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Ihr Gesicht war rot und geschwollen vom Weinen. Ich kniete neben ihr nieder und sah auf den Hund. Er lag in seltsam verkrümmter Stellung da. Seine Augen standen halb offen und waren schrecklich verdreht. Seine Flanken bebten unter den stoßweisen Atemzügen. Vor seinem Maul stand Schaum.

„Er stirbt“, sagte Kirsty verzweifelt. „Er stirbt, und ich kann nichts tun!“

„Soll ich den Tierarzt holen?“ fragte ich leise.

Kirsty sah mich an. Etwas wie Verwunderung zeigte sich in ihrem verquollenen Gesicht. „Du?“ sagte sie, als wäre ich die letzte, von der sie Hilfe erwartete. „Nein, dein Vater ist schon gefahren, um ihn zu holen.“

Sie sah wieder auf den Hund nieder. Er stieß ein dumpfes Röcheln aus. Seine Vorderpfoten zuckten krampfartig. „Aber ich glaube nicht, daß er noch rechtzeitig kommen wird“, fügte sie halblaut hinzu und wischte den Schaum vom Maul ihres Hundes sehr zärtlich und vorsichtig mit einem Taschentuch ab.

Ich sagte: „Aber was ist denn nur passiert? Ist er angefahren worden? Wer hat ihn gefunden?“

„Er muß Gift erwischt haben. Irgend ein Bauer hat wohl einen vergifteten Köder ausgelegt, und er hat ihn gefressen. Als ich vor einer halben Stunde wieder in den Garten ging, um nachzusehen, ob er zurückgekommen ist, lag er vor der Pforte. Er hat sich wohl mit letzter Kraft hierhergeschleppt.“

Gift! Wer konnte nur etwas so Grausames tun – Gift auslegen, um unschuldige Tiere zu töten? Ich hätte heulen mögen vor hilfloser Wut und Enttäuschung darüber, daß man nirgends in Frieden leben konnte.

„Vergifteten soll man Milch geben“, murmelte ich. „Das haben sie uns in der Schule beim Erste-Hilfe-Kurs gesagt.“

Kirsty seufzte. „Ich hab’s schon versucht“, erwiderte sie. „Aber er hat nichts geschluckt. Ich konnte sein Maul nicht richtig aufbringen. Es ist alles danebengelaufen.“

Ich sah mich um. Der blaue Milchtopf stand auf dem Tisch. „Versuchen wir’s noch mal“, sagte ich. „Zusammen. Vielleicht schaffen wir es.“

Wieder sah sie mich mit jenem ungläubigen Ausdruck an. „Aber er ist nicht bei Bewußtsein“, wandte sie ein. „Er wird die Milch nicht schlucken.“

Ich sagte: „Versuchen wir’s trotzdem.“

Sie nickte nur. Ich stand auf, holte einen kleinen Plastikbecher und füllte etwas von der Milch hinein. Dann kniete ich wieder neben Kirsty nieder. Sie umfaßte die Schnauze ihres Hundes mit beiden Händen und versuchte sanft, seine Kiefer zu öffnen. Er zuckte mit den Pfoten und drehte den Kopf ruckartig zur Seite.

Kirsty ließ die Hände sinken; ich sah, wie sie zitterte. „Es geht nicht“, sagte sie.

Stumm reichte ich ihr den Plastikbecher. Ich legte die linke Hand über Herrn Alois’ Schnauze und die rechte darunter, fuhr mit Daumen und Zeigefinger zwischen seine Zähne und öffnete sein Maul mit sanfter Gewalt. Diesmal wehrte er sich nicht.

„Jetzt“, sagte ich. „So müßte es gehen!“

Ich hob seine Schnauze ein wenig an, und Kirsty goß rasch Milch zwischen seine Lefzen. Ein paar Tropfen versickerten in seinem Fell, doch die meiste Milch floß ins Maul, und als ich auf seinen Hals sah, bemerkte ich eine krampfhafte Schluckbewegung.

„Er hat geschluckt!“ flüsterte ich triumphierend. „Weiter – je mehr Milch wir in ihn hineinbekommen, um so besser ist es!“

Der Becher war fast leer, als wir aufhören mußten, da ihm jetzt die Milch aus dem Maul lief. „Warten wir ein paar Minuten“, sagte ich. „Dann versuchen wir’s noch mal.“

Kirsty stellte den Becher beiseite. Ich stand auf und füllte ihn von neuem mit Milch. Der Hund stieß jetzt röchelnde Laute aus, die mich immer stärker ängstigten. Ich dachte: Wenn nur Vater endlich mit dem Tierarzt käme! Doch kein Motorengeräusch war zu hören, und ich ging wieder zu Kirsty zurück.

Sie streichelte ihren Hund. Ich sah von der Seite, daß ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Sie tat mir leid; ja, ich merkte, daß ich plötzlich überhaupt keinen Haß mehr gegen sie empfand. Irgend etwas in mir begriff oder ahnte, daß sie lange allein gewesen sein mußte, weil sie so sehr an ihrem Hund hing, daß er vielleicht eine Art Familienersatz für sie gewesen war.

Ich hielt ihr den Becher hin. Da sagte sie mit erstickter Stimme: „Lassen wir es doch. Es nützt sowieso nichts. Wir quälen ihn nur unnötig.“

„Vielleicht ist’s aber doch eine Chance“, erwiderte ich hartnäckig. „Wenn der Tierarzt hier wäre, würde er ihm wahrscheinlich den Magen auspumpen. So etwas ist sicher auch eine Plage, aber wenn es hilft . . . Nur noch diesen Becher, Kirsty!“

Einen Augenblick zögerte sie noch. Dann nickte sie, und wir begannen von neuem mit der Prozedur: Ich öffnete mit sanfter Gewalt das Maul des Hundes, und Kirsty goß ihm die Milch zwischen die Lefzen.

Wunderbarerweise schluckte er wieder. Er verschluckte sich zwar ein paarmal und versuchte in seiner Betäubung immer wieder, den Kopf wegzudrehen, doch wir schafften es, ihm immerhin etwa die Hälfte der Milch einzuflößen.

Herr Alois atmete schwer wie nach einem langen, anstrengenden Lauf, als wir seinen Kopf endlich wieder auf die Decke legten. Ein paarmal hatte er die Augen weit geöffnet, doch seine Augäpfel waren noch immer grausig verdreht.

Kirsty legte die Hand auf seine Brust und flüsterte: „Sein Herz rast. Hoffentlich hält es durch!“

„Er ist doch ein Bastard“, sagte ich tröstend, obwohl ich selbst nur wenig Hoffnung hatte. „Bastarde sind zäh. Sicher schafft er es.“

Eine Weile kauerten wir stumm nebeneinander. Kirsty wandte den Blick nicht von ihrem Hund. Unvermittelt sagte sie: „Überall, wo man hinkommt, ist Haß und Zerstörung. Es gibt keinen Ort, an dem man davor sicher sein könnte – nicht einmal hier.“

Haß und Zerstörung . . . Ich fühlte mich plötzlich schuldig, weil ich ihr gegenüber die ganze Zeit so haßerfüllt gewesen war. Sie hatte sich nicht dagegen gewehrt, hatte mich sogar bei meinem Vater verteidigt und versucht, mich zu verstehen. Jetzt, wo mein Haß verflogen war, verstand ich mich selbst nicht mehr.

Ich sah Kirsty an und sagte leise: „Es tut mir leid, Kirsty.“

Ich weiß nicht, ob sie begriff, daß ich nicht nur die Sache mit Herrn Alois meinte, sondern so manches andere auch. Vielleicht wußte sie es. Sie sah mich an und nickte nur.

Mehr wurde nicht zwischen uns geklärt, auch später nicht. Kirsty war kein Mensch, bei dem man viele Worte machen mußte. Sie erwartete auch keine großartigen Entschuldigungsreden. In der Zeit danach, als ich ihr gegenüber keine Vorurteile mehr hatte, lernte ich, daß sie sich immer bemühte, andere zu verstehen.

In dieser Nacht kam ich jedoch nicht mehr dazu, mir mehr Gedanken über sie und mich zu machen, denn plötzlich bäumte sich der Hund auf, und sein Körper wurde von einem gewaltigen Würgen erschüttert. Zuerst erschrak ich zutiefst und dachte: Das ist der Todeskampf. Er stirbt!

Doch so war es nicht. Ehe ich noch recht begriff, was geschah, torkelte er wie ein Betrunkener von seiner Decke hoch. Dann knickten die Beine unter ihm zusammen, und im Liegen erbrach er sich.

Es war fürchterlich und qualvoll. Und doch waren wir auch froh, weil wir wußten, daß nur das ihn retten konnte, daß er alles Gift, das noch in seinem Magen war, ausspucken mußte, um weiterleben zu können.

Kirsty holte Haushaltspapier und einen Eimer und wischte alles auf. Sie ekelte sich nicht. Ich aber saß untätig dabei, roch den Gestank, hörte die Geräusche, die klangen, als würde das Innere des Hundes nach außen gedreht, und mir wurde so übel, daß ich dachte, ich müßte mich ebenfalls übergeben.

Nur zu gern wäre ich in mein Zimmer verschwunden. Trotzdem blieb ich, denn es wäre mir feige vorgekommen, jetzt zu gehen. Ich wollte Kirsty nicht allein lassen. Obwohl ich ihr in dieser Lage nicht mehr von Nutzen sein konnte, hatte ich doch das Gefühl, daß es ihr gut tat, nicht allein zu sein.

Nach einer Zeit, die mir endlos lange erschien, spuckte Herr Alois nur noch Galle. Er war völlig ausgepumpt und schwach, lag mit zitternden Gliedern auf der Seite und atmete nur noch ganz flach. Trotzdem hofften wir, daß er die Krise überstanden hatte – wenn sein Herz stark genug war.

Schließlich schlief er ein. Ich öffnete die Fenster weit, während Kirsty den Boden noch einmal mit einem nassen Tuch aufwischte.

Eine Weile blieb ich am Fenster stehen und atmete die frische Nachtluft in tiefen Zügen ein. Es duftete nach Heu und Pferden, und mir war, als hätte ich mindestens einen Marathonlauf oder eine große Prüfung hinter mich gebracht.

Während ich noch am Fenster stand, hörte ich Motorengeräusch aus der Ferne. Dann sah ich die Lichter von Scheinwerfern zwischen den Haselnußsträuchern aufleuchten.

Es war Vater mit dem Tierarzt.

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