Читать книгу Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen - Werner Diefenthal - Страница 22

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County Cork, Dezember 1652

Es war ein klarer, kalter Tag kurz vor dem Christfest, als Laoise mit Sean Murphy vom Markt in Glanmire zurück nach Hause ging. Gemeinsam zogen sie den Karren, beladen mit Saatgut und Tierfutter. Zumindest war es das, was man sehen konnte. Gut verborgen unter den Säcken befand sich ordentlich Schießpulver, das sie von den Rebellen in der kleinen Stadt im Tausch gegen Waffen und englische Uniformen bekommen hatten. Es war alles reibungslos gelaufen. Glanmire hatte sich, unbemerkt von den Engländern, mittlerweile zu einem Sammelbecken für die Rebellen entwickelt, speziell, was den Austausch von Waren anging. In Cork war das Risiko, erwischt zu werden, viel zu hoch. In Glanmire war es leichter und sicherer. Scheinbar war der Ort für die Engländer nicht interessant genug.

Sean Murphy war bester Laune, pfiff ein Liedchen vor sich hin und fantasierte immer wieder von der ruhmreichen Zukunft, die sie erwartete, wenn sie erst die Engländer vertrieben hatten.

»Du wirst sehen, Laoise, lange wird das nicht mehr dauern. Es traut sich ja jetzt schon kaum noch eine Patrouille in unsere Gegend! Wir werden Gelegenheit und mehr als genug Material haben, um eine richtige Armee aufzubauen, und dann jagen wir sie dahin zurück, wo sie hergekommen sind.«

Laoise schmunzelte über den Enthusiasmus des älteren Mannes. Sie hatte ihn seit langem nicht so hoffnungsvoll gesehen und wollte ihm die Freude nicht nehmen, obwohl sie seinen Optimismus nicht teilte. Sie glaubte nicht daran, dass die Engländer sich so leicht ins Bockshorn würden jagen lassen.

Übergangslos wechselte Sean das Thema und nutzte die Gelegenheit, mit Laoise reden zu können, ohne dass jemand mithörte.

»Du, sag mal, Mädchen … was hältst du eigentlich von meinem Sohn?«

Überrascht sah Laoise ihren Nachbarn an.

»Padraig? Nun, äh, er ist … ein netter Kerl«, versuchte sie, auszuweichen. Aber sie ahnte, worauf das hinauslief. »Warum fragst du?«

Murphy grinste breit.

»Er hat einen Narren an dir gefressen. Na, und wenn ich ganz ehrlich bin, ich auch. Du bist klug, schön und arbeitest wie ein Pferd!« Er wies auf den Karren hinter sich. »Mit meinen Töchtern könnte ich so ein Ding nicht ziehen, aber du hast nicht mal einen roten Kopf! Als Schwiegertochter wärst du ganz nach meinem Geschmack.«

Das war nicht einmal gelogen. Zu gerne hätte er Laoise als Frau für seinen Sohn gesehen. Aber der war anscheinend zu dumm, zumindest in Seans Augen, die junge Frau zu erobern.

Laoise war ein wenig unbehaglich zumute. Sie hatte Padraigs Blicke schon häufiger bemerkt, aber sie empfand nichts für ihn. In ihrem Herzen war noch kein Platz für einen anderen Mann und sie wusste nicht, ob sie dort jemals wieder Platz haben würde. Schmunzelnd schüttelte Laoise den Kopf.

»Ich fühle mich geehrt, aber hat Padraig nicht ein Auge auf Ava geworfen?«

Sean verzog das Gesicht, als habe er Zahnschmerzen.

»Sie sind ein paarmal zusammen in der Kirche gewesen und spazieren gegangen. Er hat sie noch nicht gefragt, ob sie ihn heiraten will. Dieses Schaf! Die kann nicht mal Bierkrüge tragen, ohne die Hälfte zu verschütten!«

Die Brünette musste lachen.

»Na, die bessere Schwiegertochter wäre sie wahrscheinlich trotzdem! Gibt keine Widerworte und sie wird einen Pub erben. Selbst wenn die Ernte in ganz Irland schlecht ist, die letzten Pennys werden immer in den Pub getragen!«

Sean wollte etwas erwidern, aber etwas vor ihnen zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er runzelte die Stirn.

»Was ist denn das?«

Laoises Augen folgten seinem Blick. Eine dicke, schwarze Rauchwolke stieg in den Himmel. Wenn ihre Schätzung richtig war, musste sie ungefähr dort entspringen, wo der Hof der Murphys stand. Sofort alarmiert nahm sie die Zuggurte des Wagens ab und rannte los.

»Beeil dich! Es brennt! Der Hof brennt!«

Ohne auf Seans Reaktion zu warten lief Laoise, so schnell sie konnte. Ihr Herz raste, die kalte Luft trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie schien förmlich über den harten Boden zu fliegen, ihre Gedanken überschlugen sich. Was war passiert? War Funkenflug aus dem Kamin außer Kontrolle geraten? Eine Kerze umgestürzt? Oder war gar das Undenkbare passiert? Im Grunde wusste Laoise, dass sie einen Fehler beging, wenn sie in Sichtweite des Gehöfts kam, ohne vorher auszuspionieren, was passiert war, aber die Sorge um ihre Freunde verhinderte, dass sie Vorsicht walten ließ. Sie stürmte über den letzten Hügel, der die Sicht auf den Hof der Murphys blockierte und blieb stehen wie angewurzelt, als sie ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah.

Englische Soldaten hatten den Hof förmlich überrannt. Es war nicht nur eine Patrouille, sondern ein gesamtes Bataillon! Das Wohnhaus, in dem seit einiger Zeit Laoise das Mägdezimmer bewohnte sowie die Scheune brannten lichterloh, die wenigen Tiere der Murphys irrten verstört im Pferch umher. Padraig, Orla, Gail und die jüngeren Kinder lagen bäuchlings im Dreck, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Zumindest Padraig war geschlagen worden, selbst aus der Ferne konnte Laoise Blut in seinem Gesicht sehen.

In diesem Moment entdeckte er sie, riss die Augen weit auf, aber er rief nicht, wollte die Soldaten nicht auf sie aufmerksam machen. Doch es war schon zu spät – einer der Männer, die die Gefangenen mit angelegten Gewehren bewachten, hatte seinen Blick gesehen und fuhr herum.

»DA IST SIE! ERGREIFT SIE!«

»LAUF, LAUF«, brüllte Padraig jetzt doch, bevor ein Tritt in die Seite ihm die Luft nahm und er verstummte. Laoise wirbelte herum, aber nicht, um wegzulaufen. Das wäre sinnlos gewesen, die nächste Deckung war zu weit entfernt und es waren zu viele. Es ging ihr nur darum, Sean Murphy, der noch nicht ganz herangekommen war, zu warnen. Sie hatte den älteren Mann abgehängt. Vielleicht konnte er noch entkommen. Sie gestikulierte mit beiden Händen in seine Richtung.

»VERSCHWINDE, SEAN!«

Dann wurde sie von zwei Soldaten umgerissen, prallte hart auf die Erde und spürte schmerzhaft mehrere Knie im Rücken. Ihr Gesicht wurde auf den gefrorenen Boden gepresst und für einen Moment dachte sie, ersticken zu müssen.

Dann aber zog man sie wieder hoch und schleifte sie den Hügel hinunter zu den anderen. Ihre Hoffnung, Sean hätte vielleicht noch davonkommen können, zerstreute sich nur Momente später, als sie seine herzhaften Flüche und Verwünschungen hörte. Ein dumpfer Schlag machte dem ein Ende. Als man Murphy neben seiner Frau auf den Boden warf, blutete er an der Schläfe und war bewusstlos.

»Verdammt, Robinson«, herrschte der anwesende Offizier einen seiner Soldaten an. »Was an der Anweisung, dass die Gefangenen unverletzt bleiben sollen, hast du nicht verstanden? Wir bekommen jede Verletzung vom Sold abgezogen, Befehl von Pendleton persönlich! Das war kein Scherz!«

»Verzeiht, Sergeant Simmons, aber der Gefangene hat starke Gegenwehr geleistet!«, verteidigte sich Robinson vehement, der nicht begriff, warum man die Rebellen auf einmal mit Samthandschuhen anfassen musste.

Simmons wies zum Tierpferch.

»Treib die Tiere zusammen, Robinson! Und dann zum Schlachter damit! Von den Gefangenen hältst du dich ab sofort fern. «

Dieser Befehl verwirrte Laoise. Bisher hatte es die Engländer nie interessiert, ob ein Rebell verletzt wurde oder nicht. Wozu auch? Als Sergeant Simmons auf sie zutrat, rümpfte sie verächtlich die Nase.

»Meinst du, es sieht schöner aus, wenn wir unverletzt vom nächsten Ast baumeln, du Hund?«

Der Mann betrachtete sie amüsiert von oben bis unten.

»Du gibst also zu, der Bewegung der Rebellen anzugehören und Soldaten der englischen Krone rücksichts- und grundlos abgeschlachtet zu haben?«

Laoise stieß ein freudloses Lachen aus.

»Ich gebe gar nichts zu. Aber das spielt keine Rolle. Ihr braucht doch keinen Grund, uns aufzuknüpfen, außer dass wir Iren sind!«

Der englische Offizier war jetzt so nah an sie herangetreten, dass sie seinen fauligen Atem riechen konnte.

»Du kannst dich als unschuldiges Opfer hinstellen, so lange du willst, Laoise O´Shea. Dein Glück hat dich verlassen. Es ist der Krone bekannt, dass du hinter den Anschlägen auf die Patrouillen steckst. Du bist der Schlächter.«

Laoise konnte die Überraschung in ihren Augen nicht verbergen. Woher zum Teufel wussten sie das? Jemand musste geredet haben, es konnte nicht anders sein! Hatten sie am Ende die Murphys gefoltert? Aber wie sollten sie erst auf sie gekommen sein? Eine völlig unauffällige Bauernfamilie?

»Wir bekommen alles heraus!«

Der Sergeant lächelte süffisant. Offensichtlich hatten sich ihre rotierenden Gedanken in ihren Augen gespiegelt. Laoise riss sich zusammen, straffte ihre Gestalt und kniff die Augen zusammen.

»Nun dann, was macht es für einen Sinn, zu leugnen? Ja, ich bin der Schlächter. Und ich habe es genossen, euch eure leeren Köpfe von den Schultern zu schießen. Jeden Einzelnen. Ich bereue nichts und ich werde stolz und aufrecht dafür zum Schafott gehen! Bringen wir es hinter uns!«

Simmons lachte.

»Oh, so viel Leidenschaft. Ein Jammer, dass wir den Befehl haben, die Finger von euch zu lassen! Dich würde ich gern ein wenig zähmen! Und den Heldentod auf dem Schafott, den hättest du wohl gerne. Wir machen bestimmt keine Märtyrer aus euch. Pendleton hat etwas Besseres für euch auf Lager! SCHAFFT SIE WEG!«

Minuten später saß Laoise mit der gesamten Familie Murphy verschnürt wie Pakete auf einem Karren, den die Soldaten in Richtung Cork zogen, einer ungewissen Zukunft entgegen.

Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen

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