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Knechte und Mägde oder Die innere Uhr

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Es machte mir dann alles so viel Spaß, daß ich blieb. Nicht nur der Pferde wegen, die sofort Vertrauen zu mir faßten. Ich vertrug mich auch mit den andern: mit Knechten und Mägden; mit Fräulein Holzapfel, die eine Woche später auf den Hof kam, einer Frau in voller Blüte, auf die rasch der Verwalter ein Auge geworfen hatte. Ha, das merkte man doch! Einmal haben wir uns gestritten, vielleicht habe ich sie beschimpft. Das war in der großen Bauernstube, in der wir uns zum Essen trafen und wo wir uns auch nach Feierabend aufhielten.

Gerade wechselten die Worte noch heftig hin und her, dann war plötzlich Stille, und genauso plötzlich wurde die Stille gebrochen. Fräulein Holzapfel lachte und sagte – vor allen andern: »Karl, Ihnen kann man nicht böse sein!«

Ich schwieg und senkte beschämt den Kopf. Ich habe diesen Satz damals nicht verstanden, und ich begreife ihn bis heute nicht. Warum konnte man mir nicht böse sein? Mußte man mir denn nicht wie jedem anderen böse sein, wenn ich etwas Böses getan oder gesagt hatte? Und hatte ich nichts Böses getan – gesagt? Von jetzt an war ich in ihrer Schuld, und es dämmerte mir auf einmal, daß ich in vieler Leute Schuld sein könnte. Aber ich konnte diese Schuld nie abtragen: weder durch Geld noch durch Arbeit; weder mit Gehen noch mit Bleiben; weder durch neue Schuld noch durch irgendetwas anderes ... Nein, das hätte sie nicht sagen dürfen: diese Freundlichkeit drückte mich schwer. Sie drückte mich um so schwerer, als ich die etwa zehn Jahre ältere Frau sympathisch und anziehend fand – da ging es mir fast wie dem Verwalter!

Nach diesem Vorfall haben wir uns nie mehr gestritten, hatte ich zu ihr kein böses Wort mehr gesagt. Ich möchte fast sagen, daß ich ihr von nun an aus dem Weg ging.

Aber das war nicht immer zu machen. Sie arbeitete ja mit uns auf den Feldern, oft neben mir, in einer Reihe mit andern. Dann wurde das Vesper herausgebracht, und wir setzten uns an den Ackerrand. Es war immer um die gleiche Zeit. Da brauchte man keine Uhr. Doch dazwischen, da wollte man hier und da die Zeit wissen. Und da keiner von uns – weder Mann noch Frau – eine Uhr bei sich hatte und die Kirchen- und Schuluhr zu weit weg war, mußte man schätzen. Und das war fast täglich unser Spiel im Sommer.

Einer oder eine fragte zum Beispiel, rief es laut: Wieviel isch? – Wie spät ist es? Und dann blickten alle zum Himmel, taxierten den Abstand der Sonne zum Horizont und nannten eine Zahl. Am Anfang lagen wir alle ziemlich daneben. Doch am dritten Tag wurden wir schon genauer – und ich dann mit der Zeit am genauesten. Zur Freude Fräulein Holzapfels, die in ihren Schätzungen völlig danebenlag, mir aber offenbar gern – zu gern! – den Vortritt ließ.

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