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4. Richard von St. Victor

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Demgegenüber entwickelt Richard von St. Victor4 eine ausgearbeitete Lehre von den Stufen der Kontemplation, des Schauens oder Erschauens, das auch als „der freie Blick des Geistes auf die Wunder der Weisheit“ bezeichnet wird (Ma I 4). Diese charakteristisch mystische Erfahrung kann die Grundlage von philosophisch-theologischen Aussagen bilden, zumal sie bei Richard mit einem erheblichen spekulativen Interesse verbunden ist, das ihn etwa zu eindringlichen Versuchen führt, das Dasein Gottes zu beweisen, das ihn aber auch dazu bringt, die Rolle der Vernunft den Gegenständen des Glaubens gegenüber so stark wie möglich zu betonen und dafür „nicht nur wahrscheinliche, sondern auch notwendige Gründe beizubringen“ (T I 4).

Was die mystische Weise des Erkennens angeht, so trägt sie bei Richard den Charakter des Aufstiegs; „der Mensch steige … durch sich selbst über sich selber hinaus“: „durch die Erkenntnis seiner selbst zur Erkenntnis Gottes“ (Mi 83). Richard unterscheidet sechs „Arten der Kontemplation“ (Ma I 6), durch die wir „vom Irdischen erhoben und zum Himmlischen emporgetragen werden“ (Ma I 10). Die erste Art der Kontemplation richtet sich auf „Gestalt und Bild“ der „sichtbaren Dinge“; „in all diesem Geschaffenen verehren wir staunend und bestaunen wir verehrend Macht, Weisheit und Großmut des Überseins“. Die zweite Art der Kontemplation besteht darin, daß „wir eines jeden Dinges Ursache, Seinsweise und Tauglichkeit erforschen, beobachten bestaunen“ (Ma I 6) und darin „den Grund der göttlichen Geheimnisse oder auch Ratschlüsse zu erklären und zu preisen wissen“ (Ma II 7). Die dritte Art der Kontemplation führt dazu, daß wir „durch die Ähnlichkeit der sichtbaren Dinge zur Schau der unsichtbaren Dinge emporgetragen werden“. Die vierte Art der Kontemplation ist dasjenige Schauen, das „sich allein auf das geistig Erfaßbare richtet“ (Ma I 6), auf „die Würde der unsichtbaren Wesenheiten“ (Ma III 2). Die fünfte Art der Kontemplation findet statt, „wenn wir von der göttlichen Offenbarung her das erkennen, was wir durch keine menschliche Vernunft völlig zu begreifen … vermögen“: damit ist dasjenige gemeint, „was wir von der Natur der Gottheit … glauben und durch die Autorität der göttlichen Schriften bewährt finden“. Richard versteht diese fünfte Stufe nicht im Sinne eines bloßen Autoritätsglaubens, sondern als eine echte Weise des Schauens; er fügt ausdrücklich hinzu, daß hier der Mensch „durch eine Erhebung des Geistes gewahrt, was die Schranken des menschlichen Fassungsvermögens überschreitet“. Die sechste Art der Kontemplation schließlich geschieht dann, wenn der Geist „von der Einstrahlung des göttlichen Lichtes her dasjenige erkennt und betrachtet, dem alle menschliche Vernunft widerspricht“, etwa das Geheimnis der göttlichen Dreieinigkeit (Ma I 6). Auf dieser obersten Stufe wird die Seele „über sich selbst hinausgerissen und in die Höhe erhoben“ (Ma V 5); „durch das Hinaustreten des Geistes außer sich selbst geführt, erschaut“ der Mensch „das Licht der höchsten Weisheit ohne irgendwelche Verhüllung und ohne das Scheinbild von Gestalten, infolgedessen nicht ‚durch einen Spiegel und in einem Rätsel’, sondern sozusagen in der einfachen Wahrheit“ (Ma IV 11).

Gott der Philosophen

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