Читать книгу Gott der Philosophen - Wilhelm Weischedel - Страница 105

5. Bonaventura

Оглавление

In ähnlicher Weise wie Richard von St. Victor greift Bonaventura 5 den Gedanken des in Stufen zu durchschreitenden Weges der mystischen Schau auf. Nicht, daß man diesen Denker darum ausschließlich in die Geschichte der mystischen Erfahrung einzureihen hätte. Er weist ja, wie sich im Paragraphen 24 zeigte, der natürlichen Vernunft eine bedeutsame Rolle zu, freilich so, daß sie vom Glauben übergipfelt wird, der seinerseits – im augustinischen Sinne – seine Selbstauslegung durch die Vernunft fordert. Doch dabei hat es nicht sein Bewenden. Über dem Glauben erhebt sich als höhere Möglichkeit „die Gewißheit der inneren Erleuchtung, und diese vollendet den Glauben und macht ihn vollkommen“ (Jo prooem. 10, 2 resp.). „Die Ordnung ist nämlich, daß man bei der Festigkeit des Glaubens beginne und durch die Klarheit der Vernunft fortschreite, damit man zur Lieblichkeit der Kontemplation gelange“ (Se IV 15).

Bonaventura entwirft, nicht anders als Richard von St. Victor, einen mystischen Weg. Er kennt „sechs Stufen des Aufstiegs zu Gott“ (It 1, 6): „sechs Erhebungen der Erleuchtungen“, die auch als „ekstatische Entrückungen der christlichen Weisheit“ oder als „göttliche Schauungen, die zu geistigen Entrückungen führen“ bezeichnet werden. Sie „beginnen bei den Geschöpfen und führen bis hin zu Gott“ (It prol. 3).

Auf den beiden ersten Stufen richtet sich die Seele auf die Welt der sinnlich wahrnehmbaren Dinge, auf das, „was körperlich, zeitlich und außer uns ist“ (It 1, 2). Dies wird auf der ersten Stufe der Kontemplation „wie ein Spiegel“ betrachtet, „durch den wir zu Gott, dem höchsten Werkmeister, gelangen“; denn „die höchste Macht, Weisheit und Güte des Schöpfers leuchtet wider in den geschaffenen Dingen“ (It 1, 9f.). Auf der zweiten Stufe „gelingt es, in Ansehung des Spiegels der sinnlich wahrnehmbaren Dinge Gott nicht nur durch diese wie durch Spuren, sondern auch in diesen zu schauen, insoweit er durch Sein, Macht und Anwesenheit in ihnen ist“ (It 2, 1). Gemeinsam ist den beiden ersten Stufen, „daß alle Kreaturen dieser sinnlich wahrnehmbaren Welt den Geist des Schauenden und Weisen zu dem ewigen Gott führen, demgemäß, daß sie Schatten, Widerhall und Bilder … jenes mächtigsten, weisesten und besten ersten Ursprungs … und von Gott gegebene Zeichen“ sind (It 2, 11).

Die doppelte Möglichkeit, Gott durch einen Spiegel und in einem Spiegel zu schauen, findet sich auch auf der dritten und vierten Stufe der Kontemplation wieder. Den Ausgangspunkt bildet hier nicht die Sinnenwelt, sondern der Geist des Menschen, in dem nicht nur eine Spur Gottes sichtbar wird, sondern „das göttliche Bild widerleuchtet“ (It 3, 1). Auf der dritten Stufe wird die von Augustinus inaugurierte Erkenntnis durch Analogie bedeutsam: daß etwa „Gedächtnis, Verstand und Wille“ auf die Dreieinigkeit hinweisen; „während also der Geist sich selber betrachtet, erhebt er sich durch sich selbst wie durch einen Spiegel zum Anschauen der seligen Dreieinigkeit“ (It 3, 5); denn „die Seele“ ist „durch die Dreieinigkeit ihrer Vermögen“ „ein Bild Gottes“ (It 3, 6). Auf der vierten Stufe „gelingt es, den ersten Ursprung nicht nur im Hinüberschreiten über uns selbst, sondern auch in uns anzuschauen“ (It 4, 1), sofern nämlich „unser Geist zu seinem Inneren zurückschreitet, damit er eben dort Gott schaue“ (It 4, 6). Das wird möglich, wenn die Seele „durch Glauben, Hoffnung und Liebe“, also „durch die drei theologischen Tugenden“ „gereinigt, erleuchtet und vervollkommnet“ und so „zu den geistlichen Entrückungen vorbereitet“ wird (It 4, 2f.).

Mit der fünften und sechsten Stufe wird das Gebiet des mystischen Schauens im eigentlichen Sinne erreicht; der Mensch gelangt zu „zwei Weisen oder Stufen, das Unsichtbare und Ewige Gottes zu schauen“. Denn hier „gelingt es, Gott nicht nur außer uns und in uns, sondern auch über uns zu schauen“ (It 5, 1). Auf der fünften Stufe geht es darum, „das Unsichtbare Gottes im Hinblick auf die Einheit des Wesens zu schauen“ (It 5, 3). Ausgehend vom Gedanken des Seins überhaupt, gelangt der Geist dazu, Gott als „das reine Sein, das Sein schlechthin, das absolute Sein“ zu erfassen (It 5, 5); dieses göttliche „Sein selbst ist das erste und das jüngste, ist das ewige und das gegenwärtigste, ist das einfachste und das größte, ist das wirklichste und das unwandelbarste, ist das vollkommenste und das unermeßliche, ist das höchst eine und dennoch das allseitige“ (It 5, 7). Auf der sechsten Stufe schließlich kommt es zur „Schau der seligsten Dreieinigkeit“, ausgehend vom Gedanken des „Guten selbst“, zu dem „das Ausströmen“ gehört, nämlich „eine wirkliche und wesensgleiche Hervorbringung“ (It 6, 1f.), so daß „durch die höchste Mitteilsamkeit des Guten die Dreieinigkeit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes notwendig ist“. Hier endet freilich die Möglichkeit der Einsicht; es ist unmöglich, „den Unbegreiflichen zu begreifen“, hier bleibt nur, daß der „Geist durch Staunen zur erstaunlichen Kontemplation emporsteige“ (It 6, 3).

Mit der sechsten Stufe ist „die Vollendung der Erleuchtung des Geistes“ erreicht. Nun bleibt nur, daß „der Scharfsinn des menschlichen Geistes durch die Entrückung des Geistes zur Ruhe komme“ (It 6, 7). Nun „müssen alle geistigen Tätigkeiten zurückgelassen werden, und das Höchste des Gemütes muß ganz in Gott versetzt und umgebildet werden. Das aber ist etwas Mystisches und höchst Verborgenes“ (It 7, 4). Das letzte Wort ist, daß „wir hineinschreiten in das Dunkel“ (It 7, 6), in eine „unzugängliche Finsternis, die gleichwohl erleuchtet“ (H XX 11).

Bonaventura hat seine Lehre von den Stufen des Aufstiegs – abgesehen von den Andeutungen über das Sein Gottes und die Dreieinigkeit – nicht zu einer ausgeführten Philosophischen Theologie entwickelt. Aber doch ist sie für das Problem der Möglichkeit einer Philosophischen Theologie bedeutsam, sofern sie eine bestimmte Erfahrung als die unabdingbare Voraussetzung dafür eigens hervorhebt. Denn jener Stufengang wird von Bonaventura ausdrücklich als Weg der Erfahrung bezeichnet. Das Aufgehen in Gott ist etwas, das „niemand weiß, außer der es erfährt“ (H II 29). So wird denn auch die Weisheit im eigentlichen Sinne als „erfahrungsmäßige Erkenntnis Gottes“ bezeichnet (S 35, 1, 1 c). Die Frage ist freilich, ob sich die mystische Erfahrung als ein tragfähiges Fundament einer Philosophischen Theologie ausweisen läßt.

1 Die Zitate aus Johannes Scotus Eriugena sind, soweit nichts anderes vermerkt, der Schrift „De divisione naturae“ entnommen. Die Schrift „De divina praedestinatione“ wird durch Voranstellung des Sigillums „P“ gekennzeichnet. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

2 Zur Zitierweise vgl. § 23, Anm. 1.

3 Die Zitate aus Hugo von St. Victor sind der Schrift „De sacramentis christianae fidei“ entnommen. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

4 Die Werke Richards von St. Victor werden unter Verwendung der folgenden Siglen zitiert: Ma = De gratia contemplationis seu Beniamin maior; Mi = De praeparatione animi ad contemplationen seu Beniamin minor; T = De Trinitate. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

5 Zur Zitierweise vgl. § 24, Anm. 1.

Gott der Philosophen

Подняться наверх