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8. Psychisch Gestörte, Betrunkene und Rauschgiftsüchtige
ОглавлениеAuch der Umgang mit psychisch Gestörten kann zumeist unter anderem durch die Vermeidung von defensiver Kommunikation – gewaltfrei gestaltet werden. Denn nur scheinbar kann es beim Umgang mit psychisch Gestörten zu unprovozierten Angriffen kommen. Angriffe dieser Personengruppe sind nämlich nicht zufällig. Die Angriffe ergeben sich zumeist aus vorherigen Interaktionen, die Frustrationen auslösten (Füllgrabe, 1992, 1997, 2016, S. 198 f.).
Richter und Berger (2001) stellten fest:
• In 62,5 % der Angriffe war ein Konflikt mit anderen Personen vorausgegangen, in 47,7 % der Fälle mit dem Personal.
• In über der Hälfte der Fälle waren dabei Pflegeaktivitäten wie Essenreichen, Körperhygiene und die Verabreichung von Medikamenten der Anlass.
• Bei einem Viertel war die Verweigerung eines Wunsches der Anlass für den Angriff.
Der Angriff war auch nicht unvorhersehbar. In vielen Fällen gingen den Ereignissen Anzeichen einer Eskalation voraus (Richter & Berger, 2001):
• In 60 % der Fälle drohende Gestik des Patienten,
• In über 50 % der Fälle geringe Körperdistanz Patient – Personal,
• Beschimpfungen (⅓ der Fälle),
• Offensichtliche Verwirrtheit (⅓ der Fälle).
Neben der Vermeidung von defensiver Kommunikation muss man aber auch die spezifischen Probleme von psychisch Gestörten beachten.
Beispielsweise reagieren Schizophrene oft sensibler auf ihre Umwelt, als man das glaubt. Sie können z. B. eine Reizüberflutung erleben, wenn mehrere Personen auf sie einreden. Sie wünschen darum auch eine größere persönliche Distanz als andere Menschen, und deshalb reagieren sie negativ oder aggressiv, wenn man ihnen zu nahe kommt (Füllgrabe, 1992).
Ein weiteres Problem besteht darin, dass psychisch Gestörte die Dinge oft anders sehen als andere Menschen, weil sie sich eher bedroht, verfolgt usw. sehen. Deshalb ist es wichtig, dass man ihnen durch sein Verhalten und seine Worte signalisiert, dass sie keine Angst zu haben brauchen, dass man ihnen helfen wird, ihr Problem zu lösen usw. (Füllgrabe, 1992).
Bei den Personengruppen der Betrunkenen und Rauschgiftsüchtigen betont Garner (1997): Sie scheinen weniger Schmerzen zu spüren. Und weil ihre Schmerztoleranz erhöht ist, scheinen sie (und vermutlich auch manche der psychisch Gestörten) übernatürliche Kräfte zu besitzen (s. a. S. 123). Deshalb ist beim Einschreiten gegen sie Vorsicht geboten, und man sollte sich die Hilfe von Kollegen sichern.
Psychisch Gestörte, Betrunkene und Rauschgiftsüchtige werden leicht unterschätzt, weil man sie irrtümlicherweise für hilflos und für Opfer ihrer Umstände hält (Sessar et al., 1980). In Wirklichkeit haben sie eine weitaus größere Steuerungsfähigkeit, als man glaubt (s. Füllgrabe, 2016), wie auch die Beispiele in diesem Buch belegen. Deshalb ist es richtig, dass Garner (1997) im Umgang mit ihnen ausdrücklich allgemeine Prinzipien der Eigensicherung betont: Man darf sie nie aus den Augen verlieren. Wenn man jemanden alleine in den nächsten Raum gehen lässt, „um seinen Mantel zu holen“, könnte er mit einer Waffe zurückkommen. Man darf ihm auch nicht erlauben, dahin zu greifen, wo man die Waffe nicht unter Kontrolle hat.