Читать книгу Gott der Philosophen - Wilhelm Weischedel - Страница 99

§ 28. Vernunft und Glaube im späteren Mittelalter 1. Duns Scotus

Оглавление

Das ausgewogene Verhältnis, in das Thomas Philosophie und Theologie zu bringen versteht, hat nicht lange Bestand. Gegen Ende des Mittelalters wird der Glaube in wachsendem Maße der Vernunft mächtig; deren Zuständigkeit im Bereich der göttlichen Dinge schrumpft immer mehr zusammen.

Das macht sich schon bei Johannes Duns Scotus 1 bemerkbar. Zunächst freilich scheint bei ihm eher das Gegenteil der Fall zu sein. Er macht sich den Zweifel an der Notwendigkeit einer besonderen Erkenntnis durch Offenbarung zum ausdrücklichen Problem. An betonter Stelle, nämlich in der Quaestio I des Prologs zum Opus Oxoniense, fragt er, „ob es für den Menschen in diesem seinem Zustand erforderlich sei, durch irgendeine besondere Lehre auf übernatürliche Weise erleuchtet zu werden, durch eine solche nämlich, zu der er nicht durch das natürliche Licht der Vernunft gelangen könne“ (O prol. 1, 2).

Obgleich Duns Scotus so die Problematik schärfer hervortreten läßt als seine Vorgänger, drückt sich doch in der Lösung, die er findet, eine stärkere Einschränkung der natürlichen Erkenntnis aus. Daß diese freilich in der Frage nach Gott zu bestimmten Einsichten gelangen kann, ist ihm ebenso gewiß wie Thomas von Aquino. Aber der Bereich dessen, was die natürliche Vernunft auf diesem Felde leisten kann, ist bei Duns Scotus beträchtlich enger als bei Thomas. Nicht nur ist die Dreieinigkeit „ein für uns übernatürlicher Gegenstand“ (O prol. 1, 3, 20). Auch etwa, daß Gott „allmächtig, unermeßlich, allgegenwärtig“ ist, oder daß er „für alle Geschöpfe, insbesondere für die geistigen, als Vorsehung wirkt“, gehört nicht zu den „metaphysischen Aussagen“, die „durch die natürliche Vernunft … erschlossen werden“; das sind vielmehr „credibilia“, Gegenstände des Glaubens (P 4 c 10).

Dem entspricht auch die Art, wie Duns Scotus den Begriff der philosophischen Erkenntnis bestimmt. Die Metaphysik findet nicht, wie bei Thomas, ihre Krönung in der Frage nach Gott; sie „handelt nicht von Gott als ihrem ersten Gegenstande“ (O prol. 3, 7, 80); sie ist also nicht primär Philosophische Theologie. Duns Scotus betont vielmehr ausdrücklich, daß ihr zentraler Gegenstand die Frage nach dem Sein ist: „Der erste Gegenstand der Metaphysik ist das Seiende, sofern es Seiendes ist“ (M II 3, 21).

Duns Scotus bleibt allerdings nicht bei dieser eindeutigen Abgrenzung stehen. Das Verhältnis von Philosophie und Theologie ist bei ihm, dem „Doctor Subtilis“, äußerst differenziert. In gewisser Weise rührt nämlich auch die Metaphysik an das Gottesproblem. Indem sie die Frage nach dem Sein stellt, wird sie zu der Suche nach einem Wesen weitergetrieben, das in vollkommener Weise den Begriff des Seins erfüllt; das aber ist Gott; denn „ das Sein, das der erste natürliche Gegenstand der Vernunft ist, kommt in Wahrheit Gott zu“ (Q XIV 11). Gleichwohl kann die Metaphysik nicht expressis verbis von Gott reden. Sie kann das, was Gott ist, nicht als Gott, sondern nur als „erstes Seiendes“ fassen (M VI 4, 1). Soll mehr als dies darüber ausgesagt werden, so wird das zur Aufgabe der Theologie; denn „Gott ist der erste Gegenstand der Theologie“ (O prol. 3, 3, 61).

Die Theologie freilich – und das kompliziert die Problematik weiterhin – kann ihrerseits ein Stück weit das, was sie über Gott aufgrund der Offenbarung weiß, auch durch die natürliche Vernunft begreifen. Jenes „erste Seiende“, auf das die Metaphysik zuletzt stößt, wird innerhalb der Theologie als „das unendliche Seiende“ verstanden (O prol. 3, 4, 70). Duns Scotus ist offenbar der Auffassung, daß es als solches durch eine im Rahmen der Theologie wirksame natürliche Vernunft eingesehen werden kann. Die Sachlage ist jedoch aufgrund der Texte nicht ganz eindeutig. Doch Étienne Gilson, einer der besten Kenner des Duns Scotus, weist darauf hin, „daß dieser Begriff (sc. des unendlichen Seienden) ohne Zweifel der rein natürlichen ratio zugänglich ist.“ widrigenfalls „es auch keine rationalen Beweise für das Dasein Gottes gäbe“.2 Mag dem nun sein, wie ihm wolle: jedenfalls reicht die natürliche Vernunft in keiner Weise weiter als bis zu dem Begriff des unendlichen Seienden.

Diese Schwäche des menschlichen Erkennens nun beruht für Duns Scotus auf einer doppelten Ursache: einmal auf der Tatsache der Verderbtheit der Vernunft durch die Erbsünde, denn „natürlich“ bedeutet „gemäß dem Stande der gefallenen Natur“ (O prol. 1, 2, 11); zum andern auf dem Gedanken der unberechenbaren Freiheit Gottes. Beides aber sind keine philosophischen, sondern spezifisch theologische Behauptungen. Das spricht Duns Scotus auch ausdrücklich aus. Was die Erbsünde betreffe, so sagt er: „Die Philosophen … halten sich an die Vollkommenheit der Natur …; die Theologen aber erkennen den Mangel der Natur“ (O prol. 1, 1, 5). In bezug auf die göttliche Freiheit sodann gilt: „Darin irrten die Philosophen, daß sie unterstellten, alles, was unmittelbar von Gott kommt, sei von ihm her notwendig“ (O prol. 1, 2, 8).

Die Unzulänglichkeit der Vernunft nun führt dazu, daß – was Duns Scotus noch stärker betont als Thomas – eine übernatürliche Erkenntnis für den Menschen notwendig ist. Er beantwortet daher die Leitfrage der Quaestio I des Prologs zum Opus Oxoniense folgendermaßen: „Der Mensch kann vom Natürlichen her sein Ziel nicht deutlich wissen; daher ist es notwendig, daß ihm davon irgendeine übernatürliche Erkenntnis überliefert werde“ (O prol. 1, 2, 7).

Dieser eigentlichen Erkenntnis Gottes gegenüber weist Duns Scotus aufs eindringlichste auf das Ungenügen des durch die natürliche Vernunft erreichbaren Gottesbegriffes hin: „Man muß sagen, daß der Begriff von Gott, der kraft der Kreatur gebildet werden kann, unvollkommen ist“ (O prol. 1, 2, 15). Eben darin wird deutlich, daß die Theologie des Glaubens über die Philosophische Theologie zu triumphieren beginnt. Dafür gibt es schließlich kein charakteristischeres Zeugnis, als daß Duns Scotus sagen kann: „unser Philosoph, nämlich Paulus“ (R IV 49, 2, 11).

Gott der Philosophen

Подняться наверх