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Beweggründe, niedrige § 211 II StGB

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»Niedrig« sind Beweggründe, die besonders verwerflich (verachtenswert) sind, weil sie nach allgemeiner rechtlich-sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, insbesondere den Anspruch des Opfers auf Achtung seines personalen Eigenwertes schlechthin verneinen oder ein unerträgliches Missverhältnis zwischen Anlass (Zweck) und Folgen der Tat erkennen lassen.

Literatur:

NK-Saliger § 211 Rn. 26 ff; MK-Schneider § 211 Rn. 70 ff. Einführend: Bosch Jura 2015, 803 ff; Kühl JuS 2010, 1041 ff. Monographisch: Heine, Tötung aus »niedrigen Beweggründen«, 1988; Votteler, Das Mordmerkmal der „sonst niedrigen Beweggründe“ gem. § 211 Abs. 2 1. Gruppe 4. Variante StGB, 2014.

Rechtsprechung

Grundlegend: BGHSt 35, 116 (127 – Verhältnis zur Verdeckungsabsicht); 56, 11 (18 f). Beispielhaft: BGHSt 50, 1 (8 f – zur Auftragstötung); BGH NStZ-RR 2003, 78 f (Vernichtungswille); 2014, 203 (keine Zurechnung des Beweggrunds bei Mittäterschaft) sowie unten Rn. 162.

BGHSt 56, 11 (18 f): „Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Tötungsbeweggrund niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt.“

BGH NStZ 2012, 691 (692): „Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen nach der Rechtsprechung in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grund entbehren… Der Täter muss weiterhin die tatsächlichen Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen und erkannt haben sowie – insbesondere auch bei affektiver Erregung und gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen, wie dies etwa Verärgerung, Wut und Eifersucht sind – in der Lage gewesen sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern… Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist.“

Erläuterungen

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Um zu beurteilen, ob die Beweggründe niedrig[1] sind, ist eine umfassende Gesamtwürdigung von Motivation, Täterpersönlichkeit und Tatumständen erforderlich. Die begrifflich unscharfe Bewertung als „besonders verwerflich“ kann durch zwei unterschiedliche Aspekte spezifiziert werden:[2] So kann das Täterverhalten einerseits die Reaktion auf eine besondere Tatsituation sein, die von einem nicht mehr nachvollziehbaren Beweggrund getragen wird (grobes Missverhältnis zwischen Tatanlass und Täterreaktion). Andererseits kann das Täterverhalten Ausdruck einer übersteigerten egoistischen Grundhaltung sein, die dem Opfer jegliche Achtung als Mensch abspricht (Instrumentalisierung von Menschenleben).

Nach überwiegender Ansicht entscheiden für die Verwerflichkeit die sozialethischen Grundanschauungen in der deutschen Rechtsgemeinschaft, mag der Täter diese aufgrund seiner religiösen Überzeugung oder Volkszugehörigkeit auch nicht teilen. Allenfalls könne solchen Tätern, die den fremden Anschauungen besonders intensiv verhaftet sind, das Bewusstsein der Niedrigkeit ihres Vorgehens fehlen.[3]

Der Täter muss sich zumindest der Umstände bewusst sein, die den Tatantrieb als besonders verwerflich kennzeichnen. Kommen als niedrige Beweggründe gefühlsmäßige und triebhafte Regungen in Betracht, so muss der Täter in der Lage gewesen sein, diese gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern; dies kann bei Tötungen fraglich sein, die auf einem spontanen emotionalen Entschluss beruhen.[4] Zu weitgehend ist die Rechtsprechung, die einen »niedrigen Beweggrund« annimmt, „wenn der Täter in dem Bewusstsein handelt, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen“:[5] Das bloßen Fehlen eines Motivs kann kein Beweggrund sein.

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Liegen verschiedene Beweggründe (»Motivbündel«) vor, so müssen die »niedrigen« bei der Gesamtwürdigung überwiegen und der Tat ihr wesentliches Gepräge geben.[6] Im Verhältnis zu den anderen Merkmalen der ersten Gruppe ist der sonstige niedrige Beweggrund subsidiär zu prüfen: Wird das Motiv bereits vollständig von einem benannten Beweggrund erfasst, so kann nicht zugleich ein sonstiger niedriger Beweggrund gegeben sein; eine Prüfung des Merkmals erübrigt sich dann.[7] Erfasst das benannte Merkmal das Motiv nicht, so stellt sich die Frage, ob die Nähe zu einem benannten Beweggrund die Bewertung als sonstiger niedriger Beweggrund rechtfertigt oder ob sie ihr – umgekehrt – sogar eher entgegensteht, da die Unrechtsschwere des benannten Motivs eben nicht erreicht wurde.[8]

Umstritten ist, ob die Absichten der 3. Gruppe auch als Sonderfall des niedrigen Beweggrundes begriffen werden können. Dafür ließe sich (insbesondere bei der Ermöglichungsabsicht) das übersteigerte egoistische Motiv anführen, dagegen spricht (zumindest bei der Verdeckungsabsicht) die zugrunde liegende Selbstbegünstigungstendenz.[9] Sieht man aber z.B. die Verdeckungsabsicht als besonderen niedrigen Beweggrund,[10] so ist diese vorrangig zu prüfen[11] – zudem stellt sich bei »verdeckungsnahen« Motiven wiederum die Frage, ob diese Nähe die Annahme des sonstigen niedrigen Beweggrundes rechtfertigt.[12]

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Die Rechtsprechung hat »niedrige Beweggründe« in folgenden Fällen[13] bejaht:

»Maßlose Eifersucht ohne verständlichen Anlass« (BGHSt 3, 180; BGH NStZ 1994, 395 f);
»Hemmungslose Eigensucht« (BGH NStZ 1985, 454 – Tötung eines Zufallsopfers, um statt seiner als tot zu gelten);
»Rassenhass«, »Ausländerfeindlichkeit« (BGHSt 18, 37 [39]; BGH NJW 1994, 395 f);
Tötung der Ehefrau als Hindernis eines Liebesverhältnisses (BGHSt 3, 132 ff);
Wut/Enttäuschung über verweigerten Sexualverkehr (BGHSt 2, 62 f);
»Wut, Zorn, Verärgerung«, wenn sie ihrerseits auf niedrigem Beweggrund beruhen (BGHSt 47, 128 [130]; BGH NStZ 1993, 182; 2002, 368 mit Anm. Hermanns/Klein JA 2002, 749 ff; NStZ 2004, 34; NStZ-RR 2007, 111; 2011, 35);
Tötung aus »Imponiergehabe«, um in der Gruppe als gleichwertig zu gelten (BGH NStZ 1999, 129 f);
Hass, wenn er nicht „menschlich verständlich“, sondern Ausdruck niedriger Gesinnung ist (BGH NStZ 2000, 20 [21] – bei Altvater);
»willkürliche Auswahl« unbeteiligter Opfer (BGH NJW 2004, 3051 [3054 – terroristischer Sprengstoffanschlag auf Diskothek] mit krit. Anm. Schroeder NStZ 2005, 153 f);
Rache (BGH NStZ 2006, 97 f mit krit. Anm. Bosch JA 2006, 175 [176]; NStZ-RR 2011, 7 [8 – Rachsucht/Vergeltung]; wie bei »Hass« diff. BGHSt 56, 11 [19]);
bei besonders brutaler Tatausführung (BGHSt 60, 52 [55 ff] mit krit. Bspr. Bartsch StV 2015, 718 [719 f: rechtfertigt per se nicht den Schluss auf eine menschenverachtende Einstellung] und ähnlich krit. Stam JR 2016, 293 [297 ff], der dort auch zur Grausamkeit abgrenzt).
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