Читать книгу Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen - Werner Diefenthal - Страница 14

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County Cork, September 1652

Laoise schnappte hörbar nach Luft.

»Sean! Woher habt ihr das?«

Ihre Stimme klang schrill, beinahe schon panisch. Der Farmer warf ihr nur einen kurzen Blick zu.

»Es gibt Dinge, die willst du so genau gar nicht wissen, mein Kind. Hast du schon mal geschossen?«

Abwehrend schüttelte die Brünette den Kopf. Natürlich nicht! Die gefährlichste Waffe, die sie jemals in der Hand gehabt hatte, war ein Beil zum Hühnerschlachten gewesen.

Sean Murphy überraschte Laoises Reaktion nicht. Damit hatte er gerechnet, aber es wurde Zeit, sie endgültig einzuweihen. Er sah sie lange an, dann reichte er ihr einen kurzen, scharfen Dolch.

»Nimm das. Falls du dich verteidigen musst. Versteck ihn irgendwo am Leib.«

Mechanisch gehorchte Laoise, versteckte den Dolch in ihrem Mieder und sah mit Entsetzen zu, wie Murphy jeden Anwesenden bis hin zu seinem zwölfjährigen Sohn mit einem Gewehr oder einer Pistole ausstaffierte. Selbst Orla schien zu wissen, wie man die Waffe laden musste. Einen Moment lang drohte Laoises Angst in nackte Panik abzugleiten.

»Sean, wofür brauchen wir Waffen? Conor hatte sicherlich nur einen Unfall!«

Immer noch glaubte sie, dass sich bald alles aufklären würde und sie ihren Verlobten in die Arme schließen könnte.

»Daran würde ich denken, wenn Daniels Junge nicht auch verschwunden wäre!« Sean überprüfte gewissenhaft sein Gewehr. »So habe ich meine Zweifel, dass es nur ein Unfall war. Ich weiß, dass ihr beiden euch aus allem herauszuhalten versucht, Laoise, aber du musst doch auch gesehen haben, dass es hier in der letzten Zeit von englischen Patrouillen nur so wimmelt!«

Es war nicht zu übersehen gewesen. Ebenso wenig hatten Laoise und Conor die Gerüchte überhören können, warum die Zahl der Patrouillen stetig zugenommen hatte. Man vermutete Rebellen in der Gegend, besonders, seit es immer wieder zu Überfällen auf englische Soldaten kam, deren nackte Leichen manchmal wieder auftauchten – und manchmal nicht.

Laoise wurde es ganz flau im Magen, als sie begriff, dass ihre Nachbarn der Rebellenbewegung angehörten. Und in welcher Gefahr sie sich die ganze Zeit befunden hatten. Wenn die Engländer dies herausgefunden hätten, wären auch sie verdächtig gewesen.

Doch um sich nähere Gedanken darüber zu machen, fehlte ihr die Zeit, denn die Murphys und Daniel Sheffield zogen bereits ihre Mäntel über und traten aus dem Haus. Mit hängenden Schultern und heftig klopfendem Herzen folgte sie ihnen.

Sean Murphy zündete jedem eine Fackel an und gab Anweisungen.

»Wir bewegen uns in einer Reihe nebeneinander den Weg nach Cork entlang und suchen den Boden ab, falls sie irgendwo liegen. Aber lasst die Umgebung nicht aus den Augen. Es könnte auch eine Falle sein.«

Laoise hatte noch nie in ihrem Leben so viel Angst gehabt, wie in dem Moment, in dem sie, einer Lichterkette gleich, über die sturmgepeitschten Hügel gingen, vorsichtig, um auf dem unebenen Boden in der Dunkelheit nicht zu stolpern und nach ihrem Verlobten und dem verschwundenen Sheffield-Jungen suchten.

Wenn es wirklich eine Falle war, dann machten sie sich mit den Fackeln möglicherweise zur Zielscheibe. Wie weit man sie wohl sehen konnte? Der Wind ließ die Flammen zucken und zittern, mehr als einmal erloschen ihre Fackeln beinahe und erste Regentropfen begannen zu fallen. Man konnte kaum zehn Fuß weit sehen.

»DAD! HIER DRÜBEN!«

Das Pfeifen des Sturms übertönte den schwachen Ruf beinahe, fast hätte Laoise es nicht gehört. Dann aber sah sie, dass der älteste Sohn ihres Nachbarn, Padraig, heftig mit der Fackel winkte. Er hatte etwas gefunden.

Laoise begann zu rennen, überholte in ihrer Eile sogar den alten Sean Murphy, obwohl er deutlich näher an seinem Sohn war als sie selbst. Als der jedoch erkannte, wer da angelaufen kam, stellte er sich der jungen Frau in den Weg und hielt sie fest.

»Laoise, nein. Geh nicht hin.«

Ein eisernes Band schien ihr die Kehle zuzuschnüren, ihr schönes Gesicht verlor alle Farbe.

»Lass mich los. Ich will es sehen! Ich will sehen, was passiert ist!«

Padraig Murphy schüttelte sie.

»Sei vernünftig! Das willst du nicht sehen!«

Mit einem heftigen Ruck riss die Brünette sich los und rempelte den nur wenig älteren Mann aus dem Weg, kämpfte sich den Rest der kleinen Anhöhe hinauf, auf der sie standen. Gegen den dunklen Nachthimmel zeichnete sich pechschwarz die Silhouette eines knorrigen Baums ab. Sie hörte ein Knarren, als etwas, das daran hing, langsam im Wind hin und her schwang. Und als wollte Gott, oder wer immer die Geschicke der Menschen lenkte, dass sie es sah, riss in diesem Moment die Wolkendecke auf und ein Mondstrahl beleuchtete zwei aufgehängte Leichen.

Conor Shaugnessys gebrochene Augen schienen ihr genau ins Gesicht zu sehen. Laoise hörte ihren eigenen Schrei nicht mehr, bevor sie ohnmächtig zu Boden sackte.

Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen

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