.

„Du kannst dir ein Paar von den Gummistiefeln aussuchen, die hinter der Tür stehen“, sagte eine Stimme.

Ich drehte mich um. Es war Matty.

„Danke“, sagte ich. Er lächelte sein gutmütiges Lächeln, das mir schon fast vertraut war, ging an mir vorbei in den Stall und nahm einen zerbeulten alten Hut von einem Haken. Den setzte er auf und erinnerte mich damit an Billy the Kid in einem Wildwestfilm, den ich einmal gesehen hatte.

Die kleinsten Gummistiefel, die ich fand, waren mir noch immer ein Stück zu groß, aber ich konnte damit gehen. Dann mußte ich sie allerdings noch einmal ausziehen, denn Jörn kam mit einer ziemlich schmutzigen Latzhose und gab sie mir. Ich verzog mich in eine Ecke, schlüpfte hinein, krempelte die Hosenbeine hoch und knüpfte die überlangen Träger im Nacken zusammen. Dann zog ich die Gummistiefel wieder an.

„Herrje, siehst du komisch aus!“ sagte Jörn, als ich wieder zum Vorschein kam.

Ich erwiderte: „Wenn man dich in eine Hose und in Stiefel stecken würde, die dir drei Nummern zu groß sind, wärst du auch nicht mehr ganz so berückend wie jetzt.“

Er lachte. „Beiß mich nur nicht gleich! Wenn es dich beruhigt, kann ich dir versichern, daß mir dieser Aufzug tausendmal besser gefällt, als wenn du hier im Discolook ankommen würdest.“

Er zog ein buntgewebtes Band aus der Tasche und band es sich um die Stirn, damit ihm die Haare nicht mehr ins Gesicht fallen konnten. „Und sag jetzt nicht, daß ich wie Björn Borg aussehe, weil ich das schon nicht mehr hören kann“, fügte er hinzu.

„Keine Angst. Ich finde nicht, daß du wie Björn Borg aussiehst“, erwiderte ich kühl. Dann ging ich zu Matty und fragte: „Was soll ich tun?“

Er zwinkerte mir zu und drückte mir eine Mistgabel in die Hand, die überraschend schwer war. „Erst müssen wir mal anfangen, die schmutzige Streu aus den Boxen zu räumen“, sagte er. „Wir tun alles immer gleich in die Mistkarre, die dort auf der Stallgasse steht. Wenn sie voll ist, wird sie hinausgefahren und die Ladung auf den Dunghaufen gekippt. Aber das machen Jörn und ich schon, es wäre vielleicht zu schwer für dich.“

Ich nickte und nahm mir vor, den beiden zu zeigen, daß so eine Ladung Mist durchaus nicht zu schwer für mich war. In mir begann langsam eine Art Groll gegen Jörn zu brodeln, der so selbstbewußt und herablassend war und mich offensichtlich nicht ernst nahm. Ich wünschte ihm von ganzem Herzen, daß er mitsamt seinen blonden Locken und seinem Stirnband in den Misthaufen fiel, und daß ich dabei zusehen durfte. Das hätte meine Laune erheblich gebessert.

Die Arbeit war anstrengender, als ich gedacht hatte. Schon nach zehn Minuten lief mir der Schweiß über die Stirn, und da hatte ich erst zwei Boxen ausgemistet, während Jörn und Matty jeweils das doppelte Pensum schafften. Jörn pfiff bei der Arbeit leise vor sich hin, und Matty erzählte mir eine lange Geschichte von einem preisgekrönten Araberhengst, der den Trick beherrscht hatte, Riegel an Boxtüren und Stalltoren zu öffnen, und immer wieder ausgebrochen war. Ich verstand allerdings nur die Hälfte, denn er ging während des Erzählens hierhin und dorthin, und manchmal übertönte das Scharren unserer Mistgabeln seine Stimme völlig.

„Macht ihr das immer allein – jeden Abend?“ fragte ich nach einer Weile, streckte meinen schmerzenden Rücken und wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß vom Gesicht.

„Herrje, nein!“ erwiderte Jörn aus einer Box auf der anderen Seite der Stallgasse. „Wir haben einen Stallknecht und Sepp, einen Helfer, der viermal wöchentlich zu uns kommt. Es ist nur zur Zeit so vertrackt, weil der Schorsch krank ist.“

„Aber der Sepp kommt später und hilft uns mit den Pferden“, fügte Matty hinzu. „Er hat einen kleinen Bauernhof hier in der Nähe, von dem er aber nicht leben kann, und verdient sich bei uns etwas dazu.“

Ich ging mit einer Gabel voll Mist auf die Stallgasse. Die Schubkarre war schon wieder voll. Entschlossen faßte ich nach den beiden Griffen, hob sie hoch und begann zu schieben.

„Vorsicht!“ warnte Matty. „Das Ding ist verteufelt schwer und kippt leicht um.“

Jörn sagte gar nichts, er sah mir nur zu. Es war wirklich nicht einfach, den einrädrigen Karren gleichzeitig zu schieben und im Gleichgewicht zu halten. Dauernd war er in Gefahr, nach links oder rechts zu kippen.

Ich schob mit aller Kraft und paßte dabei höllisch auf. Die Schubkarre durfte einfach nicht kippen, ich wollte mich nicht blamieren. Es war, als müßte ich eine Bewährungsprobe bestehen. Mit Mühe und Not schaffte ich es, das wackelige Gefährt aus der Stalltür zu bugsieren. Durch die steinerne Türschwelle geriet die vollbeladene Karre allerdings ins Wanken und bekam Schlagseite. Ich versuchte verzweifelt, die Last nach links zu verlagern, aber es war schon zu spät. Mit heftigem Gepolter fiel das elende Ding um, und der Mist kippte auf den Weg.

Ich hätte mich am liebsten daneben gesetzt und geheult. Matty und Jörn, die das Gepolter gehört und richtig gedeutet hatten, tauchten in der Stalltür auf und sahen sich die Bescherung an.

„Zum Teufel!“ sagte ich halb entschuldigend, halb angriffslustig. „Verdammter Mist!“

„Das kann man wohl sagen“, bestätigte Matty gelassen.

Ich sah Jörn an und dachte: Wenn er jetzt eine spöttische Bemerkung macht oder mich auslacht, gehe ich und komme nie wieder!

Doch er tat nichts dergleichen. Stumm kam er, richtete die Schubkarre auf, nahm seine Mistgabel zur Hand und begann den Mist wieder aufzuladen.

Matty half ihm dabei. „Mit diesem elenden alten Ding ist das jedem von uns schon passiert, und nicht nur einmal“, sagte er tröstend.

„Es soll auch schon Leute gegeben haben, die’s geschafft haben, sich dabei in den Mist zu setzen“, fügte Jörn augenzwinkernd hinzu.

In diesem Moment verzieh ich ihm alles. Ich ging in den Stall zurück und holte meine Mistgabel, und gemeinsam beluden wir die Karre wieder.

„Willst du’s noch mal probieren?“ fragte Matty und fegte mit einem Reisigbesen die Überreste zusammen.

„Ja“, sagte ich mit finsterer Entschlossenheit.

Diesmal ging es besser. Ich schaffte es sogar, die Schubkarre über ein schwankendes Brett bergauf zu schieben, ohne dabei mit ihr in den Misthaufen zu fallen, und kippte die Ladung in ziemlicher Hast um.

Eine Stunde später war der Stall sauber. Als wir zur Koppel kamen, warteten die Pferde schon am Gatter.

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