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§ 31. Nicolaus von Cues 1. Das Wesen Gottes

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Die Schwierigkeit, einen angemessenen Begriff von Gott zu finden, wie sie das Ende des Mittelalters durchherrscht, bestimmt, im Verein mit dem Weiterwirken der Gedanken des Meisters Eckhart, auch das Denken des Philosophen, mit dem das Mittelalter endet und die Neuzeit beginnt: des Nicolaus von Cues 1. Unablässig stellt er sich die eine und einzige Frage, was Gott ist. Immer wieder aber erfährt er die Vergeblichkeit seines Bemühens. Mag auch für Augenblicke etwas von Gottes Wesen begreiflich zu werden scheinen, es zieht sich sofort wieder ins Unbegreifliche zurück.

Das geschieht etwa, wenn Nicolaus Gott als „die absolute Unendlichkeit“ zu fassen versucht (VD 146). In der Bezeichnung als „absolut“ liegt: Der Begriff der Unendlichkeit soll in seinem vollen und uneingeschränkten Sinne verstanden werden. Demgemäß kann nicht neben ihr noch eine selbständige Sphäre der Endlichkeit bestehen; dann wäre ja die Unendlichkeit selber begrenzt und verendlicht. Nicolaus betont daher ausdrücklich: „Für die Unendlichkeit … kann es nichts Gegensätzliches geben.“ „Nichts ist außer ihr. Denn die absolute Unendlichkeit schließt alles ein und umgibt alles“ (VD 150). Doch nun zeigt sich: Eben in dieser ihrer Gegensatzlosigkeit ist die Unendlichkeit „unzugänglich, unbegreiflich, unnennbar … und unsichtbar“ (VD 146).

Über allen Gegensatz erhaben ist Gott zugleich aller Vielfalt entrückt. Daher spricht Nicolaus ihm „die absolute Einheit“ zu (D 12). Auch hier wieder gilt, daß der Begriff der Einheit nicht als Gegensatzbegriff zur endlichen Vielheit verstanden werden darf. Nicolaus betont daher: „Jene göttliche Einheit … scheint allem voranzugehen und alles einzuschließen“ (C 18). Und doch ist auch der Begriff des Einen nicht zureichend, um das Wesen Gottes zu bezeichnen. „Gott … ist der Ursprung über dem Einen“ (F 57); er ist aber „unnennbar, unsagbar und unaussprechlich“, weshalb „ihm auch das Eine nicht eigentlich zukommt“ (Pr 240).

Als Unendlichkeit und als Einheit steht Gott über aller Gegensätzlichkeit, wie sie die hiesige Wirklichkeit bestimmt. Von daher versteht ihn Nicolaus in einem weiteren Denkversuch als den „Zusammenfall des Entgegengesetzten“ (A 6). Auch hier ist Nicolaus sorgsam darauf bedacht, daß Gott auf keine Weise mit dem endlich Wirklichen vermischt werde. Gott wird „vor dem Unterschied des widersprüchlich Entgegengesetzten“ gefunden (V 60). Doch auch mit diesem Gottesbegriff kann sich Nicolaus nicht zufriedengeben. Er betont, „daß Gott sogar noch über dem Zusammenfall des Widersprüchlichen steht“ (A 15).

So versucht Nicolaus, ihn als das zu verstehen, „über das hinaus nichts größer sein kann“ (D 7). „Das absolute Sein kann nichts anderes sein als das absolut Größte“ (D 14). Damit wird Gott aller Relation zu endlichen Größen enthoben. Denn zum Begrenzten gehört es, „vermehrt oder vermindert werden zu können“ (Pr 214). Gott dagegen ist das absolut Größte, für das es kein Mehr gibt. Eben darum kann es auch keinen Gegensatz zwischen dem absolut Größten und der Welt der endlichen Größen geben; jenes ist das, „in welchem alles ist, weil es das Größte ist“ (D 7).

Doch so als das absolut Größte verstanden, stünde Gott noch in einem Gegensatzverhältnis, nämlich zum absolut Kleinsten. Nicolaus muß daher konsequenterweise, wenn auch in paradoxem Ausdruck, behaupten, daß Gott ebensosehr das Größte wie das Kleinste ist. „Da ihm nichts entgegengesetzt wird, fällt mit ihm zugleich das Kleinste zusammen“ (D 7). Gott ist „gleicherweise die absolut größte und kleinste Größe“ (P 278).

Der Begriff Gottes als des Größten ist jedoch noch zu statisch gedacht. Das ist vermutlich der Grund, weshalb Nicolaus nach einer neuen Bezeichnung für das Wesen Gottes sucht. In ihr muß das Moment der unendlichen Schöpferkraft enthalten sein: das Element des posse, des Könnens. Aber dieses göttliche Können darf nichts von bloßer Möglichkeit enthalten; es muß ineins reines Sein sein; denn Gott „ist vor dem Unterschied von Wirklichkeit und Möglichkeit“ (V 136). Dem sucht Nicolaus dadurch gerecht zu werden, daß er – in einer gewagten Wortfügung – Gott als das „Possest“, das „Können-Ist“, bezeichnet (P 284). „Gott allein ist das Können-Ist, weil er in Wirklichkeit ist, was er sein kann“ (V 56). Als Können-Ist befaßt Gott alle Wirklichkeit in sich; denn das Wirkliche „ist nicht in Wirklichkeit, außer es ahme die Wirklichkeit des Können-Ist nach“ (V 58).

Diese Beziehung des Können-Ist auf das endlich Werdende scheint jedoch für Nicolaus eine Gefahr mit sich zu bringen: daß nämlich das göttliche Können am Ende doch mit dem welthaften Können auf eine Stufe gestellt werde. Das mag der Grund sein, weshalb er zwei Jahre nach der Schrift „De possest“ eine andere mit dem Titel „Directio speculantis seu de non aliud“ verfaßt. Im Begriff des nicht Anderen ist gegenüber dem positiven Moment des Könnens das negative Moment im Verhältnis Gottes zur endlichen Wirklichkeit betont. Das aber scheint Nicolaus eher dem göttlichen Wesen zu entsprechen. Daher sagt er von dem nicht Anderen, daß es „den unnennbaren Namen Gottes in größerer Nähe darstellt, so daß er in ihm wie in einem kostbaren Rätsel den Suchenden widerstrahlt“ (N 6).

Weshalb Gott das nicht Andere genannt wird, geht aus der Gegenüberstellung zur endlichen Wirklichkeit hervor. Jedes endliche Seiende hat ein Anderes sich gegenüber und ist so selbst das Andere dieses Anderen. Das muß für Gott verneint werden; Nicolaus sagt ausdrücklich, „daß Gott nicht ein Anderes vom Anderen ist“ (V 64). Aber der Begriff des nicht Anderen ist nicht abstrakt zu verstehen. Eben als das nicht Andere ist Gott der „Ursprung von Sein und Erkennen“. Denn daß „alles, was nun einmal ist, nichts Anderes ist als es selbst, das … hat es … vom ‚nicht Anderen’ “ (N 6f.).

Wiederum aber will es Nicolaus offenbar scheinen, als werde mit der Bestimmung Gottes als des nicht Anderen das statische Element im Wesen Gottes einseitig betont. Daher fällt nun wieder das Gewicht auf das dynamische Moment, auf das Können in Gott. Aber nun nicht nur, wie im Können-Ist, in der Hinsicht, daß Gott Können und Sein zugleich ist. Entscheidend wird vielmehr jetzt für Nicolaus der Begriff des reinen Könnens. Gott ist „das Können selbst“ (AT 364). Nicolaus fügt hinzu: „Ich glaube nicht, daß ihm ein anderer klarerer, wahrerer oder leichter zugänglicher Name gegeben werden kann“ (AT 366). Damit hat er, wie er meint, die äußerste Möglichkeit dessen erreicht, was über Gott ausgesagt werden kann. Wieder aber gilt das gleiche wie über das Können-Ist und das nicht Andere: „Alles ist nichts als Erscheinung des Könnens selbst“ (AT 380).

Von dem äußersten Gipfel der Spekulation, den Nicolaus mit dem Begriff Gottes als des Könnens selbst erreicht hat, wendet er sich der Frage zu, ob über das Wesen Gottes nicht doch noch mehr ausgesagt werden kann. Hier nun stößt er auf den Gedanken der Dreieinigkeit. Dieser wird aus dem Begriff der Einheit entwickelt. Einheit ist immer auch Gleichheit mit sich selber, und Einheit und Gleichheit sind miteinander verknüpft. So stellt sich das trinitarische Wesen Gottes als „Einheit, Gleichheit und Verknüpfung“ dar (D 16). In anderen Formulierungen wird Gott auch als „Einheit, Dasheit und Selbigkeit“ (PF 25), als „Ungeteiltheit, Unterschiedenheit und Verknüpfung“ (D 21), als „Liebender, Liebenswerter und Verknüpfung“ (VD 170) gefaßt.

Nicolaus versucht, das trinitarische Verhältnis in seinerinneren Dynamik noch genauer auszulegen. Er betont, „daß von der Einheit die Gleichheit der Einheit gezeugt wird, die Verknüpfung aber von der Einheit und von der Gleichheit der Einheit ausgeht“ (D 17). Damit vollzieht sich eine Annäherung an den christlichen Trinitätsbegriff, weshalb Nicolaus in diesem Zusammenhang auch von Vater, Sohn und Heiligem Geist sprechen kann (vgl. D 50f.). Und doch macht er eine Einschränkung. Er meint, daß diejenigen, die diese Namen verwenden, „weniger genau“ an die Sache herankommen als die, „die die Dreieinigkeit Einheit, Gleichheit und Verknüpfung nennen“ (N 13). Denn die theologischen Bezeichnungen werden „wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit jenem Hinfälligen“, nämlich mit den endlichen Verhältnissen, gewählt (D 19). Die Einschränkung erstreckt sich aber auch auf den trinitarischen Gottesbegriff überhaupt. Nicolaus betont, „in Wahrheit komme sowohl unser Name wie unser Begriff der Dreieinigkeit … dem Größten keineswegs zu, sondern bleibe hinter jener größten und unbegreiflichen Wahrheit um ein Unendliches zurück“ (D 41). Das Ergebnis ist, daß Begriffe wie Können-Ist, nicht Anderes und Können selbst dem unbegreiflichen Geheimnis, das für Nicolaus am Ende all seiner Bemühungen das Wesen Gottes bleibt, eher nahekommen als die trinitarischen Bezeichnungen.

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