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4. Kritische Erwägungen

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Überblickt man die fünf Beweise, die Thomas liefert, im Ganzen, dann zeigt sich, daß sie nicht ohne Problematik sind. Nun kann es nicht die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung sein, sie Schritt für Schritt auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen. Gleichwohl sollen am Ende dieses Paragraphen einige der kritischen Punkte hervorgehoben werden.

Was zunächst den fünften Beweis angeht, so steht er unter der Voraussetzung, daß es nicht nur vereinzelte, teleologisch ablaufende Prozesse in der Natur gibt, sondern daß diese als ganze – wenigstens im Hinblick auf die natürlichen Körper – zielstrebig ist. Damit wird an diesem Punkte das aristotelische Weltbild unverändert zugrunde gelegt. Dieses aber ist in der neuzeitlichen Entwicklung der Naturwissenschaften mit ihrer immer stärkeren mechanistischen Orientierung aufs höchste problematisch geworden. In seiner Fragwürdigkeit eignet es sich nicht mehr dazu, den gesicherten Ausgangspunkt für einen Gottesbeweis zu bilden. Einen Beleg dafür bilden die Schwierigkeiten, in die, wie sich in späteren Zusammenhängen zeigen wird, Kant gerät, wenn er untersucht, inwieweit die Teleologie in der Natur die Grundlage für philosophisch-theologische Aussagen bilden kann.

Wie im fünften Beweis das aristotelische, so, und zwar noch in umfassenderer Weise, wird im vierten das platonische Weltbild zugrunde gelegt. Thomas übernimmt schon im Ausgangspunkt den Gedanken, daß es über der Seinsebene der sinnlich gegebenen und erfahrbaren Wirklichkeit eine andere Ebene des reinen Ansich gibt, von der her jene ihre wesentliche Gestalt erhält und die das Maß für sie bildet. Es ist jedoch zu fragen, ob diese dem augustinischen Denken und dem mittelalterlichen Realismus entsprechende Wirklichkeitsdeutung so ohne weiteres als gültig angenommen werden kann. Von hier aus wird also der vierte Gottesbeweis des Thomas fragwürdig. Diese Problematik erstreckt sich noch weiter, wenn sich zeigen läßt, daß der Gedanke der Teilhabe auch in den andern Gottesbeweisen eine bedeutsame Rolle spielt.3

Allen fünf Gottesbeweisen des Thomas ist eigen, daß sie vom Prinzip der Kausalität Gebrauch machen; denn auch der vierte und der fünfte Beweis reden je in ihrer Weise von Verursachung. Nun ist dies auf der Ebene der sinnlich erfaßbaren Wirklichkeit unproblematisch, weil das Verhältnis von Ursache und Wirkung zu deren Konstituentien gehört. Problematisch wird es erst, wenn Thomas die Geltung des Kausalverhältnisses über die erfahrbare Wirklichkeit hinaus bis zum Übersinnlichen verlängert und diesem eine der endlichen verwandte Weise der Verursachung zuspricht. Hier kann in einem besonnenen Denken das Veto Kants nicht umgangen werden.

In den drei ersten Beweisen ist, wie sich gezeigt hat, das entscheidende Beweismoment die Behauptung der Unmöglichkeit eines unendlichen Rückganges in der Kette der Verursachungen. Die Begründung dafür, die Thomas in der Summa theologiae gibt, ist jedoch nicht überzeugend. Sein Argument lautet: Wenn es kein Erstes gibt, dann auch kein Mittleres und kein Letztes, und dann wird die doch faktisch bestehende Wirklichkeit aufgehoben. Das ist höchstens insofern stichhaltig, als ein Verursachendes in der Tat eine Ursache voraussetzt, bei deren Wegfall es selber hinfällig wird. Aber das rechtfertigt noch keineswegs, die Kette der Verursachungen irgendwo abzubrechen und ein erstes Verursachendes anzunehmen. Mit Recht hat Kant in der vierten Antinomie darauf hingewiesen, daß, so undenkbar ein Rückgang ins Unendliche ist, ebenso auch das Stehenbleiben bei einer ersten, selber nicht verursachten Ursache auf unüberwindliche Schwierigkeiten stößt.

In der „Summa contra gentiles“ versucht Thomas noch eine zweite Begründung für die Unmöglichkeit eines Rückganges ins Unendliche, und zwar im Zusammenhang mit dem ersten Beweis (Sg I 13, 92). Er geht davon aus, daß „ alles, was bewegt wird, teilbar und ein Körper“ ist. Unter dieser Voraussetzung gilt: „Wenn bei den Bewegern und Bewegten ins Unendliche vorgegangen wird, muß alles derart Unendliche Körper sein.“ Der nächste Gedankenschritt besagt: „Jeder Körper …, der einen bewegten bewegt, wird, indem er bewegt, zugleich (selber) bewegt. Also werden all jene Unendlichen zugleich bewegt, indem einer von ihnen bewegt wird.“ Nun bringt Thomas einen neuen Gedanken hinzu: „Einer von ihnen, da er endlich ist, wird in einer endlichen Zeit bewegt.“ Daraus und aus dem Vorigen folgt: „Also werden all jene Unendlichen in einer endlichen Zeit bewegt. Das aber ist unmöglich. Also ist es unmöglich, daß man bei den Bewegern und Bewegten ins Unendliche vorgeht.“ Doch hier entsteht eine Schwierigkeit. Konsequent wäre doch, aus der Gleichzeitigkeit des Bewegers und des Bewegten nicht nur auf eine endliche Zeit zu schließen, sondern die absurde Annahme zu machen, das ganze Bewegungsgeschehen vollziehe sich überhaupt im Augenblick. Die Heranziehung einer endlichen Zeit ist also willkürlich. Sie ist zudem unbegründet. Denn warum sollte nicht auch die Zeit als unendlich gedacht werden können?

Eine letzte Problematik ergibt sich aus dem Schluß der Beweise. Intendiert ist Gott als ein überweltliches Wesen. Gefunden ist ein erstes Bewegendes, eine wirkende Ursache, ein von sich selbst her Notwendiges, ein höchst Wahres, höchst Gutes und höchst Seiendes, ein Einsehendes. Nun könnte man behaupten, all dies halte sich innerhalb der Welt; Thomas selbst macht sich diesen Einwand: „Alles, was in der Welt erscheint, kann durch andere Prinzipien erreicht werden, wenn man unterstellt, daß Gott nicht ist. Denn das, was natürlich ist, wird auf ein Prinzip zurückgeführt, das die Natur ist; das aber, was aus Vorsatz ist, wird auf ein Prinzip zurückgeführt, das die menschliche Vernunft oder der (menschliche) Wille ist. Es gibt also keine Notwendigkeit zu setzen, daß Gott ist“ (I 2, 3 obj. 2).

Thomas beantwortet diesen Einwand in doppelter Weise: einmal für die Naturdinge, sodann für das, was aus menschlichem Vorsatz entsteht. Was zunächst die Naturdinge angeht, so behauptet er: „Da die Natur wegen des festgelegten Zieles von der Leitung irgendeines höheren Handelnden her wirksam ist, ist es notwendig, das, was von Natur geschieht, auch auf Gott als auf eine erste Ursache zurückzuführen.“ Das ist freilich keine Widerlegung jenes Einwandes, sondern nur eine Wiederholung der im Vorigen geschilderten Voraussetzung, daß nämlich die Natur ein festgelegtes Ziel hat und daß um dessentwillen ein einsehendes Wesen angenommen werden muß, das nun auch, weil auf die Natur als ganze bezogen, außerhalb dieser gesetzt werden muß. Was sodann die menschliche Vernunft und den menschlichen Willen betrifft, so argumentiert Thomas: „Was aus Vorsatz geschieht, muß man auf irgendeine höhere Ursache zurückführen, die nicht menschliche Vernunft und (menschlicher) Wille ist. Denn diese sind veränderlich und mangelhaft. Man muß aber alles Bewegliche und versagen Könnende auf irgendein erstes unbewegliches und von sich her notwendiges erstes Prinzip zurückführen“ (I 2, 3 ad 2). Auch hier also wird einfach der erste und dritte Beweis wiederholt. Mit all dem aber löst sich die im Einwand vorgebrachte Frage nach der Möglichkeit einer innerweltlichen Ansetzung des ersten Prinzips nicht, und die Transzendenz Gottes wird nicht bewiesen.

1 Zur Zitierweise vgl. § 26, Anm. 1.

2 Im Text steht „significari“; aus dem Kontext, in dem der gleiche Halbsatzmehrere Male vorkommt, geht aber hervor, daß es richtiger – wie auch bei Anselm – „cogitari“ heißen muß.

3 Einen interessanten Versuch, den Begriff der Teilhabe zum Prinzip aller fünf Gottesbeweise zu machen, unternimmt Norbert Hinske in: Teilhabe und Distanz als Grundvoraussetzung der Gottesbeweise des Thomas von Aquin. In: Philosophisches Jahrbuch der Görresgesellschaft, 75. Jahrgg., 2. Halbband, München 1968.

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