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4.2.6. Der spirituelle Ursprung und Hintergrund der Chaco-Anasazi

Nach der Darlegung der ökonomischen Basis der Kultur der Chaco-Anasazi erfolgt ein Versuch, den spirituellen Ursprung und Hintergrund dieser Kultur zu beschreiben.

Die wesentliche Voraussetzung für den kulturellen Überbau ist die Erwirtschaftung eines im Durchschnitt ausreichenden und zuverlässigen Mehrproduktes von Nahrungsstoffen, das es ermöglichte, einen Teil des Arbeitskräftepotenzials bei entsprechendem Bedarf für Tätigkeiten außerhalb der Nahrungsstoffproduktion freizustellen. Hierbei spielten die seit 875/900 u.Z. wirkenden zuverlässigeren und feuchteren Klimabedingungen und die jetzt in großem Umfang eingesetzten Methoden und Bauwerke zur Wasserkontrolle/-verteilung eine große Rolle.

Man kann davon ausgehen, dass sich die im Chaco Canyon und seinem Umkreis lebenden prähistorischen Menschengemeinschaften verwandtschaftlicher und/oder spiritueller Art in einem uterinen oder matrilinearen Kontext befanden – ein Sachverhalt, der bei allen wissenschaftlichen und medialen Darstellungen schon rein sprachlich fast immer ausgeklammert und damit unterdrückt wird. Aus diesem matrilinearen Kontext entstand ein spirituelles Weltmodell, in dem sich eine Vielfalt von Geistkräften und ihren Manifestationen zu einem religiösen Weltbild der Chaco-Anasazi formierten, das für uns nur noch in den physischen Belegen erschließbar ist, aber mit den konkreten ökologischen, topographischen und astronomischen Bedingungen des Chaco Canyon abgeglichen werden muss.

Die aufmerksamen BeobachterInnen der Anasazi bemerkten, dass ihr Wohngebiet, der Chaco Canyon, nicht nur auf Grund seiner für den Bodenbau besser gewordenen Bedingungen, sondern auch „durch seine Lage auf einer speziellen Himmelsachse“, die mit dem Wirken von Geistkräften in Verbindung gebracht wurde, ein besonderer Ort war – nicht nur eine gute Heimstatt für Menschen, sondern auch von „mobilen/wandernden“ Geistern.

Die visuelle Achse eines 15 km langen Abschnitts des Chaco Canyon deckte sich (mit nur 2,1° Abweichung) mit der Linie zwischen den Horizontpunkten des Wintersonnenwendesonnenaufgangs und des Sommersonnenwendesonnenuntergangs an den Enden der Sichtachse des Chaco Canyon, die von Penasco Blanco über Pueblo Bonito bis zu Kin Nahasbas verläuft. Diese natürliche, zufällige Übereinstimmung war in den Vorstellungen dieser Menschen ein Hinweis auf die spirituelle Besonderheit („Auserwähltheit“) dieser Lokalität und war für sie ein Grund, diese spirituelle Spur mit einigen Wohn- und Ritualbauten am Anfang, in der Mitte und am Ende (des Canyon) zu belegen. Die ersten Erkenntnisse und Absichten müssen zwischen 850 und 900 u.Z. entstanden sein bzw. sich formiert haben. Der heute sichtbare „Endausbau“ des Chaco Canyon war eine allmähliche Entwicklung über 200 bis 250 Jahre, bei der die menschlichen Möglichkeiten, Wünsche und Erkenntnisse schrittweise nach den materiellen Bedingungen und den spirituellen Bedürfnissen umgesetzt wurden.

Zur Wintersonnenwende scheint die aufgehende Sonne direkt von Osten in den Canyon und markiert damit den Winterhöhepunkt und den Neubeginn des Jahres, zur Sommersonnenwende scheint die untergehende Sonne von Westen in den Canyon und markiert den Sommerhöhepunkt. Dies war ein einfacher natürlicher Kalender, der gegebenenfalls zur Kult-Uhr wurde. Eine ähnliche Situation ergab sich auch aus speziellen Mondständen, -aufgangspunkten und -untergangspunkten. Diese Situation, diese spirituelle Besonderheit, kennzeichnete diesen Ort in den Augen der Bewohner als eine spezielle Kontaktstelle zu den über- oder unterirdischen Kräften/Geistern.

Aus dieser Erkenntnis ergab sich eine Schlussfolgerung: Um den schwer zu durchschauenden Zufälligkeiten des Wirkens der Geister zu begegnen – auch die aus dem Südwesten nach Mexiko eingewanderten Azteken sahen das Wirken der Götter als ein manchmal mehr oder minder chaotisches Spiel an – wollten sie ihnen an diesem spirituell besonderen (ich vermeide bewusst den Begriff eines „auserwählten“) Ort eine möglichst dauerhafte Heimstatt anbieten/schaffen und bauten sie schrittweise „geisterfreundlich“ aus.

Dazu wurden bei drei Pueblos am Anfang/Osten (Pueblo Una Vida), in der Mitte (Pueblo Bonito) und am Ende (Pueblo Penasco Blanco) des Canyon(abschnittes) durch zusätzliche Anbauten eine nach ihren Vorstellungen möglichst attraktive Aufenthaltsstätte für die Geister geschaffen. Im Verlauf der durch weitere Geisterraumanbauten sich zum künftigen Großhaus gestaltenden Pueblos wurden durch spezielle, bewusst geschaffene solare und/oder lunare Orientierungslinien des Baus bestimmte, besonders wichtig und/oder kraftvoll erscheinende Geister angesprochen/angelockt. Offensichtlich hatte nach den Vorstellungen der Pueblo-ErbauerInnen wahrscheinlich jeder Geist/spirituelle Kraft eine spezielle „Koordinate“, die mittels einer bestimmten Richtungsmarkierung des Baus für eine Kommunikation angesprochen werden konnte. Bestimmte Geister suchten dann die so nach ihnen rufenden auf und waren ihnen bei ihrem Wirken freundlich gesonnen. Mit dem späteren Bau weiterer Großhäuser mit Geisterwohnungen und anderen astronomischen Ausrichtungen sollten wahrscheinlich nicht (ausreichend) angesprochene Geister für die Erfüllung der Wünsche der Chaco-Bewohner gewonnen werden. Auf diese Weise konnten sie ihre Bitten und Wünsche um Wasser, gute Ernte und Gesundheit unmittelbarer, dichter und damit zuverlässiger an den für die Erfüllung einer solchen Bitte als maßgeblich angesehenen Geist heranbringen.

Die zwangsläufig pragmatisch denkenden Menschen der Urgesellschaft stellten wahrscheinlich fest, dass im konkreten Fall diese enge Einbindung der Geister in ihren menschlichen Lebensbereich vorteilhaft war. (Das günstige Klima hielt bis ca. 1130 u.Z. an.) Dies führte im Laufe der Zeit dazu, dass die Menschen für immer mehr Geistkräfte Heimstätten/Quartiere schufen und sich selbst in ihrem profanen Wirken immer stärker aus diesem Bauwerk in ihre gewohnten Einheitspueblos und Kleinhäuser zurücknahmen und in den Großhäusern nur noch eine für die Kontakte mit den Geistern und/oder alltägliche Aufgaben zuständige „Menschendelegation“ verblieb bzw. in größeren Gruppen zu bestimmten Zeremonialterminen erschien. Eine speziell in diesen Geisterwohnstätten tätige Kaste von PriesterInnen ist nicht belegt. Notwendige rituelle und sakrale Handlungen wurden zu den entsprechenden Anlässen weiterhin von den in den Kleinhäusern und Einheitspueblos lebenden FührerInnen der verwandtschaftlichen und/oder religiösen Gruppen praktiziert. Dazu gab es in den als Chaco-Großhaus bezeichneten Geisterwohnungen auch eine ausreichende Anzahl von speziellen Kiva-Ritualräumen, deren Bau und Auflassung wahrscheinlich durch profan verursachte, aber spirituell hinterlegte Ereignisse bedingt wurde.

Alle dieses Glaubenssystem akzeptierenden Menschengemeinschaften, die sich des offensichtlich wirkungsvollen Beistandes und der Unterstützung entsprechender Geister versichern wollten, gestalteten diesen Großhaus-„Tempel“ als eine ihnen wichtige oder gar wichtigste sakrale Stelle nach profan-spirituellen Initialen entsprechend aus. Diese Stätte wurde im Rahmen periodischer und/oder aperiodischer Ritualhandlungen aufgesucht und rituell-spirituell genutzt.

So wurde auch um 1050 u.Z. für eine bessere spirituelle Wirksamkeit als Ersatz für das nach neuestem Erkenntnisstand dieser Zeit nicht richtig auf der Sichtlinie liegende Pueblo Una Vida 350 m nordnordwestlich dieses Pueblos die Großkiva Kin Nahasbas mit einigen Nebengebäuden direkt auf der spirituell wichtigen Sichtachse angelegt.

Der Bau dieser Großhäuser stand bezüglich Anleitung und speziell bei der Ausführung der steinsetzenden Maurerarbeiten unter der auch im normalen täglichen Leben für den Bau der Wohnstätten verantwortlichen Weiber. Sie verfügten über die notwendigen praktischen Erfahrungen. Die logistischen Aufgaben, die Beschaffung und Zubereitung/Zurichtung des Baumaterials, die vom Arbeitsvolumen her wahrscheinlich größere Aufgabe, war die Arbeit männlicher Gemeinschaftsmitglieder. Diese Bauaufgaben wurden von Personengruppen in Zeiten ausgeführt, in denen sie nicht für die Bodenbauarbeiten im weitesten Sinn notwendig waren.

Die 12 unmittelbar zum Chaco Canyon gehörenden Großhäuser (ohne Pueblo Pintado) verfügten über ca. 2.600 Räume und 140 Kivas, die nie alle zeitgleich genutzt wurden, und hatten in ihrem engeren Umkreis 166 Kleinhäuser und/oder mehr oder minder große Einheitspueblos mit insgesamt ca. 2.660 Räumen (16 Räume/Kleinhaus) und ca. 410 Kivas (6,5 Räume/Kiva), die auch nie alle zeitgleich genutzt wurden!. Die meist sehr begrenzten Ausgrabungen belegen für die Großhäuser nur eine zahlenmäßig sehr geringe und eventuell gar nur saisonale Wohnbevölkerung.

Die Chaco-Großhäuser waren als Geisterwohnstätten ausgebaute Anlagen und keine, wie oft behauptet wird, zentralisierten Vorratslager des Chaco-Gebietes unter Aufsicht einer machtvollen, aber nicht näher bestimmbaren (administrativen und/oder religiösen) Elite, die es sich mittels religiöser Druckmittel auf dem Vorratsberg gut gehen ließ und aus diesen Vorräten und den von ihren Mineuren gewonnenen Türkisen auch noch ihre exotischen Luxusspielzeuge wie Aras und Kupferschellen bezahlen ließ, mit denen sie vor den „armen“ Massen ihre politische und spirituelle Macht demonstrieren konnten.

Die für uns heute sichtbare Bebauung des Chaco Canyon und seiner unmittelbaren Umgebung war eine der wachsenden Bewohnerzahl und dem von ihr offensichtlich sehr erfolgreich betriebenen Bodenbau und ihren praktischen und spirituellen Bedürfnissen geschuldete schrittweise Entwicklung und keine Verwirklichung eines plötzlich erschienenen Machtdemonstrationsplanes irgendeiner Elite. Es gab in dieser uterinen, urgesellschaftlich-klassenlosen Gesellschaft keine Eliteschicht, sondern nur entsprechend kluge und lebenserfahrende weibliche und männliche Vorsteher von verwandtschaftlichen und/oder religiösen/rituellen Gemeinschaften als Primus inter pares.

Die Pueblo-Kulturen

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