Читать книгу Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen - Werner Diefenthal - Страница 24
ОглавлениеCork, Dezember 1652
Wasser tropfte von den Wänden der dunklen, kalten Gefängniszelle. Das einzige Licht fiel nur durch ein winziges, vergittertes Fenster in mehr als sieben Fuß Höhe und erlaubte damit ein ungefähres Gefühl von Tag und Nacht. Trotzdem hatte Laoise das Zeitgefühl verloren. Sie hatte keine Ahnung, wie viele Tage sie schon in diesem elenden Gefängnis saßen.
Sie wunderte sich, dass sie nicht einmal Angst verspürte. Ihr war einerlei, was das Schicksal für sie vorsah. Sie würde es annehmen und mit Stolz tragen.
Ihre Mitgefangenen konnten ihre Ruhe nicht teilen. Am Anfang war sie allein gewesen mit Orla Murphy und deren Cousine, Fiona O’Sullivan. Offenbar hatten die Engländer jeden verhaftet, der irgendetwas mit den Murphys zu tun hatte.
Später waren noch zwei weitere Frauen in ihrem Alter hinzugekommen, die sie nicht kannte. Eine dralle Rothaarige, deren Gesicht voller Sommersprossen war und die sich mit Maeve Walsh vorgestellt hatte, sowie eine abgemagerte, kränkliche Blonde namens Sibel O’Brien, deren ganzes Gesicht nur aus blauen Augen zu bestehen schien.
Was aus Padraig, Sean, Gail und Orlas jüngeren Geschwistern geworden war, wusste Laoise nicht, man hatte sie gleich bei der Ankunft in Cork voneinander getrennt. Laoise hatte Verständnis dafür, dass die Sorge um ihre Familie Orla fast umbrachte, aber dennoch ging es allen Frauen auf die Nerven, dass sie fortwährend laut betete. Es war schließlich Fiona, die ihr heftig über den Mund fuhr.
»Himmel nochmal, Orla! Halt endlich die Klappe! Beten kannst du auch leise, der liebe Gott wird dich schon hören!«
Unvermittelt brach Orla in Tränen aus und schlug die Hände vors Gesicht.
»Der liebe Gott hört gar nichts! Der hat uns doch schon lange im Stich gelassen! Man wird uns alle aufhängen!«
Maeve strich ihr beruhigend über die Schulter.
»Das glaube ich nicht. Es gab schon längere Zeit keine Hinrichtungen mehr in Cork. Sie brauchen die Gefangenen für etwas anderes!«
Das weckte Laoises Aufmerksamkeit. Sie hob den Kopf und sah die Rothaarige an.
»Etwas anderes? Wofür? Und woher weißt du das, kommst du aus Cork?«
Ein kurzes Nicken.
»Mein Vater hat Waffen an die Rebellen verkauft, hier in der Stadt. Deshalb weiß ich, was sie jetzt mit Straftätern machen, sogar mit den Mördern. Sie schicken sie in die Kolonien, als Zwangsarbeiter.«
Laoise schluckte. Sie war sich nicht sicher, ob ein schneller Tod nicht vielleicht die angenehmere Alternative war. Zwangsarbeit, das war nichts anderes als Sklaverei! Aber das bedeutete, dass sie weiterleben würden. Und Leben bedeutete, dass es neue Möglichkeiten gab. Und vielleicht einen Ausweg.