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Auf dem Atlantik, Oktober 1526

Bidelia fühlte sich, als ob sie jeden Moment sterben müsste. Dabei hatte die Überfahrt doch so gut angefangen. Der Himmel war strahlendblau gewesen, als sie in Cork abgelegt hatten, das Meer spiegelglatt. Am ersten Tag hatte sie sich nicht sattsehen können an der unendlichen Weite, die sich vor ihr ausbreitete. Zu gerne hätte sie den ganzen Tag auf dem Deck verbracht, doch es war den Passagieren nur für eine Stunde am Tag gestattet, sich außerhalb der zugewiesenen Räume aufzuhalten. Angeblich, damit niemand über Bord ging.

Im Inneren war es weniger angenehm. Es gab einige große Räume, in denen die neuen Siedler sich mehr schlecht als recht eingerichtet hatten. Die Verpflegung war noch schlechter, als es angedeutet worden war.

In der Mitte eines jeweiligen Raumes gab es eine Stelle, an der man kochen konnte, allerdings war diese beinahe immer belegt, sodass es hauptsächlich kaltes Essen gab.

Trotz allem war auch Bidelia euphorisch gewesen, sie hatte sich mit einigen anderen Frauen angefreundet. Auch diese waren optimistisch, dass es in Virginia nur besser werden konnte.

Es war im Grunde fast immer die gleiche Geschichte. Sie alle hatten nur ein kleines Stück Land gepachtet, das sie kaum ernähren konnte. Nach einigen Missernten und Zerstörungen während des Krieges blieb ihnen nur die Wahl, ob sie verhungern, sich den Rebellen anschließen, oder aber nach Virginia in eine ungewisse Zukunft reisen sollten.

Bidelia bewunderte die Frauen, die mit Kindern unterwegs waren. Sie fragte sich, ob es wirklich sinnvoll war, eine solch gefährliche Reise mit ihnen anzutreten, doch es schien den Kleinen kaum etwas auszumachen. Sie vertrieben sich die Zeit mit Geschichten und verrückten Spielen, empfanden alles als großes Abenteuer. Jedenfalls so lange, bis das Wetter umschlug. In einer Nacht gerieten sie in einen Sturm, der das Schiff umherschleuderte wie ein Spielzeug. Die Balken ächzten und der Kahn krängte gefährlich von einer Seite zur anderen. Alles, was nicht festgebunden war, rollte und polterte wild durch die Gegend.

Dazu kam die Seekrankheit, die irgendwann fast alle Passagiere befallen hatte. Es roch übel nach Erbrochenem und Fäkalien. Die Behälter, die man ihnen für ihre Notdurft gegeben hatte, konnten nicht geleert werden. Es war unmöglich, sich an Deck zu begeben. An Essen war überhaupt nicht mehr zu denken.

Farrell versuchte, seiner Frau wenigstens etwas steinharten Schiffszwieback und Wasser einzuflößen, aber alles, was sie zu sich nahm, kam aus einer ihrer Körperöffnungen wieder heraus. Er wusch sie, legte ihr kühle Lappen auf die Stirn, hielt ihre Hand und redete ihr gut zu. Wie im Fieberwahn lag sie da, apathisch, fast wie tot. Den Kindern erging es ähnlich. Am schlimmsten war allerdings, dass einige der Säuglinge den Sturm nicht überlebten. Sie waren am Ende zu schwach, um noch irgendetwas zu sich zu nehmen. Die Stimmung unter Deck wurde immer schlechter. Einige der älteren Auswanderer, die vorher ihr Brot als Fischer verdient und entsprechend sturmerprobt waren, meinten, dass sie noch niemals ein solches Wetter erlebt hatten.

Endlich, nach gut einer Woche, legte sich das Unwetter. Die See war wieder glatt, nur eine leichte Brise ließ das Schiff vorwärtsgleiten. Der Kapitän erlaubte mürrisch, dass man die toten Kinder in einer Zeremonie dem Meer übergeben durfte. Bidelia heulte danach drei Tage lang und war froh, als sie merkte, dass sie nicht schwanger war.

Die restliche Reise verlief schweigsam, aber ohne große Probleme. Dann, nach über vier Wochen, erscholl endlich der Ruf »Land in Sicht« und den Passagieren wurde erlaubt, an Deck zu kommen. Der Kapitän stellte sich neben das Ruder, blickte nach vorne und erhob seine Stimme.

»Das dort ist eure neue Heimat. Bis zum Abend legen wir an, dann werdet ihr an Land gebracht. Morgen kommen dann eure neuen Herren, um euch in Empfang zu nehmen.« Er nickte seinem Oberbootsmann zu.

Der grinste, ließ eine Peitsche knallen und brüllte laut, sodass alle zusammenzuckten: »Alles wieder unter Deck! Packt eure Sachen. Los, Bewegung.«

Bidelia erschauerte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass die Reise nicht so endete, wie sie es sich erhofft hatten, und hielt sich an Farrell fest.

»Ich weiß nicht, aber ich habe ein ungutes Gefühl«, murmelte sie ihm zu.

»Du siehst zu Schwarz, meine Liebe. Morgen Nacht schlafen wir wieder in einem richtigen Bett. Du wirst sehen, es wird alles gut«, versuchte er, ihr Hoffnung zu machen.

Davon war Bidelia allerdings nicht überzeugt.

Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen

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