Читать книгу Reiterhof Dreililien Sammelband - Ursula Isbel - Страница 13

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Zu Beginn der Ferien hatte ich geglaubt, ich würde heilfroh sein, wenn wir wieder nach Hause fuhren; doch so war es nicht.

Zwar hatte ich mich mit meinem Vater auch am Ende der Ferien noch nicht ausgesöhnt, und Kirsty wünschte ich nach wie vor zum Teufel. Aber ich wußte auch, daß ich dieses freie Leben ohne Lärm und Trubel vermissen würde; die Frühlingsdüfte, die es in der Stadt nicht gibt, den Gesang der Vögel in der Morgendämmerung, vor allem aber Dreililien: Jörn und Matty und die Pferde.

Ich hatte mich schon richtig daran gewöhnt, täglich im Stall zu arbeiten, hatte gelernt, furchtlos mit den Pferden umzugehen, die schwere Schubkarre fast ebenso rasch und sicher wie Matty und Jörn zwischen Stall und Misthaufen hin- und herzufahren; hatte es mir angewöhnt, schon im Morgengrauen aufzustehen, um die Pferde füttern zu helfen und sie mit Matty auf die Koppel zu bringen. Ich hatte gelernt, auf ein Pferd zu steigen, was gar nicht so einfach war, und mich furchtlos auf den Koppeln zwischen den Stuten zu bewegen.

Jetzt aber sah es aus, als sollte ich diese neuen Kenntnisse, die mich so viel Schweiß und Mühe gekostet hatten, vielleicht nie wieder anwenden können.

Ich schlief schlecht in meiner letzten Nacht im Kavaliershäusl. Am Morgen stand ich schon um fünf Uhr auf, packte meinen Koffer und bereitete alles für die Abreise vor.

Herr Alois lag in der Küche und begrüßte mich mit schläfrigem Schwanzwedeln, als ich durch die Tür kam. Ich streichelte ihn ausgiebig, trank einen Schluck Milch, aß ein Käsebrot und ging dann aus dem Haus.

Viele Bäume hatten während der Osterzeit ausgeschlagen, und die Haselnußsträucher verstreuten gelben Blütenstaub. Am Wegrand blühten Buschwindröschen und Veilchen. Auch die Stare waren zurückgekommen. Ich sah sie auf der Suche nach Würmern durch die taunassen Wiesen staksen. In der Eiche vor Tante Karens Haus saß eine Amsel und flötete aus Leibeskräften.

Ich warf einen Blick auf die Gummistiefel an meinen Füßen, die mir nicht gehörten. Ich muß sie zurückgeben! dachte ich und wurde traurig dabei.

Matty stand in der Toreinfahrt und sah mir entgegen. „Ich hab gehofft, daß du noch mal kommen würdest“, sagte er.

„Ist doch klar“, erwiderte ich. „Wir fahren ja erst gegen neun.“

„Hier“, murmelte er. „Ich hab etwas für dich, Nell. Eine Art Abschiedsgeschenk.“

Abschied . . . Ich mochte das Wort nicht hören, Verlegen gab er mir ein kleines Päckchen, das ziemlich ungeschickt in blaues Papier gewickelt war. Ich nahm es; es war überraschend schwer. Als ich es auswickelte, fand ich ein altes Hufeisen darin.

„Das hab ich mal gefuhden“, erklärte Matty. „Nicht hier bei uns, sonst würde es ja kein Glück bringen. Man muß ein Hufeisen zufällig finden, wenn’s ein richtiger Talisman sein soll.“ Und er lächelte ein wenig schief.

„Ich dachte, du bist nicht abergläubisch“, sagte ich. „Aber vielen Dank, Matty. Vielleicht bringt’s mir wirklich Glück. Ich könnte es brauchen.“

Gemeinsam gingen wir zum Stall – zum letztenmal, dachte ich unwillkürlich. Und ich sah mir alles noch einmal genau an – den Torbogen mit der zerbrochenen Laterne, die drachenköpfigen Dachtraufen, die schmiedeeisernen Fenstergitter und die steinerne Bank unter der Birkengruppe. Es war, als müßte ich mir Dreililien genau einprägen, damit ich mir später jede Einzelheit ins Gedächtnis zurückrufen konnte.

Jörn war schon damit beschäftigt, den Pferden ihre Ration Hafer zu geben. Ich beobachtete auch ihn genau, wie er da in seiner alten Arbeitshose und dem verblichenen Flanellhemd stand, den Eimer am Arm. Sein blondes Haar mit dem Stirnband, die tiefliegenden Augen, der Mund, der wie immer bei der Arbeit fest zusammengepreßt war . . . Nein, ich wußte, daß ich Jörn nicht so schnell vergessen würde; vor allem ihn nicht.

Beim Klang unserer Schritte auf dem Stallpflaster drehte er sich um, und sein Mund wurde weicher. „Morgen, Nell“, sagte er und zog einen Zettel und einen abgenagten Bleistift aus der Brusttasche seiner Latzhose. „Hier, schreib uns deine Adresse auf. Vielleicht kommt einer von uns demnächst mal nach München, dann besuchen wir dich.“

„Ich schreibe dir“, sagte Matty.

Ich spürte, daß ich vor Freude rot wurde, und schämte mich nicht einmal deswegen. Ich drückte den Zettel gegen die Stallmauer und kritzelte meine Adresse darauf. „Aber du wirst doch wiederkommen?“ fragte Matty. „In den großen Ferien, wie?“

Ich gab Jörn den Zettel zurück. „Ich weiß nicht“, sagte ich leise. Einerseits wollte ich wiederkommen – sehr gern sogar. Doch die Sache hatte auch eine andere Seite. Wenn ich wiederkam, bedeutete das, daß die Beziehung zwischen meinem Vater und Kirsty von Dauer war. Und wie konnte ich mir so etwas wünschen?

Matty erwiderte nichts mehr. Er sah traurig aus. Ich hatte den beiden inzwischen von meinem Problem erzählt. Jörn sagte: „Du mußt ja nicht unbedingt im Kavaliershäusl wohnen. Vielleicht könntest du zu uns kommen – was meinst du, Matty? Zimmer haben wir mehr als genug, und wir sind froh um jeden, der uns mit den Pferden hilft.“

Matty nickte, doch ich dachte an Herrn Moberg, den Vater der beiden. Ich war ihm bis jetzt nur dreimal begegnet, und jedesmal war ich das Gefühl nicht losgeworden, daß er nicht gerade begeistert über meine Besuche war.

„Nein“, sagte ich. „Das ist nett von dir, aber ich möchte es lieber nicht. Euer Vater . . .“ Ich stockte, weil ich nicht wußte, wie ich es ihnen erklären sollte.

„Ach“, erwiderte Matty, „Vater ist Fremden gegenüber immer mißtrauisch. Wenn er mürrisch ist, hat das nichts mit dir persönlich zu tun, weißt du. Er hat seit dem Unfall Angst, man könnte ihn anstarren oder bemitleiden. Ich glaube, er verachtet sich selbst, weil er sich für einen Krüppel hält, und denkt, alle anderen müßten ihn ebenfalls verachten.“

Ich nickte. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, daß Herr Moberg eine Abneigung gegen mich persönlich hatte; und der Gedanke, in seinem Haus als Gast zu sein und täglich mit ihm am Tisch sitzen zu müssen, war nicht gerade verlockend.

„Überleg dir’s“, sagte Jörn noch. Dann redeten wir nicht weiter über die Sache. Ich half, die Pferde zu füttern, und streichelte meine Lieblinge noch einmal ausgiebig – Hazel vor allem und Solveig.

Hinter den Stallfenstern wurde es hell. Die Sonne stieg über dem Wald auf, und wir öffneten die Stalltore weit und holten die Pferde aus ihren Boxen.

„Sie kommen heute auf die Südweide“, sagte Jörn. „Da ist das Gras schon ziemlich hoch und kräftig.“

Ich ging ein letztes Mal hinaus, hinter den Pferden her, die ungeduldig, mit wehenden Mähnen und Schweifen, über den alten Hofplatz trabten. Das klingende Klappern ihrer Hufe auf dem Pflaster war mir nun schon vertraut, genau wie das Quietschen des Gatters, Dianas Gebell und das Schnauben der Pferde, das Sausen des Frühlingswindes in den Birken und das Kreischen der Elstern, die irgendwo in den Tannen hinter dem Hof nisteten.

Wir ließen die Pferde auf der Südweide frei, schlossen das Gatter und sahen eine Weile zu, wie sie herumtollten und sich spielerisch balgten, glücklich über ihre Freiheit.

Ich stand zwischen Matty und Jörn, die Arme auf den Querbalken gestützt. Die bleiche Mondsichel hing noch zwischen den Bäumen, aus dem Kamin des Kavaliershäusls stieg Rauch auf, und die fernen Berge lagen in bläulichem Dunst.

Jörns gebräunter Arm mit dem hochgekrempelten Hemdärmel war dicht neben dem meinen. Ich dachte: Das ist der Abschied.

„Ich muß gehen“, sagte ich schwer.

Jörn erwiderte: „Du wirst wiederkommen, Nell.“

Was machte ihn so zuversichtlich? Vielleicht würde ich wiederkommen, ja; für ein paar Stunden, einen kurzen Besuch. Matty sagte nichts, er sah mich nur an, und ich dachte wieder: was für warmherzige Augen er doch hat!

„Ich lege die Latzhose und die Gummistiefel vor die Tür des Kavaliershäusls, wenn’s euch recht ist“, sagte ich nüchtern, um meine Traurigkeit zu verbergen.

„Nicht nötig“, erwiderte Matty. „Wir brauchen beides nicht. Aus der Hose ist Jörn längst rausgewachsen, und die Stiefel sind uns allen zu klein. Leg die Sachen in irgendeinen Schrank, dann hast du sie gleich, wenn du wieder hier bist.“

Von weitem sahen wir, wie sich die Tür des Kavaliershäusls öffnete. Mein Vater ging durch den Garten und lud etwas ins Auto. Dann tauchte Kirsty auf. Ich dachte plötzlich, daß vielleicht auch die beiden traurig waren, von hier fortzumüssen.

„Macht’s gut“, sagte ich. „Und danke für alles. Ich hoffe, ihr könnt möglichst viele von den Pferden behalten!“

Wir gaben uns die Hand, und ich ging; und das war gut so. Ich war nahe daran, loszuheulen, und das sollte keiner sehen. Ich drehte mich auch nicht mehr um. Doch als ich ans Ende der Koppel kam, wo keine Haselnußsträucher mehr wuchsen, stand Hazel am Zaun und sah mir entgegen, als hätte sie auf mich gewartet, weil sie ahnte, daß ich fortgehen mußte.

Ich blieb stehen, und während ich von ihr Abschied nahm, weinte ich ungehindert, die Stirn an ihrem Hals. Sie allein durfte es sehen.

Reiterhof Dreililien Sammelband

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