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1.2 Zielgruppe erreichen Mediennutzung herausfinden – an Studierende wenden – Themenliste erstellen

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Wer sich für die ZielgruppeZielgruppe ‚Studieninteressierte vor Ort‘ entschieden hat, fragt sie am besten direkt, wo sie welche Inhalte nutzt. Denn ohne größeren Etat lässt sich nicht zuverlässig ermitteln, wo sich die eigene Zielgruppe gerade bevorzugt aufhält und wie sie sich dort informiert. Zwar gibt es Untersuchungen, die darüber detailliert informieren, aber die werden für den Werbemarkt erstellt und sind sehr teuer. Die frei verfügbaren Daten stammen vor allem aus dem Social-Media-Atlas und von den öffentlich-rechtlichen Sendern. Die veröffentlichen regelmäßig die Studien, die sie in Auftrag geben, damit ihre Angebote und Programme ihre verschiedenen Zielgruppen möglichst gut erreichen. Auf Grundlage dieser Daten stellte der Intendant des ZDF 2019 fest, dass auch digital individuelle Zugänge und auf die Nutzer zugeschnittene Inhalte nötig seien.1 Mit anderen Worten: Die Sender müssen ihre Angebote laufend an die wechselnden Wünsche und Bedürfnisse ihrer Zielgruppen anpassen. Das schaffen auch große Häuser mit viel Erfahrung nur mittels umfangreicher Analysen durch externe Dienstleister. Für Menschen in den Wissenschaften ist das intern, nebenbei, mit geringem Etat, allein oder im Team nahezu unmöglich. Aus den großen bundesweiten Studien können aber auch sie größere Trends bei der MediennutzungMediennutzung ablesen:

 Deutsche nutzen sieben Stunden am Tag Medien. Sie sehen 3,5 Stunden Filme, hören drei Stunden Audios und lesen eine Stunde. Insgesamt erreichen Videos und Audios über 80 Prozent der Bevölkerung. Die ist täglich gut drei Stunden im Internet, sieht auch dort an erster Stelle Videos und hört an zweiter Audios. Unter 30-Jährige sind dabei doppelt so lange im Internet und nutzen Fernsehen, Radio, Zeitungen und Zeitschriften eine Stunde weniger.2

 Deutsche Internetnutzer verbringen am meisten Zeit auf YouTube. An zweiter Stelle folgen Apple, Facebook und WhatsApp, an dritter Stelle Google und Amazon.3 Den Messenger-Dienst WhatsApp nutzten im Jahr 2020 fast 80 Prozent der Deutschen, 77 Prozent den Videokanal YouTube. Bei Facebook waren 64 Prozent, bei Instagram 43 Prozent.4 Damit sind täglich 32 Millionen Menschen in Deutschland auf Facebook. Gut halb so viele sind bei Xing und Instagram. Es folgen LinkedIn mit 14 Millionen Accounts, Pinterest mit 6 und das Videoportal TikTok mit 5,5.5

 Differenziert nach Altersgruppen waren 14- bis 19-Jährige am häufigsten auf YouTube, am zweithäufigsten auf Instagram und erst an dritter Stelle auf Facebook. Eine Studie ermittelte, dass fast die Hälfte der 12- bis 19-Jährigen täglich auf Instagram ist und dort 300 Follower hat. Ähnlich häufig waren sie auf Snapchat, aber nur 15 Prozent auf Facebook und TikTok.6 Die 20- bis 29-Jährigen waren zwar ähnlich häufig auf YouTube, wie die 14- bis 19-Jährigen, aber deutlich häufiger auf Facebook als auf Instagram. Bei den 30- bis 39-Jährigen wurde Facebook geringfügig häufiger genutzt als Instagram, bei den noch Älteren überwiegend Facebook.

 Je höher der Bildungsstand, umso weniger vertrauen die unter 30-jährigen auf die sozialen Netze und umso eher sind sie von Influencern genervt.7 Über politische Themen informieren die sich häufiger in Gesprächen, im Fernsehen und über Nachrichtenwebseiten und -apps als auf YouTube, Instagram und Facebook.8 Wo sich unter 30-Jährige über Politik informieren, hängt allerdings auch vom Thema ab: Beim Brexit bevorzugten sie die klassischen Medien, beim Urheberrecht die sozialen.9 Diese Themenabhängigkeit wurde bei Gesundheitsthemen für alle Altersgruppen festgestellt: Die erreichen auf YouTube 9,5 Millionen Interessierte, auf Twitter aber keine 1,2 Millionen Menschen.10

Um Studieninteressierte 14- bis 19-Jährige zu erreichen, müssten nach diesen Daten Videos auf YouTube, Instagram und Snapchat der geeignete Weg sein. Aber informieren die sich dort tatsächlich über Wissenschaft, Forschung oder das Hochschulleben? Am besten fragt man sie einfach – beispielsweise zu Beginn eines Vortrags in einer Schule. Vielleicht bestätigt sich dabei, dass Studierende häufig die App Jodel einsetzen, die kurze Nachrichten und Bilder im Umkreis von zehn Kilometern auf Basis von GPS-Daten anzeigt.

Wer genau welche Zeitungen und Zeitschriften liest, erfährt man in den Media-Daten. Darin sind Alter, Geschlecht und Einkommen der Leserinnen und Leser meist ebenso festgehalten wie deren Bildungsstand. Die Media-Daten stehen meist auf den Internetseiten des jeweiligen Verlags. Alternativ sind sie auch über die Anzeigenabteilungen erhältlich. Darin finden sich auch Informationen dazu, welche Themen-Schwerpunkte wann geplant sind. Glück hat, wer wissen möchte, welche Medien wann den Schwerpunkt Schule und Beruf haben: Das steht unter die-zeitungen.de.

Leider nützen diese groben Anhaltspunkte wenig, wenn man wissen möchte, auf welchen Wegen die eigene Hochschule bislang Studierende und Wissenschaftlerinnen, Multiplikatoren und Öffentlichkeit erreicht. Für die sozialen Medien lassen sich aber ein paar Hinweise ermitteln. Denn die jeweiligen FollowerFollowerzahlen sind auf den Plattformen angegeben. Die Rangliste für die Universität Bremen war demnach Anfang 202011:

1 Facebook: 24000 Abos

2 Twitter: 6800 Follower

3 YouTube: 4610 Abos bei 270 Videos

4 LinkedIn: 1800 Mitglieder

5 Instagram: 14600 Beiträge unter #unibremen, 250 unter #bremenuniversity, 150 mit #universitybremen und 35 mit bremenuniversität

Auf den ersten Blick erstaunt, dass TwitterTwitter auf Platz zwei der Rangliste steht. Denn diesen Kurznachrichtendienst nutzen täglich nur 1,4 Millionen Deutsche. Darunter sind aber viele Wissenschaftler, Politikerinnen und Aktivisten, weshalb auch viele Journalisten dort sind. Diese hohe Aufmerksamkeit der Multiplikatoren kann auch für wissenschaftliche Themen funktionieren. Das zeigte sich, als die Wochenzeitung „Die Zeit“ den Appell „Schickt die statistische Signifikanz in Rente“ aufgriff. Der war in der Zeitschrift „Nature“ erschienen und wurde binnen einer Woche von über 850 Kolleginnen und Kollegen unterschrieben. Über 16000 Twitter-Nutzer wiesen in wenigen Tage darauf hin. So kam der Appell „auf Platz drei des globalen Aufmerksamkeits-Rankings aller seit 2012 erfassten wissenschaftlichen Publikationen“ und in „Die Zeit“.12

Wer vor allem Studierende erreichen möchte – beispielsweise als Multiplikatoren zu den Studieninteressierten – muss mehr über sie wissen, als welche Medien sie für welche Inhalte nutzen. Zahlreiche Informationen bietet der CampusBarometerCampusBarometer. Danach ist der durchschnittliche Studierende eine 23-jährige Studentin, die sich die Studienzeit ganz anders vorgestellt hat. Sie möchte vor allem Schlüsselkompetenzen erwerben und sieht sich später eher in einer Führungsposition als in der Selbstständigkeit. Sie lebt in einer Wohngemeinschaft oder mit Partner und wünscht sich eine glückliche Beziehung. Sie engagiert sich sozial, wäre mit 1000 Euro pro Monat zufrieden, hat aber nur 750 Euro zur Verfügung. Bei Organisationsfragen zum Studium spricht die durchschnittliche Studentin eher Kommilitonen an, als dass sie Angebote der Hochschule nutzt.13 Einfache Antworten oder Ideologien sind für sie nicht relevant. Sie sorgt sich mehr um den Klimawandel und Rechtsextremismus als wegen der Digitalisierung. Nach einer anderen Studie tritt die Durchschnittsstudentin bescheiden, zurückhaltend und konfliktscheu auf und hat weder eine enge Bindung zum Ort noch zur Herkunftsuniversität oder der Fachdisziplin. Zu Themen, die sie interessieren, liest sie breit und unspezifisch.14 Daraus lässt sich schließen, dass sie Beiträge zur Geschichte des Fachbereichs weniger interessieren als Artikel zu Gerechtigkeit, Klimaschutz oder Extremismus.

Was in den sozialen Medien tatsächlich gut ankommt, lässt sich mit vergleichenden Kurzanalysen feststellen. So gab es auf LinkedInLinkedIn 80 Reaktionen und vier Kommentare zum Post „Wir sind vorbereitet! Nachdem wir in der vergangenen Woche über 50 Führungskräfte befragt hatten, konnten wir starke Beweise für unsere Annahmen in Bezug auf Post-Corona in produzierenden Unternehmen finden. Stimmen Sie zu? Bitte kommentieren und teilen!“. Im selben Monat reagierten 40 Follower auf „mein erstes Podcast-Interview“. Aber fast niemand reagierte auf „In Siegen sind wir mit der SDFS Siegen GmbH beteiligt“.15 Das zeigt: Auch einer aktiven Followergemeinde gefallen keine Posts zu Standardterminen, die nur Eigenwerbung bieten. Wer für sich werben will, nutzt besser besondere Anlässe oder überlässt anderen diese Aufgabe. Als die Hochschule Heilbronn Joachim Link zur Auszeichnung als „Professor des Jahres 2019“ im Bereich Wirtschaftswissenschaften/Jura gratulierte, folgten über 200 Reaktionen und 10 Kommentare.

Ist so ein besonderer Anlass ein eigener Blogbeitrag zu einer gerade veröffentlichten Synopse, könnte ein Post auf LinkedIn um einen menschlichen Aspekt ergänzt werden: ‚Hab’ die Zeitschrift mit meiner Synopse gerade aus dem Briefkasten geholt. Fragt mich mein wunderbares Kind: Bist du stolz? Meine Antwort: Ööööh naja … vielleicht‘. Darauf reagieren mehr Menschen als auf den Post ‚Synopse erschienen‘. Deren Reaktionen verbessern dann das Ranking, sodass der Post mehr Menschen angezeigt wird. Neben persönlichen Ansichten und Geschichten interessieren besonders Texte zu Themen, die Wissenslücken füllen und Brisantes thematisieren. Kommunikationregeln Daher generiert Aufmerksamkeit, wer …

 aktuell informiert – beispielsweise durch Links zu neuen Ergebnissen und Einordnungen aktueller Themen und Entwicklungen;

 authentisch kommuniziert und emotionale Bindung durch Nähe und Vertrauen stärkt – sei es mit Bildern vom Schreibtisch oder einem Video ‚Warum ich Wissenschaftler wurde‘, indem Vorbilder benannt oder Publikationen von Kollegen erwähnt werden, die beeindruckt haben;

 Orientierung bietet – wie mit Informationen, wofür das Studienfach und die Forschung wichtig sind oder darüber, in welchen Positionen Absolventen aktuell tätig sind;

 wissenschaftlich glaubwürdig agiert – wie durch Hinweise auf öffentliche Veranstaltungen, Links zu Praxisprojekten, Fachblogs oder TED-Talks;

 Zusammenhalt stärkt – beispielsweise mittels Umfragen, Dialogen mit Followern, Serviceinfos, der Vorstellung von Kolleginnen, Stipendiaten oder Hausarbeiten.

Eine Möglichkeit Themen zusammenzustellen, geht so: Man bittet zwei, drei Menschen, sich eine konkrete Person aus der Zielgruppe möglichst genau vorzustellen und sich in sie hinein zu versetzen. Will man die wissenschaftsferne, allgemeine Öffentlichkeit erreichen, könnte man sich beispielsweise die 76-jährige Martha vorstellen: Martha arbeitete früher als Verkäuferin, hat eine geringe Rente und zwei erwachsene Kinder, die mit ihren Familien in anderen Städten leben. Ihr Ziel ist, so gesund wie möglich alt zu werden. Sie ist überzeugt: Wer redlich ist, hat alles, was er braucht. Anschließend überlegt man sich, wie Martha auf die Frage antworten würde, was sie – beispielsweise an historischer Linguistik – eigentlich interessiert. Dieser Rollen- oder Perspektivwechsel fördert oft viele überraschende Antworten zutage. Vielleicht möchte Martha wissen, warum sich Sprache ändert, wie viele Worte ihres Urgroßvaters sie nicht mehr kennt, ob es heute ‚der Friede‘ oder ‚der Frieden‘ heißen muss. Die Aspekte kommen dann auf eine Themenliste, die laufend um Ideen ergänzt wird, auf die man sonst noch stößt. Die Liste kann dann regelmäßig nach Relevanz für die Zielgruppe sortiert und nach und nach für diejenigen Medien und Veranstaltungsformate aufbereitet werden, die die Zielgruppe erreichen. (► Kap. 6 – Übungen zum Ausprobieren)

Checkliste – Zielgruppe erreichen

1 Zielgruppe fragen, welche Inhalte sie in welchen Medien nutzt

2 Reaktionen auf Social-Media-Plattformen analysieren

3 Über Zielgruppe und deren Mediennutzung informieren: ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends, Social-Media-Atlas, Media-Daten der Verlage und Sender; Zielgruppe Studierende: CampusBarometer und Shell-Jugendstudie

4 Wenn es keinen Kontakt zur Zielgruppe gibt: Individuelle Person vorstellen, in sie hineinversetzen und fragen, was sie interessiert

5 Themenliste anlegen, laufend ergänzen und nach Relevanz für die Zielgruppe sortiert abarbeiten

Wissenschaftskommunikation: Vom Hörsaal ins Rampenlicht

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