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4. Die Notwendigkeit einer theoriegeleiteten Praxis

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Was ist an dem Buch Psychologie der Eigensicherung eigentlich neu?

Es will auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und Beobachtungen aus der polizeilichen Praxis das Thema der polizeilichen Eigensicherung – ohne den Anspruch der Vollständigkeit – möglichst umfassend darstellen: von der Wahrnehmung von Gefahren, der Vorbereitung und Bewältigung von lebensbedrohlichen Krisen bis hin zum Verhalten bei gefährlichen Verletzungen und Todesgefahr.

Es hat natürlich schon immer Bücher gegeben, die sich mit Verhalten in Gefahrensituationen beschäftigten, wie z. B. die Titel Survival in the City von Greenbank (1974) oder Surviving the street (Garner, 1998) ausdrücken. Doch dabei handelt es sich oft vor allem um eine Ansammlung von Ratschlägen, die zwar durchaus hilfreich sein können, von denen man jedoch nicht immer weiß, ob sie aus der Realität abgeleitet sind oder nur (stellenweise) lediglich die subjektive Meinung des Autors widerspiegeln (s. z. B. Greenbank, 1974). Andere Bücher loten einzelne Gefahrenbereiche nicht voll aus, weshalb auch nicht alle Probleme und Verhaltensmöglichkeiten dargestellt werden können. Manche Bücher geben durchaus fundierte Ratschläge, die aus der Praxis abgeleitet wurden, verraten aber schon durch den Titel begriffliche Schwachstellen, z. B. Gavin de Beckers (1997) Buch The Gift of Fear (Das Geschenk der Angst). Hierbei führt der Begriff Angst in die Irre, weil man zur Bewältigung von Gefahren weder Angst haben noch zeigen darf, sondern eine gelassene Wachsamkeit. Dies belegt z. B. das Beispiel englischer Bombenentschärfer. Hätten sie bei ihrer gefährlichen Tätigkeit Angst gehabt, hätten sie nicht eine derart hohe Überlebenschance gehabt (Jappy, 2001). Und, wie ich selbst bei Verkehrskontrollen feststellte, ist die wichtigste Voraussetzung für das Verhindern eines Angriffs: Man muss beobachten, was der Verdächtige mit den Händen macht, man muss seinen Bewegungen folgen. Dies hat zwei Vorteile: Man kann rechtzeitig erkennen, wenn er eine Waffe zieht. Außerdem erkennt ein Verdächtiger, wenn ich auf ihn reagiere und seinen Bewegungen folge, dass ich die Situation unter Kontrolle habe, und er wird nicht wagen, eine (versteckte) Waffe zu ziehen.

Die Verwendung des Begriffes Angst bezüglich der Eigensicherung ist also falsch. Offensichtlich wird der Begriff Angst sogar dann schon verwendet, wenn lediglich ein erhöhtes Aktivierungsniveau vorliegt (Adrenalinreaktion), ohne dass aber die für die Angst typischen negativen Gedanken und Vorstellungen vorliegen.

Was die polizeiliche Eigensicherung selbst betrifft, so gibt es hinsichtlich der psychologischen Seite nur einige wenige wissenschaftliche Untersuchungen. So hatte Toch (1969) zwar sehr ausführlich die Entwicklung gewalttätiger Interaktionen analysiert, die sich aus provozierendem Verhalten des Polizisten ergaben (keine Erklärungen für seine Maßnahmen geben usw.). Doch stellen derartige Provokationen nur eine Seite des Gefährdungspotenzials für Polizisten dar. Denn manche Gefahren beinhalten das entgegengesetzte Problem: Nichtwahrnehmung von Gefahren und Passivität. Diese Passivität führte z. B. dazu, dass die Täter die auf sie gerichtete Waffe des Polizisten ergreifen und diesen mit der Dienstwaffe töten konnten (FBI, 1992). Aufschlussreich ist auch die deutsche Studie von Sessar, Baumann und Müller (1980), weil sie ausführlich die Fehler von Polizisten analysierte. Doch erst durch die verschiedenen Untersuchungen des FBI und spezifisch von Pinizzotto, Davis und Miller (1997, 1998, 1999) werden die psychologischen Faktoren deutlich, die in dieser Situation wirkten. Wie sah der Täter den Polizisten? Was beeinflusste seinen Entscheidungsprozess, den Polizisten anzugreifen? Wie deutete der Polizist die Situation, den Täter usw.? Was führte zu seinem unangemessenen Entscheidungsprozess und Handeln usw.?

Es wird hier deutlich, dass hinsichtlich der Eigensicherung häufig versäumt wird, bei der Begegnung Polizist – Bürger zu untersuchen, was sich konkret in dieser Interaktion zwischen beiden Personen abgespielt hat, wie sie sich gegenseitig beeinflusst haben, also die einzelnen Verhaltensweisen beider Personen.

Zur Frage nach der Generalisierbarkeit amerikanischer Untersuchungen ist übrigens zu sagen, dass es zwar spezifische Unterschiede z. B. zwischen amerikanischen und deutschen Polizisten geben mag, doch viele Probleme, Fehler und die wirkenden psychologischen Faktoren grundsätzlich gleich sind.

Beispielsweise kritisierten Gruber und Jedamczik (2000) die Lässigkeit und Defizite junger Beamter im Hinblick auf das dienstliche Auftreten und Einsatzverhalten. Junge und unerfahrene Polizeibeamte sind einem starken Gruppendruck unterworfen, und ihre latente Unsicherheit äußert sich durch überzogene Lässigkeit. Man vergleiche damit die Lässigkeit mancher amerikanischer Polizisten, die im Dienst getötet wurden (s. die Tabelle Verhaltensbeschreibungen in Kap. 21. 4, S. 262).

Das Buch Psychologie der Eigensicherung betont die Notwendigkeit, Gefahrensituationen und das angemessene Verhalten genau zu betrachten, zu analysieren und das Handeln demgemäß auszurichten. Gefährlich kann es dagegen werden, wenn man seine unüberprüfte Meinung darüber, wie Menschen sich verhalten, wann Gefahren entstehen usw., seinem Handeln zugrunde legt. Denn manchmal sind die Dinge anders, als man es gedacht hat.

Psychologie der Eigensicherung

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