Читать книгу Reiterhof Dreililien Sammelband - Ursula Isbel - Страница 18
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ОглавлениеIsabells Fohlen kam in der Nacht zur Welt, und ich nahm es Jörn und Matty übel, daß sie mich nicht aus dem Bett geholt hatten. Matty verteidigte sich und erklärte, sie hätten nicht das ganze Haus aufwecken wollen. Außerdem wäre sowieso alles drunter und drüber gegangen, weil Jörn um Mitternacht losfahren und den Tierarzt holen mußte, während er selbst mit seinem Vater und Schorsch Geburtshilfe geleistet hatte.
Es war keine leichte Geburt gewesen, doch das Fohlen war gekommen, noch ehe Jörn mit dem Tierarzt eintraf; und es war gesund. Als ich am Morgen in den Stall von Dreililien kam, stand es auf wackligen Beinen neben seiner Mutter in der Box. Es war ein Hengstfohlen.
Ich fand, daß es ziemlich schrumpelig aussah und einen zu großen Kopf und zu lange Beine hatte. Matty aber versicherte, es würde sich schon noch auswachsen, und das Fohlen sei ein wunderbarer kleiner Kerl, aus dem bestimmt ein prachtvoller Hengst würde.
„Sein Vater hat eine prima Stammtafel, und Isabell ist auch von erstklassiger Rasse“, sagte er. „Das Fohlen ist jetzt schon ein kleines Vermögen wert. Jörn meint, wir sollen es Odin nennen, nach seinem Vater.“
„Odin, der Göttervater“, sagte ich nachdenklich. „Ja, das klingt gut. Ich wollte, ich wäre dabei gewesen, als er geboren wurde!“
„Ach, das kannst du noch oft genug erleben“, versicherte Jörn. „Bei uns kommt alle paar Monate Nachwuchs.“
Das Fohlen sah uns über den Futtertrog hinweg vertrauensvoll an. Ich streckte die Hand aus, um es zu streicheln, aber Jörn warnte: „Faß es nicht an – heute noch nicht. Isabell ist jedesmal eine Zeitlang recht unberechenbar, nachdem sie abgefohlt hat.“
Ich sah die Stute an. Sie beobachtete uns aufmerksam, doch ihre Augen wirkten gutmütig. Sie leckte ihrem Fohlen die Nase. Dann begann Odin zu trinken.
Wir blieben vor der Box stehen und sahen zu. Mir wurde dabei ganz friedlich und feierlich zumute.
Als Odin satt war, öffneten wir die Boxtür, um die beiden auf die Koppel zu bringen. Isabell ging sehr langsam aus dem Stall und sah sich dabei immer wieder nach ihrem Fohlen um, das eifrig, aber auf ungeschickten Beinen hinter ihr her stakste.
Ich hinkte hinter Jörn und Matty und den Pferden drein. Vom Reitunterricht hatte ich einen ausgewachsenen Muskelkater. Ich ging steifbeinig wie ein alter Soldat.
Matty sah mich an und sagte: „Was du brauchst, ist ein Bad im Weiher. Das warme Wasser macht die Muskeln weicher und geschmeidiger. Reitunterricht gebe ich dir dann erst gegen Abend, wenn’s nicht mehr so heiß ist.“
Eigentlich war ich ganz froh über den Aufschub. Ich stand noch eine Weile am Koppelzaun und sah zu, wie das neugeborene Fohlen Bekanntschaft mit der Welt schloß, wie es die Nase in den Wind streckte, beim Rascheln der Bäume die Ohren spitzte, einem Schmetterling nachsah und sich schließlich, müde von all dem Neuen, neben seiner Mutter ins Gras legte. Dann erst ging ich zum Kavaliershäusl, um meinen Bikini und ein Badetuch zu holen.
Herr Alois lief mir diesmal nicht wie sonst entgegen; er war auch nicht im Haus. Ich nahm an, daß er bei meinem Vater und Kirsty war, die seit gestern angefangen hatten, den Schuppen zur Töpferwerkstatt auszubauen.
Das ist also Vaters Erholung im Urlaub, dachte ich bitter, während ich mit meinen Badesachen wieder in den Garten trat und vom Schuppen her lautes Hämmern hörte. Aber für Kirsty tat er ja alles, sie brauchte nur mit dem kleinen Finger zu winken . . .
Meine bitteren Gedanken verflogen, als ich Jörn und Matty mit den Pferden und Diana am Kreuzweg warten sah. Es roch nach frischem Heu. Schwalben kreisten zwitschernd über den Koppeln und schossen unvermittelt im Sturzflug auf die Wiesen nieder, um Fliegen zu fangen. Der Wald rauschte sacht im Sommerwind, und vom Dorf her kamen verwehte Glockenklänge.
Es war ein perfekter Ferientag; einer, wie er im Bilderbuch steht. Erst später wurde mir klar, daß diese unbeschwerten Stunden eine Art Ruhe vor dem Sturm waren. Doch das wußte ich an diesem Tag natürlich noch nicht. Ich freute mich über Jörns Bemerkung, ich hätte schon Farbe bekommen und würde sicher bald wie eine Indianerin aussehen. Und als ich merkte, daß ich schon nicht mehr ganz so hilflos und unbeholfen auf Hazels Rücken saß, war ich richtig glücklich.
Ein Frosch quakte eindringlich, als wir den Weiher am Waldrand erreichten, und ich sah, wie ein blaugrün schillernder Vogel mit langem Schnabel aus dem Wasser aufflog und zwischen den Tannen verschwand.
„Das war ein Eisvogel“, sagte Jörn. „Die sind sehr selten.“ Er hob mich vom Pferd, ohne daß ich ihn darum bat; und mir war, als würde er mich einen Moment länger als unbedingt nötig im Arm halten. Für den Bruchteil einer Sekunde war sein Gesicht dem meinen sehr nahe. Als er mich absetzte, waren meine Knie seltsam schwach. Doch ich versuchte mir einzureden, es käme vom Reiten.
Wir blieben mehrere Stunden am Weiher. Wenn wir nicht badeten, lagen wir am Ufer unter einer Ulme, während die Pferde grasten und ihre Fesseln im seichten Wasser kühlten.
Matty hatte einen Picknickkorb mit einer Thermosflasche voll Tee, ein paar harten Eiern und belegten Broten dabei; das war unser Mittagessen. Auch eine Mundharmonika hattte er mitgebracht. Er spielte darauf, als ich ihn darum bat, entschuldigte sich aber mehrmals für die „Katzenmusik“.
„Ich lerne es nämlich erst seit ein paar Monaten“, erklärte er. „So besonders berühmt spiele ich noch nicht, aber es macht Spaß.“
Er spielte ziemlich leise, und ich fand, daß es schön klang. Die Musik paßte so gut zum sonnenbeschienenen Weiher, den Pferden, den Sommerwiesen und dem Rauschen des Waldes. Jörn lag neben mir, die Hände im Nacken verschränkt, und sah in den Himmel. Ab und zu pfiff er leise zu der Melodie, die sein Bruder spielte.
Ich wäre am liebsten bis zum Abend geblieben, doch Jörn sagte, er hätte Sepp versprochen, mit ihm eine Box zu reparieren. Auch Matty meinte, es wäre langsam Zeit für meine Reitstunde, weil wir sonst mit der Stallarbeit ins Gedränge kämen. Also brachen wir auf.
Die Reitstunde verlief wieder nicht besonders ruhmreich. Beim Leichttraben stellte ich mich ausgesprochen dumm an. Mein einziger Trost war, daß außer Matty keiner zusah. Hazel wirkte nicht sehr glücklich bei meinen verzweifelten Versuchen, den richtigen Rhythmus zu finden. Als ich schließlich abstieg, war sie sicher ebenso erleichtert wie ich.
„Das lerne ich nie!‘‘ sagte ich düster zu Matty.
Er lachte. „Wetten, daß du’s lernst – Traben und Galoppieren und alles, was so zu einer Grundausbildung gehört?“
„Die Wette gilt“, sagte ich, immer noch düster. „Aber wann lösen wir sie ein?“
„Heute in einem Jahr.“ Matty zog ganz ernsthaft seinen Notizblock und einen Bleistift aus der Hosentasche. „Ich schreib es mir auf. Heute in einem Jahr stellen wir fest, wer gewonnen hat.“
Ich nickte. „Und worum wetten wir?“
„Ach so“, sagte er. „Hm, na ja. Keine Ahnung.“
„Derjenige, der verliert, muß dem anderen etwas schenken – etwas Schönes“, schlug ich vor.
„Gut, abgemacht.“ Matty folgte mir, als ich Hazel zum Absatteln in den Stall führte. Jörn und Sepp hämmerten in einer der Boxen herum, und ich hörte Sepp ein paarmal kräftig fluchen.
„Das verdammte Holz ist schon ganz morsch“, sagte Jörn, und Matty erwiderte sorgenvoll: „Die Boxen dort hinten sind die ältesten im Stall. Sie müßten erneuert werden, aber ich glaube nicht, daß wir uns das leisten können.“
Ich ging zum Abendessen nach Hause, versprach aber, später wiederzukommen und bei der Stallarbeit zu helfen. Als ich ins Kavalierhäusl kam, war mein Vater allein. Er ging unruhig in der Küche auf und ab und sagte, Kirsty wäre mit dem Fahrrad losgefahren, um Herrn Alois zu suchen.
„Sie macht sich Sorgen, weil er seit heute vormittag versehwunden ist“, sagte Vater. „Wahrscheinlich streunt er nur irgendwo herum. Aber Kirsty fürchtet, es könnte ihm etwas passiert sein, weil er vorher noch nie weggelaufen ist.“
Ich setzte mich in den Schaukelstuhl, sah auf meine schmutzigen Zehen nieder und erwiderte: „Wahrscheinlich ist auf einem der Höfe oder im Dorf eine Hündin läufig. Es wird schon nichts passiert sein.“
Vater nickte. „Deine Haare sind ja ganz grün“, sagte er geistesabwesend.
„Wir haben im Weiher gebadet. Soll ich uns ein paar Spiegeleier mit Speck braten?“
„Das wäre prima.“ Er seufzte, ließ sich auf der Eckbank nieder und sah zu, wie ich die Pfanne auf den Herd stellte, ein Stück Butter hineintat und Speck aus dem Kühlschrank holte. Dann sagte er: „Du fühlst dich doch jetzt ganz wohl hier, nicht?“
„Es geht“, erwiderte ich und merkte, wie abweisend meine Stimme klang. „Hast du heute im Schuppen gearbeitet?“
„Ja, zusammen mit Kirsty. Wir sind schon ein gutes Stück vorwärtsgekommen. Aber jetzt muß der Glaser ein größeres Fenster einsetzen. Sie braucht viel Licht zum Arbeiten.“
Ich dachte: Natürlich – Kirsty braucht . . . Laut sagte ich: „Ich brauche auch etwas – Reitstiefel, wenigstens aus Gummi. Mit diesen Ungetümen, die mir viel zu groß sind, kann ich nichts mehr anfangen. Außerdem gehören sie mir nicht.“
Ich machte mich darauf gefaßt, die Sache mit meinem Vater durchzufechten, falls er Einwände erheben sollte, doch er antwortete nur: „Natürlich. Wenn wir nächstesmal nach Rosenheim fahren, bekommst du sie.“
Ich sagte nichts mehr. Eigentlich wäre es mir fast lieber gewesen, er hätte nicht so bereitwillig ja gesagt, sondern mich in meinem Verdacht bestätigt, daß für Kirsty alles getan wurde, für mich aber nichts.
Wir aßen die Spiegeleier, und ich merkte dabei, daß Vater immer wieder aus dem Fenster sah. Doch Kirsty kam nicht zurück, und auch Herr Alois tauchte nicht auf.
Nach dem Essen zog ich mich für die Stallarbeit um und machte mich wieder auf den Weg nach Dreililien. Als ich zwei Stunden später müde und schmutzig durch die Gartenpforte zum Kavaliershäusl hinkte, lehnte Kirstys Fahrrad an der Hausmauer. Sie saß in der Küche, war blaß unter der Sonnenbräune und hatte ein Glas Milch vor sich stehen, das sie nicht anrührte.
Mein Vater versuchte sie zu trösten. „Er streunt nur herum, er kommt schon wieder!“ versicherte er. „Elinor meint auch, daß wohl irgendwo eine Hündin läufig ist. Rüden riechen so etwas meilenweit.“
Kirsty sagte gar nichts. Sie tat mir leid, wie sie so unglücklich auf der Bank kauerte. Ich wehrte die weiche Regung jedoch rasch ab, ging ins Badezimmer und stellte den Heißwasserboiler an, den Vater neu eingebaut hatte.
Ich duschte und wusch mir die Haare. Dann saß ich noch in meinem Zimmer und hörte Musik bei Kerzenlicht. Später schrieb ich mehrere Seiten in mein Tagebuch und stellte fest, daß Jörns Name immer häufiger darin auftauchte. Beim Schreiben gingen meine Gedanken mehrmals zu dem Augenblick am Weiher zurück, als er mich vom Pferd gehoben hatte.
Es war so schwer zu ergründen, was Jörn fühlte und dachte. In diesem Moment hatte ich geglaubt, daß er mich gern hätte und mich anziehend fand; jetzt aber zweifelte ich schon wieder daran.
Draußen wurde es dunkel, und ich hörte, wie Kirsty ums Haus ging und nach ihrem Hund rief. Ich trat ans Fenster und sah hinaus. Der Mond schien. Kirsty stand als dunkler Schatten an der Gartenpforte. Dann hörte ich; die Haustür gehen. Mein Vater kam durch den Vorgarten und trat neben sie.
Ich verließ meinen Platz am Fenster, legte mich aufs Bett, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah zur Zimmerdecke auf, über die der Widerschein der Kerzenflamme züngelte.
Dann schlief ich wohl ein, ohne es richtig zu merken, denn als ich wieder erwachte, war die Kerze erloschen, und es war stockdunkel im Zimmer.
Ich merkte, daß ich angekleidet auf dem Bett lag. Ein Geräusch hatte mich geweckt. Ich lauschte in die Finsternis und hörte Motorenlärm, der schon in der Ferne verklang.
Es war seltsam, daß ich hier vom Geräusch eines einzigen Wagens wach wurde, während ich den Verkehrslärm in der Stadt schon gar nicht mehr wahrgenommen hatte. Doch hier war es ungewöhnlich, wenn die nächtliche Stille von etwas anderem als einsamen Vogelrufen, dem Raunen des Windes in den Zweigen der Eiche oder dem Trommeln des Regens auf das Dach unterbrochen wurde, und meine Sinne hatten sich bereits darauf eingestellt.
Plötzlich fragte ich mich, wer da nachts mit dem Wagen durch dieses abgeschiedene Tal fahren mochte. Jörn vielleicht? Oder war es mein Vater?
Ich richtete mich auf und lauschte wieder. Jetzt war es ganz still, fast zu still. Im Dunkeln tappte ich ans Fenster und sah hinaus.
Ein schwacher Lichtschein erhellte den Garten, Licht aus den Küchenfenstern. Unruhe erfaßte mich. Ich tastete mich an der Wand entlang zum Bett, zündete eine neue Kerze an und ging dann die Treppe hinunter.
Einen Augenblick lang blieb ich vor der Küchentür stehen. Ich hörte keine Stimmen, doch ein anderes Geräusch wie von schweren, qualvollen Atemzügen.
Ich erschrak so, daß die Kerze in meiner Hand zu zittern begann. Sekundenlang zögerte ich. Dann klopfte ich leicht an die Tür und öffnete.
Kirsty kniete auf dem Fußboden. Ich sah nur ihren Hinterkopf, ihr offenes, goldbraunes Haar, ihren schmalen Rücken und ihre bloßen Füße. Dann wanderte mein Blick weiter. Sie beugte sich über etwas – ein braunes Bündel, das auf einer Decke neben ihr lag.
Von diesem braunen Bündel kamen die qualvollen Atemzüge. Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, daß Kirstys Hund da auf der Decke lag, und daß er vielleicht sterben würde.
Mein Herz klopfte schwer. Ich schloß die Tür hinter mir, trat in die Küche und stellte die Kerze auf den Tisch. Erst jetzt wandte sich Kirsty zu mir um.