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Adare, County Limerik, September 1652

Mit Tränen in den Augen stand Bidelia McGrath auf dem Weg und musste mit ansehen, wie die Engländer ihr Haus und ihre Scheune durchsuchten. Säcke mit Getreide, Hühner und alles, was essbar war, wurde von den Truppen des Königs beschlagnahmt. Farrell, ihr Mann, legte ihr den Arm um die Schultern. Der dunkelhaarige Bauer mit den sanften blauen Augen sagte kein Wort. Aber Bidelia spürte seine unterdrückte Wut, seinen Zorn und seine Hilflosigkeit. Sie drehte ihm den Kopf zu.

»Was machen wir jetzt, Farrell? Nichts bleibt uns mehr übrig. Die Ernte war sowieso nicht gut, es hätte vielleicht so gerade über den Winter gereicht. Aber nun?«

Ihre Augen liefen über, die Tränen rollten über die blassen Wangen. Endlich waren die Engländer fertig und zogen ab. Langsam kehrte das Ehepaar zurück zu seinem Hof und sah sich um. Bidelia hatte Recht gehabt. Die Truppen des Königs hatten ganze Arbeit geleistet. Nur ein kleiner Sack mit Getreide war übrig. Nicht genug, um zu überleben. Und schon gar nicht, um im Frühjahr neu auszusäen.

Mit müden Schritten ging sie in die Küche, setzte sich auf die Bank, barg ihr Gesicht in den Händen. Ihr langes, weißblondes Haar fiel ihr wie ein Vorhang vor die Augen. Farrell schob einen Stuhl nach hinten, nahm schwer darauf Platz.

»Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als nach Cork zu gehen.«

»Ach und was sollen wir da? Betteln? Stehlen? Oder als Tagelöhner unser Dasein fristen?«

»Bitte, Bidelia. Ich habe es dir doch mehrmals erklärt.«

Sie sah auf, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Dann erklär es mir eben nochmal!«

»Sieh, in der Neuen Welt werden dringend Arbeiter gebraucht. Farmer, so wie du und ich.«

»Und wie sollen wir dahinkommen? Schwimmen? Wir haben kein Geld für die Passage. Wir können noch nicht einmal die Pacht für dieses traurige Stück Land und das Haus bezahlen. Ich weiß nicht, ob wir bei George Fannagan noch einmal einen Aufschub bekommen.« Sie zögerte, aber mittlerweile war sie an einem Punkt angekommen, an dem ihr alles egal war. »Außer du willst, dass ich auf sein Angebot eingehe und mich von ihm besteigen lasse.«

»WAS?«

»Ja. Er hat mir beim letzten Mal deutlich zu verstehen gegeben, dass er uns, wenn ich mit ihm ins Bett gehe, die Pacht erlässt. Das wäre es ihm wert, hat er gesagt.« Sie schluckte, unterdrückte ihre Tränen. »Ich würde es tun, damit wir überleben«, fügte sie leise hinzu.

Kalte Wut stieg in Farrell auf. Fannagan, dieser Dreckskerl! Farrell hatte Bidelia nie ein schönes Leben bieten können, aber auf gar keinen Fall würde er erlauben, dass sie sich prostituierte!

»Das lasse ich nicht zu. Pass auf, Bidelia. Die Engländer, ich weiß, es sind Schweine, aber sie bieten jedem, der sich freiwillig meldet, um in Virginia zu arbeiten, eine freie Überfahrt an, dazu fünf Tagwerk Land nach Ablauf von fünf Jahren, in denen man dort auf einer Plantage arbeitet.«

»Ach und das einfach so?«

»Sie bezahlen einen Lohn, aber einen Teil davon behalten sie ein und davon kann man das Land kaufen. Es ist gutes Land, fruchtbar, nicht wie hier mit Steinen durchsetzt.«

Bidelia runzelte die Stirn.

»Das hört sich zu gut an.«

»Ich habe mit einem der Anwerber gesprochen. Wir können mit dem nächsten Schiff hinüberfahren. Und da wir zu zweit sind, können wir zehn Tagwerk Land bekommen. Weißt du, was das heißt?«

»Zehn Tagwerk! Herr im Himmel! Das schaffen wir ja alleine fast gar nicht.«

»Ich habe es mir genau überlegt. Wenn wir während der fünf Jahre, die wir dort arbeiten, sparen und dann am Anfang nur das bearbeiten, was wir schaffen und den Überschuss gut verwalten, können wir Leute anstellen. In zehn Jahren können wir reich genug sein, um weiteres Land zu erwerben. Und dann lassen wir arbeiten und sitzen im Lehnstuhl auf der Veranda, kümmern uns nur darum, Kinder in die Welt zu setzen und unser Geld zu zählen.«

Jetzt musste Bidelia lachen.

»Du bist ein Träumer, Farrell McGrath. Doch gerade darum liebe ich dich so sehr.« Sie legte den Kopf schief. »Und ich würde diesen schmierigen Mistkerl Fannagan niemals an mich ranlassen. Das darfst nur du!«

Farrell lächelte.

»Das hast du schön gesagt. Aber was ist nun mit Virginia? Hier werden wir verhungern.«

Bidelia sah sich in der schäbigen Küche um. Hier gab es nichts, was sie hielt. Als sie Farrell vor drei Jahren geheiratet hatte, da war das Haus blitzblank gewesen, sie hatten ein wenig Geld gehabt und genug Vorräte und Saatgut. Doch zwei Missernten und dann die Engländer hatten alles aufgezehrt, was sie zur Seite gelegt hatten. Jetzt, wo sie beide gerade 25 geworden waren, besaßen sie im Grunde genommen nur noch das, was sie auf dem Leib trugen.

Die blonde Frau stand auf, zog ihren Mann auf die Füße und legte die Arme um seinen Hals.

»Farrell McGrath, ich habe geschworen, immer an deiner Seite zu sein. Und wenn du nach Virginia gehst, dann gehe ich mit.« Sie küsste ihn verlangend. »Aber vorher zeigst du mir noch einmal, dass du mein Mann bist.«

Am nächsten Morgen, nach einer Nacht voller Leidenschaft, packten sie und machten sich auf den Weg nach Cork, um dort einen Kontrakt zu unterschreiben, der sie nach Virginia und damit in Reichtum und Wohlstand bringen sollte, wenn sie ihren Träumen Glauben schenkten.

Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen

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