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4. Konfliktvermeidung durch gelassene Wachsamkeit

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Auch die Tatsache, dass der Bürger seine Hände in der Tasche hatte, also möglicherweise bewaffnet war, soll näher betrachtet werden. Es gibt hier zwei entgegengesetzte Fehlerquellen:

• Ein unvorsichtiger Mensch hätte vielleicht diese Tatsache übersehen oder nicht berücksichtigt, dass der Bürger eine Waffe in der Tasche haben könnte. Dies hätte für ihn tödlich sein können.

• Der extrem Ängstliche oder Misstrauische – der überall zunächst das Schlechteste vermutet –, „weiß“, dass der andere bewaffnet ist. Seine unangemessene Reaktion, seine Angst, sein extremes Misstrauen, löst aber keineswegs das Problem, sondern es kommt zum Schlagabtausch.

• Wichtig ist dagegen eine gelassenere Wachsamkeit. Das Selbstvertrauen dieser Strategie könnte man vielleicht in folgender Formulierung illustrieren: „Weil ich mich notfalls zur Wehr setzen kann, kann ich zunächst freundlich auftreten.“ Bezüglich der Hände des Bürgers könnten hier die Gedanken etwa so sein: „Er könnte eine Waffe in der Tasche haben, muss es aber nicht: vermutlich nicht, denn er steht vor seinem Haus, um nach dem Streit mit seiner Frau Luft zu schnappen. Hätte er einen Angriff gegen uns vor, hätte er sich versteckt, um uns aufzulauern. Ich werde auf jeden Fall sein Verhalten beobachten und notfalls reagieren!“

Diese Einstellung beinhaltet ein weitaus treffenderes, differenziertes Bild von der Wirklichkeit und verrät mehr Kenntnisse und Fähigkeiten, z. B. von sachgerechter Eigensicherung und den Möglichkeiten der Selbstverteidigung. Warum? Darüber gibt z. B. ein amerikanischer Lehrfilm von Calibre Press genau Auskunft. Er zeigt, dass es ein tödlicher Irrtum sein kann, zu glauben, man brauche keine Kenntnisse von Selbstverteidigung, weil man ja eine Dienstpistole habe. In dem Film wird demonstriert, wie groß der Abstand sein muss, damit ein Polizeibeamter gegenüber einem Angreifer mit einem Messer, der sich schnell auf ihn zubewegt, seine Waffe benutzen kann: mindestens 8 Meter! (s. a. Calibre Press, 1987, S. 20). Und das auf offenem Gelände und ohne Berücksichtigung des Zustandes der Überraschung des Polizisten!

Andererseits geht daraus hervor, dass auch der Bürger einen Zeitverlust gehabt hätte, wenn er eine Waffe (z. B. ein Messer) aus seinem Mantel gezogen hätte. Diese Zeitverzögerung hätte auch einem wachsamen Polizisten genügt, um angemessen zu reagieren.

Aber auch eine angemessen vorgetragene Bitte, die Hände aus dem Mantel zu nehmen, wäre durchaus erfolgversprechend gewesen. Toch zitiert (1969, S. 131) den Bürger: „Wenn er mich gebeten hätte, die Hände aus meinen Taschen zu nehmen, hätte ich wieder gefragt: ‚Warum?‘ Und wenn er mir gesagt hätte, dass er meine, ich habe eine Waffe oder sonst etwas, oder dass er mich durchsuchen möchte, um zu sehen, ob ich eine Waffe hätte, hätte ich sie herausgenommen. Aber er sagte nur: ,Nehmen Sie die Hände aus Ihren Taschen.‘ Und ich sagte: ,Aus welchem Grund?‘ Und er sagte: ,Genau deshalb, weil ich es Ihnen sage!‘“ Dieser Vorfall zeigt also den Nachteil einer ängstlichen oder misstrauischen Strategie. Der Polizist reagierte unangemessen und konfliktfördernd, weil (und nicht obwohl!) er ängstlich oder misstrauisch war. Es kam hier also zu einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“, weil die Gelassenheit fehlte, die Situation richtig einzuschätzen. Das Grundsatzproblem wird hier deutlich: Der Ängstliche sieht überall undifferenziert „die Gefahr“.

Ein Experte der Eigensicherung sieht eher, wann man vorsichtig und wann man entspannt sein muss. Der Experte denkt nicht undifferenziert an „Gefahr“, denn er hat auch ein differenziertes Bild, welche Gegenstände als Waffe benutzt werden können, wo sie versteckt sein könnten usw. Er hat auch die selbstsichere Haltung, die man bei Experten von Kampfsportarten finden kann: Weil ich ein Experte bin, kann ich länger als andere gelassen bleiben. Ich kann dem Angreifer immer noch die Möglichkeit geben, von seiner Aggression abzulassen und sich zurückzuziehen – weil ich die Situation unter Kontrolle habe und bis zum letzten Moment warten kann.

Psychologie der Eigensicherung

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