Читать книгу Die Vergessenen - Teil 1: Gefangen - Werner Diefenthal - Страница 18
ОглавлениеCounty Cork, Oktober 1652
Laoise lag in einem kleinen Waldstück in dichten Büschen verborgen und wartete. Es hatte die ganze Nacht geregnet und noch immer fielen Tropfen von den herbstlich verfärbten Blättern, verursachten ein gleichmäßiges, beruhigendes Geräusch. Weniger beruhigend war der stetige Strom von Wasser, der von einem kleinen Ast seinen Weg direkt in Laoises Kragen fand und ihr eiskalt den Rücken hinunter rann. Dennoch veränderte sie ihre Position nicht. Die Patrouille konnte jede Sekunde den Weg entlang kommen, dann hätte sie jedes Zucken verraten können.
Laoises Körper war gespannt bis in die letzte Faser. Dennoch hatte sie nicht vergessen, was Sean Murphy ihr in den letzten Wochen beigebracht hatte. Sie atmete tief ein und aus, zwang ihr Herz dazu, ruhiger zu schlagen.
Da sah sie die Bewegung über den Hügeln. Sie waren zu zweit, berittene Soldaten, eindeutig Engländer. Seit es Cromwell gelungen war, Irland unter seine Kontrolle zu bringen, gab es gar keine anderen mehr. Ihre farbenfrohen Uniformen leuchteten sogar durch den aufsteigenden Nebel.
»Weiße Kleidung bekäme euch besser«, murmelte Laoise und legte an.
***
Sergeant Andrew Lockhart war nervös. Er ging ohnehin nicht gern Patrouille, aber in diesem Teil des Countys ging er sie besonders ungern. Nirgendwo anders war der Anteil der Soldaten, die den Rebellen zum Opfer fielen, höher als hier und bisher war es nicht gelungen, die Widerständler aus ihren Löchern zu treiben.
Seit es den Befehl gab, niemanden mehr zu töten, sondern Gefangene zu machen, war die Situation noch schwieriger geworden. Kaum eine Patrouille kehrte unbeschadet zurück.
Eigentlich war es gar nicht Lockharts Aufgabe, hier zu patrouillieren, aber er war am Vortag beim Morgenappell mit einer Fahne erwischt worden, die man einfach nicht ignorieren konnte, so hatte man ihm einen Erkundungsritt in diese Gegend als Bestrafung aufgebrummt.
Dass man ihm als Begleitung einen Grünschnabel mitgegeben hatte, hob Lockharts Stimmung nicht gerade. Lance Corporal Donald Meadows war vor zwei Tagen in Irland angekommen, versetzt aus London. Und er war versessen darauf, den »irischen Schweinen« das Handwerk zu legen.
Seine Blicke waren ständig auf Wanderschaft und immer wieder wanderte seine Hand zum Knauf der Pistole.
»Wieso zeigen sich diese Feiglinge nicht?«, murrte Meadows. »Den ganzen Weg lang haben wir keine Menschenseele gesehen!«
»Und darüber solltest du froh sein, du Schwachkopf«, brummte Lockhart, »das ist eine gefährliche Gegend, unterschätzt die Rebellen ni…«
Ein peitschender Knall schnitt dem Sergeant das Wort ab. Der Kopf des jungen Corporals hüllte sich in eine Wolke von Blut und er kippte lautlos seitlich vom Pferd, landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden. Seine linke Gesichtshälfte war nur noch eine blutige Masse.
»Herrgott verdammt«, entfuhr es Lockhart und riss seine Schusswaffe aus dem Holster, doch er ahnte, dass es sinnlos war. Panisch sah er sich um, dachte noch, dass der Schuss eigentlich nur aus dem nahen Wäldchen gekommen sein konnte, bevor er einen Schlag spürte und aus dem Sattel kippte. Den Knall des Schusses hörte er schon nicht mehr.
***
Laoise wusste nicht, was sie fühlen sollte, als sie sich langsam den beiden toten Soldaten näherte. Einerseits war sie über sich selbst erschrocken. Sie hatte zwei Menschen getötet. Und es war so leicht gewesen! Zweimal den Finger ein wenig gekrümmt und sie waren einfach ausgelöscht.
Aber andererseits, hatten die Engländer, die Conor erstochen und dann noch aufgeknüpft hatten, sich solche Gedanken gemacht? Bestimmt nicht! Es war nicht mehr gewesen als Selbstschutz. Hätte sie die Soldaten nicht erwischt, wäre sie vielleicht ihr nächstes Opfer geworden!
Sean und Padraig hatten weniger Scheu als sie, sie knieten bereits neben den Leichen. Als Laoise schließlich herangekommen war, sahen die beiden Männer fast ehrfürchtig zu ihr auf, dann brachen sie in Gelächter aus. Die junge Frau runzelte die Stirn.
»Was gibt es zu lachen?«
Sean stand auf und drückte Laoise an seine breite Brust.
»Es gibt etwas zu feiern! Du hast beide mit dem ersten Schuss erledigt! Einfach so! Die Birne weggepustet! Weißt du eigentlich, dass du besser schießen kannst als wir alle zusammen? In Angst und Schrecken werden wir sie versetzen, unter ihnen wüten wie der Tod persönlich!«
Er ließ sie wieder los und die Brünette starrte auf die Leichen mit den verstümmelten Köpfen hinab. Immer noch fühlte sie nichts, nur einen leisen Triumph irgendwo tief in ihrem Inneren.
Die Murphys hatten begonnen, die Leichen auszuziehen und ihnen die Waffen abzunehmen. Dann banden sie die Beine der Toten an den Sätteln ihrer Pferde fest, die nur wenige Schritte davongelaufen waren, um zu grasen.
Auf Laoises fragenden Blick erwiderte Padraig mit einem Schulterzucken nur: »Früher oder später werden die Pferde in ihre Ställe zurückkehren und dann die Kameraden unserer beiden Freunde hier in Angst und Schrecken versetzen!«
»So ist es!«
Sean wirkte immer noch deutlich vergnügt und reichte Laoise einen Revolver.
»Dein erster eigener Revolver! Du solltest stolz auf dich sein! Heute Abend werden wir dich als unsere neue Heldin feiern!«