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Reiterhof Dreililien Das Glück dieser Erde 1

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Es war ein stürmischer Frühlingsabend, als Kirsty zum erstenmal zu uns kam, und dieser Abend veränderte unser Leben. Heute weiß ich das, doch damals wollte ich es nicht wahrhaben. Ich wehrte mich gegen sie, denn ich dachte, daß sie mir meinen Vater wegnehmen wollte. Und ich hatte doch nur noch ihn, seit Mutter gestorben war.

Und weil ich Angst vor ihr hatte, haßte ich sie. Ich haßte sie, ehe ich sie noch kennengelernt hatte. Der Haß begann, als Vater mir von ihr erzählte – vorsichtig, mit verhaltener Zärtlichkeit, als wollte er mir von einem Schatz berichten, den er gefunden hatte.

„Ich habe eine Frau kennengelernt, Elinor“, sagte er. „Sie ist anders als andere. Ich möchte, daß du sie kennenlernst – daß ihr euch kennenlernt. Du wirst sie gern haben; man muß Kirsty einfach gern haben.“

Ich spürte einen Stich im Herzen. Trotzig dachte ich: Muß man? Und in diesem Augenblick war ich sicher, daß ich sie nicht mögen würde.

Dann, eine Woche nach diesem Gespräch, kam Kirsty in unsere Wohnung. Vater hatte in einem Feinkostladen eingekauft, den Tisch feierlich mit Kerzen und unserem besten Geschirr gedeckt und so getan, als merkte er nicht, daß ich ihm nicht dabei half. Ich saß vor dem Fernseher, sah mir ein albernes Programm an und rauchte, obwohl ich das sonst eigentlich kaum tat.

Ich sah auch nicht auf, als es an der Tür klingelte. Mein Vater fuhr zusammen, warf mir einen hilflosen Blick zu – ich sah es aus den Augenwinkeln – und eilte in den Flur.

In meiner Kehle saß ein Kloß, der sich immer mehr auszudehnen schien. Als ich draußen Stimmen hörte, reichte er schon fast bis in den Magen.

Sie hatte eine helle, etwas brüchige Stimme, die jung und ziemlich atemlos klang. „Es stürmt so draußen“, hörte ich sie sagen, und mein Vater murmelte etwas, was ich nicht verstand. Dann trat einen Augenblick Stille ein. Was taten sie? Küßten sie sich? Ich erstarrte bei dem Gedanken.

Mein Vater kam wieder ins Wohnzimmer. Ich hörte an seinen Schritten, wie nervös er war. Noch immer sah ich nicht auf. Ich starrte auf den Bildschirm, ohne zu sehen, was gezeigt wurde.

„Elinor“, sagte Vater bittend, „ich möchte dir Kirsty vorstellen.“

Ich drehte den Kopf nur leicht zur Seite und nahm die Zigarette aus dem Mund. „Ja?“ erwiderte ich möglichst lässig.

Sie war klein – kleiner als ich – und zierlich. Ihre Haare waren goldbraun und nach hinten gekämmt. Erst später merkte ich, daß sie sie im Nacken zu einem dicken Zopf geflochten hatte.

Als sich unsere Blicke begegneten, sah ich, daß sie angespannt und unsicher war. Und ich dachte triumphierend: Sie hat Angst vor mir.

„Kirsty“, sagte mein Vater, „das ist Elinor.“

„Hallo, Elinor“, sagte Kirsty.

„Hallo“, murmelte ich.

Ich weiß, daß sie mir gefallen hätte, wenn wir uns unter anderen Umständen begegnet wären. Sie trug einen alten Bauernrock mit Rosen darauf, der ihr bis zu den Waden reichte, eine bestickte Bluse mit einer kleinen Schafwollweste, und sie sah durchaus nicht wie eine Durchschnittsfrau um die Dreißig aus. Doch da ich sie von Anfang an zu meiner erklärten Feindin gemacht hatte, nahm ich es ihr zusätzlich übel, daß sie so anziehend wirkte.

Mein Vater stellte den Fernseher ab und bot Kirsty Platz an. Ich blieb im Sessel sitzen, rauchte weiter und wäre am liebsten weggelaufen.

Während Vater den Tee aus der Küche holte, herrschte unbehagliches Schweigen. Der Wind heulte ums Haus, und die Stimmung war scheußlich. Ich hatte sie verdorben, das wußte ich. Doch ich konnte und wollte es nicht ändern.

„Setz dich doch zu uns“, sagte Vater, als er zurückkam.

Ich erwiderte: „Ich habe keinen Hunger.“

Das stimmte auch. Der Kloß, der mir in der Kehle, in der Brust und im Magen saß, hatte sich so ausgeweitet, daß ich sicher war, keinen Bissen hinunterzubringen.

Mein Vater stellte die Teekanne ab und trat vor mich hin. „Elinor“, sagte er. „Bitte!“

Da stand ich auf und setzte mich an den Tisch. Ich merkte selbst, daß meine Bewegungen plötzlich hölzern waren, fast wie die einer Marionette. Ich zerdrückte die Zigarette in einem Teller, zog eine neue Packung aus der Jackentasche und zündete mir wieder eine an.

„Mußt du rauchen?“ fragte Vater.

„Ja“, sagte ich, obwohl es mir überhaupt nicht schmeckte.

So begann dieser Abend, so begann meine Beziehung zu Kirsty. Ich aß fast nichts und sprach kein Wort, und mein Vater redete verzweifelt drauf los. Obwohl ich wütend und verletzt war, tat er mir doch auch leid. Seit drei Jahren lebten wir nun allein, und er hatte nichts als mich und seine Arbeit. Er war gerade vierzig; sicher brauchte er mehr als nur eine kameradschaftliche Tochter und eine leidlich gemütliche Wohnung. Aber ich war gerade fünfzehn, und ich brauchte ihn auch . . .

Liebe . . . Unwillkürlich sah ich Kirsty an. Sie lächelte gerade über etwas, das Vater gesagt hatte, und ich merkte, daß sie ein Grübchen im linken Mundwinkel hatte. Dann drang auch das Gespräch zwischen den beiden in mein Bewußtsein vor.

Vater sagte gerade: „Sie muß dir ziemlich ähnlich gewesen sein“, und Kirsty lachte wieder und antwortete: „Ja, das könnte stimmen. Ich erinnere mich oft an eine Szene, als ich sie einmal am Wochenende besuchte. Sie frühstückte gerade in der Küche, und zwischen der Butter und dem Marmeladentopf saß eines ihrer Perlhühner auf dem Tisch und fraß Kuchenbrösel.“

Mein Vater wollte sich ausschütten vor Lachen. Ich aber hatte an diesem Abend keinen Sinn für Humor. Außerdem wußte ich nicht, um wen es ging.

„Tante Karen ist vor einem Jahr gestorben und hat mir ihr Haus und das Grundstück vererbt“, sagte Kirsty, und ihre Stimme war nun wieder ernst. „Ich hatte nie damit gerechnet, daß sie so etwas tun würde. Ich dachte, sie würde alles dem Tierschutzverein vermachen.“

„Und was ist aus dem Haus geworden?“ fragte mein Vater. „Hast du es verkauft?“

Kirsty schüttelte den Kopf. „Nein, das könnte ich nicht. Ich fahre ab und zu hin. Manchmal denke ich, daß ich gern dort leben würde. Es ist sehr friedlich da, eigentlich so etwas wie ein kleines Paradies. Und ich vermute, daß Tante Karen insgeheim gehofft hat, ich würde nach ihrem Tod in ihr Haus ziehen.“

„Möchtest du denn nicht aufs Land?“ fragte Vater.

„Nicht allein“, sagte Kirsty. „Ich stelle es mir wunderbar vor, mit einer Familie dort zu leben. Manchmal, wenn hier in der Stadt alles so grau und schmutzig und laut ist, würde ich am liebsten meine Sachen packen und zu Tante Karens Haus fahren. Aber ich kenne mich zu gut; ich weiß, daß ich nicht längere Zeit so allein und abgeschieden leben könnte.“

„Ich bin auf dem Land aufgewachsen“, sagte mein Vater nachdenklich. „Und ich träume eigentlich schon lange davon, wieder auf dem Land zu leben. Stimmt’s, Elinor?“

Es stimmte, doch ich tat so, als hätte ich seine Frage nicht gehört. Sollte das heißen, daß er überlegte, ob wir mit in dieses Haus ziehen sollten, das Kirstys Tante gehört hatte – als Kirstys „Familie“?

Ich erschrak und dachte: So weit darf es nicht kommen. Daran darf er nicht einmal denken! Ich möchte in der Stadt bleiben. Hierher gehöre ich. Ich will mich nicht auf dem Land vergraben. Ich würde sterben vor Langeweile. Was soll ich unter Hühnern und Dorftrotteln? Keiner wird mich je dazu bringen, aufs Land zu ziehen . . .

Ich war so sicher, daß nichts und niemand mich dazu bewegen könnte, meine Meinung zu ändern. Zwei Wochen später aber, zu Beginn der Osterferien, fuhren wir doch aufs Land – zu Tante Karens Haus.

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