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Flüchtlinge

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Wie habe ich gesagt – »Flüchtlinge?« Dabei bin ich doch selber ein Flüchtling: immer auf der Flucht; vor mir und vor den andern. Und dies hier ist nur eine Zwischenstation.

Herr Hofer: Sie müssen Geduld mit mir haben, so wie Sie früher immer Geduld mit mir hatten und so wie Kommissar Maier in den Verhören immer Geduld mit mir hatte.

Ich würde Ihnen jetzt gern das Heim und seine Bewohner vorstellen. Unter diesen Bewohnern ist besonders Paul wichtig — wegen seiner Kommentare, die er zu meinen Geschichten gab. Er ist auf der einen Seite einer wie Sie; auf der anderen Seite einer wie ich. Aber das geht noch nicht. Ich kann jetzt noch nicht in das Heim: ich bin noch nicht mal auf dem Hof in Niedersachsen. Ich bin noch nicht mal weg von hier. Und vom Hof gehts ja nicht direkt ins Heim. Da ist ja vorher noch die Burg, das Jugendgefängnis. Und dazwischen gibts weitere Fluchten: die Absetzungen vom Hof; die Wanderungen nach und durch Hessen und die kurzen Gastspiele auf zwei weiteren, freilich viel kleineren Bauernhöfen dort. Und es gibt die Motorradfahrt zur deutsch-französischen Grenze in der Pfalz. Von da erst zeigt der Pfeil geradewegs in die Burg, und von da ins Heim. Schon ersticke ich in meinen Erinnerungen, und vor meinen Augen beginnt alles zu flimmern. Namen und Jahre stürzen zusammen: ob ich das alles noch unter einen Hut, auf ein Blatt Papier bringe?

In meinem Gedächtnis gibt es so viele Lücken. Auf alle Fälle fehlen mir die drei Wochen – oder genauer 19 Tage –, die ich nach dem Schlittenunfall bewußtlos im Krankenhaus lag. Auch danach wird es immer wieder Nacht – und wenn plötzlich die Helle kommt, trifft sie mich wie ein Scheinwerfer, und ich sehe, höre und denke für Sekunden nichts.

Nichts! Alles das wollte ich mir zurückholen auf meinen verschiedenen Fluchten. Vielleicht habe ich das eine oder andere gefunden unterwegs auf den Straßen; in den einzelnen Häusern und Höfen – bei fremden Leuten!

Ja, der Schlittenunfall: das ist meine lebenslange Bedrohung. Denn in dieser Zeit, das sage ich mir immer wieder, hätte ich dies und das tun und etwas anderes lassen können – zum Beispiel zwei Menschen erschießen, wie mir vorgeworfen wird. Sollte das wahr sein, dann ist da in mir etwas außer Kontrolle geraten – ich bin außer Kontrolle geraten. Das könnte sich ja nun wiederholen – das ist das Beängstigende. Das ist es, was mich ständig beunruhigt.

Ich will ja niemand die Schuld geben – zum Beispiel meinem Vater oder der Zeit, dem Dorf oder seinen Bürgern: Ich allein war es, und ich allein muß es verantworten. Und ich will es auch verantworten – alles, was ich getan habe und alles, was ich noch tun werde. Gutes und Böses.

Der Sonderling

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