Читать книгу Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen - Werner Diefenthal - Страница 16

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Churchtown, County Cork, September 1652

Die Glocken der Kirche von Churchtown hatten längst zu läuten aufgehört. Die meisten Dorfbewohner hatten den Friedhof bereits wieder verlassen. Laoise jedoch blieb auch dann noch an dem schmucklosen Grab stehen, als die Grube aufgefüllt war und selbst der Totengräber seine Schaufel schulterte und davon ging.

Sie starrte auf den Erdhügel, der jetzt ihren Verlobten bedeckte. Den einzigen Menschen, den sie auf dieser Welt noch gehabt hatte. Laoise war froh, dass Regen über die Ebene peitschte. Kalt liefen die Tropfen über ihr Gesicht und so musste sie nicht erklären, warum sie nicht weinte. Laoise hatte keine Tränen mehr.

Sie wusste nicht, wie viele Tage und Nächte sie durchgeweint hatte, nachdem sie die Conors´ Leiche gefunden hatten. Eigentlich wusste sie gar nicht so genau, wie viel Zeit vergangen und was in dieser Zeit passiert war. Alles lag wie im Nebel und in ihrem Inneren war es kalt und leer. Das Herz war zu Stein geworden. Es war ja auch niemand mehr da, den es hätte lieben können. Ihre Seele fühlte sich zerfetzt an, als hätte man ihr einen Teil davon bei lebendigem Leib herausgerissen. Sie atmete, sie aß, sie trank. Manchmal schlief sie sogar ein wenig. Aber sie lebte nicht mehr. Es war, als wäre sie mit Conor gestorben.

Die Murphys waren die Letzten, die noch am Tor des Kirchhofs standen und zögerten zu gehen. Sie hatten Skrupel, die junge Frau ganz allein zu lassen.

Schließlich gab Gail Murphy, Seans Frau, sich einen Ruck und ging zu ihr hin, legte einen Arm um die schmale Taille des Mädchens.

»Komm, Kind. Du kannst nicht hierbleiben.« Mit sanfter Gewalt führte sie Laoise, die immer noch steif und wie erstarrt wirkte, von Conors Grab weg. Als sie an Sean vorbei kam und sicher sein konnte, dass er es hörte, fügte sie mit Nachdruck hinzu: »Du kommst erst einmal mit zu uns. Bis du dich gefangen hast und weißt, wie es weitergehen soll.«

Sean biss die Zähne zusammen. Sie konnten jetzt schon kaum die Familie ernähren. Noch jemanden durchzufüttern kam eigentlich nicht in Frage. Aber als guter Katholik wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, eine Nachbarin abzuweisen, die Hilfe brauchte.

Wenig später saßen die Murphys um den Küchentisch ihres schäbigen Hauses. Im Ofen brannte ein Feuer, Gail hatte jedem Tee eingeschenkt und die Kälte wich langsam aus allen Knochen.

Laoise jedoch fror immer noch. Weil die Kälte, die sie empfand, aus dem Inneren kam. Immerhin aber lichtete sich langsam der Nebel, der ihre Gedanken umfangen hatte, sodass sie hörte, wie Sean sie ansprach.

»Hast du dir Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll, Laoise? Ich meine … du bist ja so jung und kräftig. Du könntest in die Stadt gehen, dort Arbeit finden. Alleine wirst du den Hof nicht halten können und Hilfskräfte kann sich hier niemand leisten.«

»Hörst du jetzt auf, du ungehobelter Klotz!« Es klatschte vernehmlich, als Gail ihrem Mann auf den Hinterkopf schlug. »Das Mädchen hat gerade ihren Verlobten verloren, eine Familie hat es auch nicht und du versuchst schon, es loszuwerden?« Beruhigend tätschelte sie Laoises Schulter. »Mach dir keine Sorgen, mein Kind, du kannst so lange bei uns bleiben, wie du willst!«

»Bring mir schießen bei.«

Sean verschluckte sich an seinem Tee. Urplötzlich hatte Laoise ihm in die Augen gesehen und ihre Forderung kam emotionslos und bestimmt. Er keuchte, stellte seine Tasse ab.

»Was sagst du?«

»Bring mir Schießen bei«, verlangte sie erneut. »Ich weiß, wozu ihr die Waffen habt und ich werde mich dieser Sache anschließen. Die elenden Engländer haben mir meine Zukunft genommen. Und bevor sie mir auch mein Leben nehmen, werde ich so viele von ihnen mitnehmen, wie ich kann!«

Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen

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