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1.2 Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung

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Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist das polizeiliche Schutzgut; nur ihr können Gefahren drohen. Zur öffentlichen Sicherheit zählen:18

– die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung,

– die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen,

– der Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen.19

Als Inbegriff der öffentlichen Sicherheit ist regelmäßig zuerst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung zu prüfen. Denn fast alle Handlungen, die die Polizei zum Einschreiten berechtigen, beruhen auf einer Verletzung des geltenden Rechts und damit auf einer Verletzung der Rechtsordnung. Rechtsordnung meint die Gesamtheit des oben erläuterten geltenden Rechts. Wann immer also gegen Rechtsnormen verstoßen wird oder dies droht, ist die öffentliche Sicherheit in Gestalt der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung gestört bzw. gefährdet. Besonders augenfällig wird dies bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.20 Legales Handeln kann demgegenüber die öffentliche Sicherheit nicht verletzen, denn rechtmäßiges Verhalten ist ja gerade zugelassen und gerechtfertigt.21 Zu beachten ist aber, dass die Polizei grundsätzlich nur für die Verletzung des öffentlichen Rechts zuständig ist, während ihr der Schutz des Privatrechts, das natürlich auch zur Rechtsordnung gehört, nur unter den Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 BbgPolG obliegt.22 Wird aber neben dem privaten Recht zugleich eine Norm des öffentlichen Rechts, z. B. ein Strafgesetz verletzt, entfällt diese Einschränkung.

Beispiel 1

F bittet die beiden Polizeibeamten A und B aufgeregt, ihren soeben aus der gemeinsamen Wohnung ausziehenden Freund M daran zu hindern, den ihr gehörenden Kühlschrank ohne ihr Einverständnis mitzunehmen. Neben der Verletzung des Privatrechts kommt ein strafrechtlich relevantes Verhalten, also die Verletzung des öffentlichen Rechts, in Betracht. Die Beamten sind gemäß § 1 Abs. 1 BbgPolG zuständig.

Beispiel 2

L spricht zwei Kollegen von A und B an und bittet sie, seine ebenfalls gerade ausziehende Freundin V daran zu hindern, den Fernseher mitzunehmen. Das sei zwar ihr eigenes Gerät, aber sie habe ihm, dem L, erst gestern versprochen, ihm den Fernseher für ein Jahr unentgeltlich zur Nutzung zu überlassen. Auch hier liegt eine Rechtsverletzung vor, jedoch nicht des öffentlichen Rechts. Denn es liegt lediglich ein Leihvertrag nach § 598 BGB vor, den B offenbar nicht erfüllen möchte. Deswegen ist die Polizei lediglich nach § 1 Abs. 2 BbgPolG zuständig.

Zu den subjektiven Rechten und Rechtsgütern des Einzelnen zählen insbesondere Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Ehre.23 Meist werden sie durch Rechtsverletzungen bedroht bzw. geschädigt. In einem solchen Fall liegt dann aber eine Störung der öffentlichen Sicherheit in Gestalt der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung vor, z. B. drohende Tötung (u. a. § 212 StGB), bevorstehender Diebstahl (§ 242 StGB), andauernde Körperverletzung (u. a. § 223 StGB), unzulässiger Lärm (z. B. §§ 9, 10 LImSchG). Warum zählt man dann aber die subjektiven Rechte zur öffentlichen Sicherheit? Der Grund hierfür liegt darin, dass Individualrechtsgüter wie Leib, Leben oder Freiheit auch durch Ereignisse bedroht oder beschädigt werden können, die nicht mit Rechtsverletzungen einhergehen, nämlich insbesondere durch Naturkatastrophen wie Stürme, Hochwasser oder Lawinen. Ähnlich liegt es in Fällen von Selbstgefährdung oder Selbsttötung. Soweit sie von einem freien Willen getragen sind, können sie als Ausdruck grundrechtlich geschützter Selbstbestimmung keine Gefahr oder Störung der öffentlichen Sicherheit darstellen. Anders liegt es nur, wenn es an der Freiverantwortlichkeit fehlt oder durch die Selbstgefährdung bzw. den Suizid Dritte in Mitleidenschaft gezogen werden (z. B. Suizid durch Aufdrehen des Gashahns im Mietshaus).24

Die dritte Fallgruppe der öffentlichen Sicherheit schützt den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen. Bestand des Staates meint die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit Deutschlands; Einrichtungen des Staates sind insbesondere seine Organe, Behörden, Körperschaften oder Einrichtungen wie Schulen, Museen oder Schwimmbäder; unter Veranstaltungen des Staates versteht man u. a. die staatliche Tätigkeit sowie Staatsempfänge oder Gelöbnisse bzw. Vereidigungen.25 Wiederum ist in diesen Fällen vorrangig die Verletzung der Rechtsordnung zu prüfen. Das zeigt sich anschaulich an der Behinderung polizeilicher Einsätze, die die Polizei mittels eines Platzverweises unterbinden kann (§ 16 BbgPolG). Differenziert zu betrachten ist im Vergleich dazu die Warnung vor polizeilichen Geschwindigkeitskontrollen.26 Zweifelhaft ist vor dem Hintergrund von Art. 5 und Art. 8 GG, ob öffentliche Kritik am Staat seine Einrichtungen oder Veranstaltungen verletzen könnte (z. B. Störung von öffentlichen Gelöbnissen).27 Soweit ein Verstoß gegen Rechtsnormen nicht festgestellt werden kann, ist es in allen diesen Fällen schwierig, eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit zu bejahen. Als Faustregel gilt daher: Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit wegen Beeinträchtigung des Staates bzw. seiner Einrichtungen sind eher restriktiv anzunehmen, es sei denn, konkrete Normverstöße liegen vor.28

Ist die öffentliche Sicherheit nicht betroffen, muss geprüft werden, ob die öffentliche Ordnung verletzt wird. Öffentliche Ordnung ist die Summe der ungeschriebenen Normen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unentbehrliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens angesehen wird.29 Gemeint ist also ein Verstoß gegen außerrechtliche Normen. Denn rechtswidriges Verhalten berührt die öffentliche Sicherheit in Gestalt der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung. Was aber nicht gesetzlich verboten ist, ist grundsätzlich erlaubt. Daher ist die Zahl der Anwendungsbeispiele für eine Verletzung der öffentlichen Ordnung gering und zudem als polizeiliches Schutzgut bzw. Voraussetzung für polizeiliche Maßnahmen umstritten.30 Ungeachtet dessen setzt ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung voraus, dass

– es bezüglich des fraglichen Verhaltens eine außerrechtliche Sozialnorm gibt,

– die für das geordnete Zusammenleben unentbehrlich, ein Verstoß hiergegen dem Einzelnen also unzumutbar ist und

– das fragliche Verhalten öffentlich, also wahrnehmbar ist und gegen diese Sozialnorm verstößt.31

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