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2. Das Wesen Gottes

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Von dieser mystischen Grunderfahrung aus kann sich entfalten, was bei Eckhart Philosophische Theologie genannt werden kann: die Spekulation über Gott. Von diesem wird zunächst gesagt, daß er das Sein ist: „Esse est deus“ (L I 156); „dem, der im Hinblick auf Gott fragt, was oder wer er ist, wird geantwortet: (er ist) Sein“ (L I 169). Und zwar ist „Gott allein im eigentlichen Sinne seiend“ (L I 167); er ist „das Sein schlechthin (esse simpliciter)“ (L III 36), „das Seiende oder das Sein im absoluten Sinne (ens aut esse absolute)“ (L III 43).

Daß Gott das Sein schlechthin ist, bedeutet, daß er der „Ursprung aller Dinge“ (D I 409) ist, alles dessen also, was als seiend bezeichnet werden kann. Eckhart geht aber noch weiter. Gott ist nicht nur der Schöpfer des Seienden, sondern zugleich auch das Sein im Seienden; denn „alle geschaffenen Dinge … sind an sich selber nichts“ (D I 248); sie sind nur von Gnaden des Seins Gottes. Dieser ist „aller Naturen Natur … er ist das Licht der Lichter, er ist das Leben der Lebenden, er ist das Wesen der Wesenden, er ist die Rede der Redenden“ (P 540). Daher gilt, „daß Gott von allen Dingen ungeschieden ist, da er ihnen inniger ist als sie sich selber sind … Gottes Gottheit liegt darin, daß er von allen Dingen ungeschieden ist“ (P 163); „alle Dinge … sind Gott selber“ (D I 199). So wird denn auch die ganze Wirklichkeit als auf Gott hin orientiert verstanden. „Alle Kreaturen sind ein Sprechen Gottes … Alle Kreaturen möchten Gott nachsprechen in allen ihren Werken … Sie haben alle ein Rufen, wieder dahinein zu kommen, daraus sie geflossen sind. All ihr Leben und ihr Wesen, das ist ein Rufen und ein Eilen wieder zu dem, von dem sie ausgegangen sind“ (P 92). Das trifft in besonderer Weise auf den Menschen zu. „Gottes Wesen ist mein Leben. Ist mein Leben Gottes Wesen, so muß das Sein Gottes meines sein und Gottes Wesenheit meine Wesenheit“ (D I 106); „der Mensch in Gott ist Gott“ (L IV 28).

Das Sein freilich, das Gott selbst zugesprochen wird, darf nicht als ein Vorhandensein im Sinne der geschaffenen Dinge verstanden werden. Eckhart sagt daher ausdrücklich: „Gott kommt nicht das Sein zu, noch ist er ein Seiendes, sondern er ist etwas Höheres als das Seiende“ (L V 47). Die wahre Seinsweise Gottes ist das intelligere, das Einsehen. Zwar kann, ganz im Sinne der Tradition, Eckhart Einsicht und Sein auf die gleiche Stufe stellen: „Gott ist sein Einsehen selber und auch sein Sein“ (L V 37). Aber dann weist er doch Gott in vorzüglicher Weise die Einsicht zu, sofern nämlich „das Einsehen höher ist als das Sein“ (L V 42); „nicht …, weil er ist, deshalb sieht er ein, sondern weil er einsieht, deshalb ist er, so, daß Gott Einsicht und Einsehen ist und das Einsehen selber das Fundament seines Seins ist“ (L V 40); „was immer in Gott ist, ist über das Sein selbst hinaus und ist ganz Einsehen“ (L V 44). Der Begriff des Seins wird also im Hinblick auf Gott ganz in den Begriff des Einsehens verschlungen; „in Gott ist das Sein selbst das Einsehen selbst“ (L V 40); „Gott ist reine Einsicht, deren ganzes Sein das Einsehen selbst ist“ (L II 314). Schließlich spricht Eckhart die ausschließliche Geistigkeit Gottes in schroffster Form und unter Abweisung jedes Seinsbegriffes aus: „Gott … ist Einsicht und Einsehen und nicht seiend oder Sein“ (L V 41).

Doch auch diese Bestimmung des Seins Gottes als der Einsicht wird der Erfahrung nicht gerecht, die der Mensch in der Abgeschiedenheit macht. Aus dieser Erfahrung erwächst vielmehr ein Denken, das noch hinter den als Sein und als Einsicht verstandenen Gott zurückdringt und begreift: „Gott ist weder Wesen noch Vernunft“ (P 282). Es stößt auf das Innerste der Gottheit, auf „Gott …, wie er in sich selber ist“ (D I 275), auf den „Grund der Gottheit“ (D I 247).

Das besagt zugleich: die Erfahrung der Abgeschiedenheit geht auch hinter den sich als Schöpfer und als Dreieinigkeit offenbarenden Gott zurück. Das „ Fünklein der Seele … will nichts als Gott, unverhüllt, wie er in sich selber ist. Ihm genügt weder am Vater noch am Sohne noch am Heiligen Geist, noch an den drei Personen, sofern jede in ihrer Eigenheit besteht“; es genügt ihm auch nicht „an der Einheit der fruchtbaren Art göttlicher Natur“, also an Gott als dem Schöpfer; ja, es genügt ihm nicht einmal „an dem einfältigen, stillstehenden göttlichen Wesen“; es will vielmehr „wissen, wo dies Wesen herkomme, es will in den einfältigen Grund, in die stille Wüste“, die „eine einfältige Stille“ ist (P 193), zu „Gott … in seinem eigenen Grunde“ (D I 171), „in seiner grundlosen Tiefe“ (D I 246), „in dem Meer seiner Grundlosigkeit“ (D I 123).

Die Philosophische Theologie Eckharts gelangt so dahin, daß sie – ganz im Sinne der negativen Theologie des Dionysios Areopagita, auf den sich Eckhart häufig beruft – von der „Unerkanntheit der verborgenen Gottheit“ (D I 253), von der „verborgenen Finsternis der ewigen Verborgenheit“ (D I 382) redet. „Gott ist namenlos, denn von ihm kann niemand etwas sagen noch verstehen“ (P 318); „was man von ihm nicht sagt, das ist er eigentlicher, als was man sagt, daß er es sei“ (D I 330). Ja, das Denken, das das Äußerste erfassen will, muß auch noch über den Begriff Gottes hinausdringen. Denn Gott ist „ein überschwebendes Wesen und eine überwesende Nichtheit“ (P 319).

Die wesentliche Weise, Gott zu erkennen, besteht demgemäß paradoxerweise darin, „daß wir Gottes ledig werden“ (P 281). „Wenn du Gott liebst, wie er Gott ist, wie er Geist ist, wie er Person ist, wie er Bild ist, – es muß alles weg … Du sollst ihn lieben, wie er ist: ein Nichtgott, ein Nichtgeist, eine Nichtperson, ein Nichtbild; mehr noch: wie er ein lauteres, reines, klares Eines ist, gesondert von aller Zweiheit, und in diesem Einen sollen wir ewiglich versinken von Nichts zu Nichts“ (P 320). Hier ist die Abgeschiedenheit in ihre äußerste Möglichkeit gelangt; denn „das Höchste und das Nächste, was der Mensch lassen kann, das ist, daß er Gott lasse wegen Gott“ (D I 196).

1 Die Schriften Meister Eckharts werden, soweit darin erschienen, zitiert nach der Ausgabe: Die deutschen und lateinischen Werke, hrsg. im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stuttgart/Berlin 1936ff., und zwar die deutschen Werke, hrsg. von Joseph Quint, als „D“ und die lateinischen Werke, hrsg. von Joseph Koch, als „L“. Daneben wird die Ausgabe von Franz Pfeiffer benutzt: Meister Eckhart, Göttingen 31914, zitiert mit dem Sigillum „P“. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

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