Читать книгу Reiterhof Dreililien Sammelband - Ursula Isbel - Страница 9

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Es war Mittagszeit, als ich zum Kavaliershäusl kam. Vater und Kirsty hatten den Gartentisch unter der noch kahlen Eiche gedeckt und sagten kein Wort über meinen vormittäglichen Ausflug. Sie taten, als wäre alles in bester Ordnung; das heißt, mein Vater tat so. Er lachte und versuchte witzig zu sein, doch Kirsty machte ein ernstes Gesicht und ging nicht auf seine erzwungene Fröhlichkeit ein.

Ich sagte überhaupt nichts, saß nur am Tisch und löffelte lustlos einen Yoghurt. Da wurde auch mein Vater mit der Zeit stiller. Ich hatte den beiden die Laune verdorben, doch das schadete nichts. Wenn ich nicht froh war, brauchten sie es auch nicht zu sein.

Herr Alois saß auf der Türschwelle und kaute hingebungsvoll an einem Knochen, und in der Ferne grasten die Pferde des Dreililienhofes auf den Koppeln. Die Sonne sickerte durch die knorrigen Äste und Zweige, und es hätte alles sehr schön und friedlich sein können, wenn die Sache mit Kirsty nicht gewesen wäre.

Plötzlich horchte ich auf. Vater und Kirsty schienen sich gerade über Dreililien zu unterhalten. „ . . . hat wohl kaum noch einen Gewinn erzielt, seit er selbst nicht mehr arbeiten kann“, hörte ich Kirsty sagen.

„Ich glaube sowieso nicht, daß Pferdezucht ein besonders einträgliches Geschäft ist“, erwiderte Vater. „Wenn so ein Pferd krank wird oder stirbt, oder wenn gar eine Seuche ausbricht – das kann einen Pferdezüchter über Nacht ruinieren.“

Kirsty machte ein nachdenkliches Gesicht. „Die meisten Pferde sind wohl versichert“, sagte sie. „Aber Versicherungen kosten natürlich auch eine Menge Geld. Und nach dem Unfall mußte Waldo noch zusätzlich einen Stallknecht einstellen. Damals hat er auch zum erstenmal einen Teil seiner Stuten verkauft.“

Dieser Waldo war vermutlich Jörns und Mattys Vater; doch von welchem Unfall sprach sie? Matty hatte nichts davon erwähnt. Allerdings erinnerte ich mich an seine Bemerkung, man könne es seinem Vater nicht verübeln, daß er schwierig war.

Ich hätte Kirsty danach fragen können, aber ich tat es nicht. Sie und Vater sollten nicht wissen, daß ich Jörn und Matty bereits kannte. Das war meine Privatangelegenheit. Außerdem hatte ich keine Lust, mich auf eine Unterhaltung mit Kirsty einzulassen.

„Aber du hast doch gesagt, daß er zwei Söhne hat“, erwiderte mein Vater. „Sie werden ihm sicher helfen.“

„O ja, natürlich. Aber sie gehen schließlich noch zur Schule. Und ein paar Dutzend Pferde machen eine Unmenge Arbeit.“

Kirsty stand auf und ging ins Haus. Herr Alois nahm seinen Knochen zwischen die Zähne und folgte ihr. Mein Vater sah mich an und sagte: „Schön ist es hier, findest du nicht?“

„Das kommt ganz auf den Standpunkt an“, erwiderte ich.

Er machte ein unbehagliches Gesicht. „Oder auf die Einstellung“, sagte er. „Wenn du entschlossen bist, hier alles unmöglich zu finden, kann es dir allerdings nicht gefallen.“

Ich wandte den Blick von ihm ab. „Unmöglich? Nein, unmöglich finde ich es hier nicht. Ich hab nur einfach keine Lust, fünftes Rad am Wagen zu spielen.“

Mein Vater sagte leise, aber heftig: „Du spielst fünftes Rad am Wagen, ja! Wir drängen dich bestimmt nicht in diese Rolle, Kirsty und ich. Aber du sonderst dich ja dauernd ab und tust, als wäre Kirsty deine Todfeindin und ich ihr Verbündeter, nur weil du schlicht und einfach eifersüchtig auf sie bist! Wenn Mutter wüßte . . .“

Ich sprang auf. „Laß Mutter aus dem Spiel!“ sagte ich ebenso leise und noch heftiger. „Du machst es dir verdammt leicht, wenn du denkst, ich wäre nur eifersüchtig! Dann kann ich ebensogut sagen, daß du egoistisch bist! Hauptsache, du bist glücklich. Wie ich mich dabei fühle, ist dir ja ganz egal – wenn ich mich nur höflich und verträglich benehme!“

Zum zweitenmal an diesem Tag war ich den Tränen sehr nahe, und wieder wollte ich es um keinen Preis zeigen. Ich wandte mich ab und ging; nicht ins Haus, sondern durch den verwilderten Garten und über den Pfad zum Wald.

Dann wanderte ich lange durch den Wald und dachte über alles nach. Eine Stimme in meinem Innern klagte mich an, daß ich Vater Unrecht tat. Zugleich aber war ich auch überzeugt, daß mir Unrecht getan wurde, und daß Vater mich wegen einer fremden Frau verraten hatte.

Als ich zurückkam, waren Vater und Kirsty fort und hatten Herrn Alois mitgenommen. Diesmal hatten sie einen Zettel hinterlassen. Sind spazierengegangen, stand in Vaters Schrift auf einem Blatt Papier in der Küche. Essen ist im Kühlschrank.

Ich hatte keinen Hunger. Langsam ging ich ins Mansardenzimmer, zog das karierte Herrenhemd an, das ich im vergangenen Herbst auf dem Flohmarkt gekauft hatte, schlüpfte in meine alten Lieblingsjeans mit den Flicken auf den Knien, bürstete meine Haare und betrachtete mich gründlich im Spiegel, der über der weißen Waschkommode hing.

Ein mißmutiger Ausdruck lag um meinen Mund, der nicht gerade sehr kleidsam war. Ich gab mir Mühe, ein freundliches Gesicht zu machen, was mir bei meiner gegenwärtigen Stimmung gar nicht so leicht fiel. Dann flocht ich meine Haare zu einem Zopf, wie Kirsty ihn trug, und entdeckte, daß mir die neue Frisur gut stand. Mein herzförmiger Gesichtsschnitt und die dunklen, ziemlich geraden Brauen kamen so besser zur Geltung, und mein Hals wirkte länger und anmutiger, als wenn ich die Haare offen trug.

Die Pferde waren noch auf der Koppel und hoben aufmerksam die Köpfe, als ich den Pfad zwischen den Birken und Haselnußsträuchern entlang ging. Eine braune Stute kam unter einer Baumgruppe hervor zum Koppelzaun und schnaubte. Da sah ich, daß es Hazel war. Sie hatte mich wiedererkannt.

Ich blieb stehen und hätte sie am liebsten umarmt, so freute ich mich über ihre Begrüßung. Behutsam streckte ich die Hand aus, streichelte ihre Stirn und kraulte sie zwischen den Ohren.

Sie kniff vor Behagen die Augen zu und stieß stöhnende Geräusche aus. Ich sagte: „So ein braves, kluges Mädchen! Wo ist Matty?“

Bei dem Wort Matty spitzte Hazel die Ohren und öffnete die Augen. Schon näherten sich drei weitere Pferde und streckten die Köpfe über den Zaun, Da wurde mir die Sache doch ein bißchen unheimlich, und ich ging weiter.

Die Spätnachmittagssonne lag strahlend über dem Gutshof und ließ den alten Torbogen wie den Eingang zu einem verwunschenen Schloß aussehen. In den Fensterseheiben spiegelte sich das Licht. Eine Katze schlüpfte aus einer Mauernische hervor und verschwand in Richtung zum Waldrand. Auf den Koppeln blühten Schlüsselblumen, und die Birkengruppe mit der steinernen Bank hinter dem Stallgebäude leuchtete in zartem Grün.

Ich verstand plötzlich, weshalb Matty nicht von hier fort wollte. Dreililien war einfach nicht zu vergleichen mit einem gewöhnlichen Haus oder einer Mietswohnung in der Stadt. Wer in einem solchen Hof aufgewachsen war, mußte sich hier verwurzelt fühlen. Matty wußte, wohin er gehörte. Meine Familie und mein Zuhause bestanden nur aus meinem Vater; Matty aber hatte diesen Hof, der das ganze Tal umfaßte, hatte einen Bruder und Pferde, die er liebte. Er war reicher als ich, doch er hatte auch mehr zu verlieren.

Reiterhof Dreililien Sammelband

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