Читать книгу Der Sonderling - Wilhelm König - Страница 11

Der Sonderling

Оглавление

Träumte ich schon wieder, oder war er es wirklich? Ich meine: Xaver? Er könnte es sein, der Mann da, so wie er durch die Straßen des Dorfes rennt: Turnschuhe, weißer Sportdreß und Sonnenschutz über den Augen. Nur etwas älter als der Einsiedler in Zwiefalten. Aber genauso knochig und vielleicht noch beweglicher.

So trabte er hinter dem »Löwen« hervor, wo er wohnte und ein Uhrgeschäft unterhielt; trabte fast täglich, ob Sonne oder Regen, da hervor, raus auf die Hauptstraße und ab in Richtung Sportplatz. Dort zieht er auf der Aschenbahn einige Runden und dreht wieder um in Richtung Dorf. Nein, es ist nicht Xaver! Der Mann stammt überhaupt nicht von hier: Er ist zugezogen; ein Flüchtling, ein Reingeschmeckter im besten Fall. Nein, Xaver war es nicht. Der Mann fiel natürlich auf, die Leute blieben stehen und schauten sich lachend nach ihm um.

Flüchtlinge, Reingeschmeckte: von der Sorte gibt es natürlich noch mehr hier im Tal. In Scharen sind sie einst nach dem Krieg eingefallen. Die meisten passen sich sehr schnell an und gehen auf in der neuen Gemeinschaft. Und wenn jemand auffällt, so wie der da – oder wie ich –, dann liegt es nicht daran, daß es ein Flüchtling oder ein Reingeschmeckter ist. Er ist eben ein Sonderling. So spricht man von mir inzwischen doch auch. Aber sie lachen und sie spotten nicht mehr. Sie schauen nur noch böse und ein wenig unsicher drein. Doch das kümmert mich nicht. Nur noch selten verlasse ich das Haus, halt zu Besorgungen, zu unerläßlichen Spaziergängen. Und dann treffe ich diesen Sportler, sehe ihn die nicht vorhandene Menge teilen wie ein Engel die Wolken – aber ein richtiger Engel, wenn der auf Erden landete, der brauchte auch keine Menge zu teilen: Wenn wir kommen, gehen die Leute von selber auf d’Seit, wollen nichts zu tun haben mit uns Spinnern, Sonderlingen. Sonderbar, wer ihnen das nur beigebracht hat, diese Scheu vor dem Andersartigen; diese Furcht vor dem Fremden?

Denn wir sind doch nun einander auf eine neue Weise fremd. Vorher war das scheints harmloser, weniger beängstigend: Jetzt wollen sie sich in ihrer Ruhe gestört fühlen! Aber ich tue ihnen doch gar nichts! Wer tut denen schon etwas? Doch sie selber. Manchmal hat es mich schon in den Beinen gejuckt, und ich wäre zu gern mit dem Mann durch den Flecken gerannt, wenigstens bis raus auf den Sportplatz. Aber das hätte er vielleicht falsch aufgefaßt, hätte gemeint, ich wollte ihn foppen. Denn Kinder taten das ab und zu; sie liefen ein Stück neben ihm her und schrien ihm etwas zu, feuerten ihn an. Nein, zum Kind wollte ich mich nicht mehr machen, und ich wollte ihn auch nicht verspotten. Ich könnte überhaupt nicht über ihn lachen, so wie die Leute, große und kleine. Nein, wir taten einander nichts und nützten einander auch nichts. Ich glaube nicht, daß er mich überhaupt kannte. Er kümmerte sich auf seine Weise nicht um die Menschen um sich herum; er sah sie nur in seinem Geschäft, und da lachten sie auch nicht über ihn, da waren sie ganz ernst und nahmen seine handwerklichen Fähigkeiten gern in Anspruch. Vielleicht dachte am Anfang der eine oder andere: der ist blöd, den können wir übers Ohr hauen. Der gibt uns die Sachen – oder repariert, flickt – auch mal billiger. Aber nichts wars. Der hat seine ganz normalen Preise.

Der Sonderling

Подняться наверх