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1.3 Geschichten entwickeln Story-Struktur festlegen – Elemente ergänzen – Zusatzthemen finden

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Wer Geschichten gut erzählen kann, ist der Mittelpunkt vieler Partys. Denn das menschliche Gehirn mag es, durch Überraschendes angeregt zu werden. Auch Witze und Anekdoten lassen sich gut merken und werden gerne weitererzählt. Weil wissenschaftliche Vorträge und Texte von Theorien und Herleitungen geprägt sind, sind die für Text und Logik zuständigen Hirnareale bei vielen Menschen aus den Wissenschaften entsprechend gut trainiert. Aber es lohnt sich, auch die Regionen zu fordern, die für kreatives Formulieren, anschauliches Vergleichen und das Erzählen von Geschichten zuständig sind. Denn die sind für Einführungen besonders geeignet sowie für ein Publikum, dass es nicht gewohnt ist, sich länger zu konzentrieren oder kritisch ist. Geschichten werden, wie Fotos und Bilder, schneller und mit weniger Energieaufwand aufgenommen und länger gespeichert als Zahlen1: Ein Stopp-Schild auf der Straße wirkt direkter als ein 80-Schild, dass wenige Kilometer später vergessen ist. Nach demselben Prinzip wird die Zeichnung von einem Versuchsaufbau besser erinnert als dessen Beschreibung und Geschichten besser als Fakten.

Besonders beliebt sind Geschichten, die in berührenden Bildern zeigen, wer was denkt und fühlt.2 Solche Storys bietet auch die Wissenschaft – ob Doktorandinnen Thesen hoffnungsfroh prüfen und genervt verwerfen oder Archäologen bei Ausgrabungen unter brennender Sonne schwitzen und Durst haben. Wer seine Inhalte um diese Aspekte ergänzt, bietet den Hirnen des Publikums ein Feuerwerk aus Bildern und Gefühlen. Schlüssig dargestellt fühlen die sich zugleich richtig an und unterlaufen so die aufwendigere, intellektuelle Überprüfung. Indem Geschichten vorschnelles kritisches Hinterfragen mildern, öffnen sie Raum für neue Denkweisen. Andererseits lädt das zum Manipulieren ein, was auch Terrorgruppen und Verschwörungstheoretiker für ihre Ziele nutzen. Geschichten sind also ein zweischneidiges Schwert, mit dem sich leicht schneiden lässt.3

Durch den Trend zum StorytellingStorytelling sieht die Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Julika Griem, „weniger spektakuläre Wissenschaftsbereiche benachteiligt“. Die Philologin fürchtet, dass dieser „die Kommunikation von Wissen zu sehr vereinfacht“. Auch entspräche die aufregende, meist einsame Heldenreise „nicht der Realität des Betreibens von Wissenschaft“.4 Kommunikationswissenschaftler warnen davor, dass sich Heldenstorys vor eine Sache schieben können. „Dann geht es – wie bei Edward Snowden – nicht mehr um die anlasslose Überwachung, sondern um das private Schicksal“.5

Das Geschichten deshalb noch kein Teufelswerk sind, findet beispielsweise das Museum für Naturkunde Berlin und erzählt seit 2004 „Wissenschaft in Geschichten für Erwachsene“.6 Heldenerzählungen über Forschende – beispielsweise über die Ausrottung der Cholera – können „großartige wissenschaftliche Geschichten“ sein, finden auch die Direktorin des „Australian National Centre for the Public Awareness of Science“, Joan Leach, und der Dozent für Wissenschaftskommunikation Fabien Medvecky. Aber weil es in Geschichten um Werte geht, könnten damit diejenigen nicht erreicht werden, „die zwar nicht gegen diese Werte sind, aber nicht viel über sie nachdenken“. Leach und Medvecky schlagen deshalb vor, Themen wie die öffentliche Gesundheit interessanter zu machen, um ein neues Publikum auf unterschiedliche Weise zu erreichen.7

Bei Heldenreisen gibt es – wie in klassischen Märchen – mehrere Prüfungen, die immer schwieriger werden, und ein Happy End. Entscheidend ist, dass die Heldin oder der Held letztlich über sich hinaus wachsen. Als Helden sind dabei nicht nur Einzelpersonen geeignet. Das können auch Teams sein, Thesen oder Gegenstände: So können Roboter ein Fußballmatch gewinnen, lange schlafende Stammzellen aufwachen, Betriebswirtinnen und Philosophen erfolgreich betriebliche Probleme lösen. Als Heldenreise ließe sich auch der Werdegang eines Wissenschaftlers erzählen, die mit seiner kindlichen Entdeckungslust beginnt und mit Erfolgen als Projektleiter endet. Oder das Entstehen einer Infografik von der Festlegung der Datenquellen über Schwierigkeiten bei der grafischen Umsetzung bis zur öffentlichen Verbreitung und Diskussion. Eine Heldengeschichte könnte auch mit dem Aufkommen einer Forschungsfrage im Gespräch beginnen und vorläufige Antworten schildern, die revidiert werden, bis schließlich eine Antwort im größeren Rahmen möglich ist. Neben der Heldenreise gibt es weitere Story-StrukturenStory-Strukturen, wie:

 Geschichte in drei AktenDiese kann mit dem Anfang oder dem Ende beginnen, beispielsweise dem friedlich schlafenden Martin: Im ersten Akt wird das Setting vorgestellt, die normalen ‚Lebensumstände‘ und erste Probleme wie eine Heizung, die normal funktioniert, aber manchmal gluckert. Im zweiten Akt werden die Probleme größer – die Heizungsrohre pfeifen jede Nacht, sodass Martin übermüdet ist. Im dritten Akt werden die Probleme riesig, seine Abstell- und Reparaturversuche immer verzweifelter, und schließlich gelöst. Zum Abschluss lässt sich benennen, warum die Geschichte erzählt wurde und was sich aus ihr lernen lässt. Vielleicht, dass die Forschung zu Dichtungstechnologien alltagsrelevant ist.

 Leiter des ErzählensSie beginnt mit Konkretem und wird von Sprosse zu Sprosse abstrakter: Auf der untersten Stufe wälzt sich der 35-jährige Martin wegen pfeifender Heizungsrohre schlaflos im Bett. Auf der nächsten Stufe geht es um den Aufbau von Dichtungsringen und Heizungsanlagen, auf der dritten um Forschungssetting und -stand zur Dichtungstechnologie und auf der vierten um Energiefragen.

 Rahmenhandlung mit einem MenschenHier beschreibt man erst, wie Martin wegen der Geräusche nicht schlafen kann. Der Hauptteil informiert über Forschung von Dichtungstechnologien. Am Ende ist das Pfeifen abgestellt und Martin schläft wieder ruhig.8

 StorykurvenDiese können mit einem Höhe- oder Tiefpunkt beginnen, dem Details und Hintergründe folgen, bis die Geschichte mit einer Wendung abgeschlossen wird: Durch einen Durchbruch bei der Erforschung von Dichtungstechnologie könnten Energieprobleme weltweit gelöst werden. Aber dann wird der mit jedem Prüfschritt unwahrscheinlicher. Am Ende kann nur das nächtliche Pfeifen von Heizungsrohren abgestellt werden. Mit einem Höhepunkt startet auch, wer ein Projekt weltweit plant, das nach einem Antragsmarathon auf einen Kontinent beschränkt wird und am Ende wegen praktischer Probleme als Pilotprojekt in einem Dorf beginnt. Mit einem Tiefpunkt beginnt, wer erst von widersprüchlichen Daten oder fehlender Finanzierung berichtet und am Ende handfeste Ergebnisse vorlegen kann. Oder wer ein Projekt eher desinteressiert übernimmt, es nach und nach immer faszinierender findet und schließlich zu seinem Lebensthema macht.

Wer besonders spannende Geschichten präsentieren möchte, kann sich an Krimis orientieren. Die enthalten immer einen Mord. Sterben müssen aber nicht unbedingt Menschen. Das können auch Forschungsthesen sein oder Lebensräume, sei es durch Umwelteinflüsse oder politische Rahmenbedingungen. Die entscheidenden Krimi-Kriterien sind dabei das Streben nach Gerechtigkeit und ihr logischer Aufbau. Für einen klassischen Krimi braucht es einen Menschen, der mordet, einen der ermittelt und zwei, drei weitere Akteure, die ein Mordmotiv, Mordmittel und -gelegenheit haben.9 In einem Wissenschaftskrimi könnte aber auch ein Virus weltweit töten, das die Wissenschaftscommunity in einem globalen Wettrennen schließlich besiegt. Zu einem Thriller wird ein Krimi, wenn die Leser sowohl Angst davor haben, was geschieht, als auch um die Helden der Geschichte, also die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Eine andere Möglichkeit, um Neugier und Spannung zu erzeugen, sind außergewöhnliche Orte und Instrumente, wie ein Rasterelektronenmikroskop, eine Befragung in einem Gefängnis oder die Erkundung versteckter Ecken im Archiv einer Universitätsbibliothek.10 Dabei liegt die Messlatte für Außergewöhnliches tief: Für viele Menschen, die nicht studiert haben, sind schon die Mensa und der Campus unbekannte Bereiche und damit interessant. Interessiert folgen sie denjenigen, die sie real oder mit einer Geschichte dorthin führen. Noch außergewöhnlicher sind die wissenschaftlichen Inhalte. Denn „Forschende betreten ständig fremde Welten – mikroskopisch kleine Welten, das Weltall, die Welt des Körperinneren etc. –, um dort Antworten auf ihre Fragen zu finden“, stellt die Biologin und Wissenschaftsjournalistin Kristin Raabe fest, die für die Wissenschaftssendung „Quarks & Co“ Filme drehte. Fast immer hätten Forschende einen Mentor, müssten Rätsel lösen und Tests bestehen, um schließlich Neues zu erfahren und ein Problem zu lösen.11 Die damit verbundenen emotionalen Berg- und Talfahrten erleichtern es, die Fachinhalte zu transportieren.

Funktioniert das außergewöhnlich gut, gibt es dafür mitunter einen Preis. So wurde die Fernseh-Sitcom „The Big Bang Theorie“ 2017 mit der „Stephen Hawking Medaille für Wissenschaftskommunikation“ ausgezeichnet.12 In der Serie treffen ein theoretischer Physiker, ein Raumfahrtingenieur, ein Astro- und ein Experimentalphysiker auf eine Mikro- und eine Neurobiologin, eine Neurologin und eine Kellnerin. Mal ringen sie um Wege zu wissenschaftlichen Ergebnissen, mal mit fachspezifischen Ansätzen darum, Alltagsprobleme zu lösen. Neben zwischenmenschlichen Konflikten gibt es Reibereien um Forschungsgelder, um Institutsräume, fachliche Anerkennung, Forschungserwartungen und Realität. Die Serie gilt als fachlich glaubwürdig und realistisch, da Wissenschaftler der Produktion beratend zur Seite stehen.

Die Entwicklung einer Geschichte beginnt man am besten damit, die Kernbotschaften in ein, zwei Sätzen zusammenzufassen. Die ergeben sich oft aus der Frage nach dem ‚Warum‘: Warum forscht jemand? Warum ist das wichtig? Warum sollte das andere Menschen interessieren? Warum wird so untersucht und nicht mit anderen Methoden? Sind Antworten schwer zu formulieren, kann man an einen wohlmeinenden Menschen denken – beispielsweise ein wissbegieriges Kind – und ihn im Geiste fragen, was er an der Forschung interessant findet (► Kap. 1.2 – Zielgruppe erreichen). Hilft das nicht weiter, könnten Aspekte eingeflochten werden, die sich in Romanen und Krimis bewährt haben – wie Freundschaften und Liebesbeziehungen. Eine Analyse von Bestsellern ermittelte, wofür sich besonders viele Menschen interessieren: Freunde und Heirat, Beziehungen und menschliche Nähe, Mütter und Kinder, Tod und Beerdigungen. Beliebt sind auch Bücher, in denen es um Schule und Universität geht, um Ärzte und Arbeit, um Medien und Zeitungen, um Kochen, Hunde oder eine neue Technik, die leicht bedrohlich ist.13

Sprachforscher könnten ihre Ergebnisse danach beispielsweise in eine Geschichte um Freundschaft, Heirat und Tod integrieren: Zwei Silben, die sich zunächst nicht leiden können, werden über die Zeit Freunde, heiraten und bestehen Ehekonflikte bis schließlich eine von beiden stirbt. Für die Überschrift könnten sich Wissenschaftlerinnen an den Titeln von Bestsellern orientieren. Einige bestehen aus nur einem Substantiv. Bei anderen ist das Substantiv um einen bestimmten Artikel ergänzt oder erweitert oder zwei Substantive signalisieren eine Frage (► Kap 2.5 – Buch veröffentlichen). Überschriften könnten dann sein: ‚Silben‘, ‚die Silben‘ und ‚das Silbensterben‘. Bei ‚Tod der Silben‘ wäre die Frage, warum sie sterben müssen. Journalisten würden eher zu Verben neigen und texten: ‚Auch Silben müssen sterben‘ (► Kap. 6 – Übungen zum Ausprobieren).

Checkliste – Geschichten entwickeln

Elemente auswählen

1 Kernbotschaft

2 Außergewöhnliche Orte und Instrumente

3 Zusatzthemen, wie Freundschaft oder neue Technik

4 Emotionen und Konflikte

5 Ende: Warum wurde Geschichte erzählt

Struktur festlegen

1 Geschichte in drei Akten

2 Leiter des Erzählens mit mehreren Sprossen

3 Heldenreise mit Helden, die sich entwickeln

4 Rahmenhandlung mit Menschen

5 Storykurve, die mit Höhe- oder Tiefpunkt beginnt

6 Krimi mit Mord und Streben nach Gerechtigkeit

Wissenschaftskommunikation: Vom Hörsaal ins Rampenlicht

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