Читать книгу Friedrich Melchior Grimm, ein Aufklärer aus Regensburg - Winfried Wolf - Страница 15
Das Autorengespann Denis Diderot und Louise d’Épinay
ОглавлениеIn der Septemberausgabe der Correspondance von 1771 erschien von Louise d’Épinay die Dialogkomödie „L’Amitié de deux jolies femmes“359. In der Januarausgabe des folgenden Jahres präsentierte sie den Lesern der Correspondance die Komödie „Un Rève de Mademoiselle Clairon“. Aufmerksame Leser konnten in dieser Fiktion das Echo auf den einen Monat zuvor geschriebenen Kommentar von Louise d’Épinay zum ersten Bühnenauftritt des jungen Schauspielers Ponteuil erkennen.360 Ponteuil, ein Schüler des Herrn Préville, debütierte in dem Theaterstück „Rhadamiste et Zénobie“ von Crébillon. Er spielte mit Erfolg die Rolle des Rhadamiste und ließ dabei auch einiges an Talent erkennen. Im „Traum von Fräulein Clairon“ hat sich Louise d’Épinay dann in dramatisierter Form mit dem Thema „Was macht einen guten Schauspieler aus?“ beschäftigt. Es ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig, darauf einzugehen, ob ihr mit dem „Traum“ und dem „Dialog der zwei hübschen Frauen“ schriftstellerische Meisterstücke gelungen sind, es ist wichtig zu erkennen, dass Louise d’Épinay in der Zeit von Grimms Abwesenheit sehr viel dazu beigetragen hat, die Correspondance littéraire mit eigenen Beiträgen am Leben zu erhalten. Ihre Arbeiten trugen nicht nur dazu bei, die Blätter mit Material zu füllen, sie lieferte durchaus anspruchsvolle Literaturbeiträge. Und - sie musste das Schiksal aller schreibenden Frauen des 18. Jahrhunderts erleiden, sie wurde lange unter Wert und zunächst ohne Namensnennung verkauft. Das geht schon aus Diderots Ankündigung ihres Beitrags „De l’Amitié de deux jolies femmes“ hervor: „Dieses kleine Werk hier stammt von einer hochtalentierten Frau, die mit einigen, ihr innig verbundenen Menschen befreundet ist, und die der Lektüre, dem Studium und auch dem Verfassen einiger empfindsamer Werke Zeit schenkt, die sie sich von häuslichen Arbeiten abspart. Den Dialog überließ sie mir nur unter der Bedingung, dass ich ihren Namen nicht nennen würde.“361 Frau von Épinay war eine gelehrige Schülerin Diderots und es ist fast ein wenig schade, dass der große Diderot keinen gelehrten Dialog mit ihr zu Fragen des Theaters, der Schauspielkunst oder der Erziehung verfasst hat. Im realen Gespräch der Editoren Diderot und Épinay hätte er dafür vielleicht eine gute Vorlage finden können.
In Louise d’Épinays „Traum“ hört man förmlich Diderot sprechen, der in seinem „Das Paradox über den Schauspieler“, wenige Monate vor d’Épinays Beitrag zu Papier gebracht, die Ambivalenz von Schein und Sein zum Thema gemacht hatte. Das Paradox des Schauspielers besteht nach Diderot u. a. darin, dass der Eindruck von Spontanität und Authentizität erst durch kaltblütige Strategie entsteht. Wie eine Maschine muss der Schauspieler die natürlichen Anzeichen einer Gemütsbewegung reproduzieren, und das ohne innere persönliche Beteiligung, wenn er das Publikum bewegen will. Nicht Empfindsamkeit ist gefordert, sondern Scharfblick: „Ich verlange von ihm (dem Schauspieler) sehr viel Urteilskraft; für mich muss dieser Mensch ein kühler und ruhiger Beobachter sein; ich verlange daher von ihm Scharfblick, nicht aber Empfindsamkeit, verlange die Kunst, alles nachzuahmen, oder – was auf dasselbe hinausläuft – eine gleiche Befähigung für alle möglichen Charaktere und Rollen.“362 In diesem Diskurszusammenhang ist auch d’Épinays „Traum von Fräulein Clairon“ zu sehen. Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein Gespräch zwischen zwei jungen Männern und der bekannten Schauspielerin Mademoiselle Clairon.363 Und so beginnt das Stück: „Eines Abends saß ich allein zuhause am Feuer. Ich begann damit, ein Stück für Cembalo zu komponieren. Ich schrieb es nieder; ich hielt es für sehr gut gelungen. Ich spielte es, und es erschien mir verachtenswert. Ich setzte mich wieder in meinen Sessel und nickte ein. Im Schlaf hatte ich einen Traum. Ich träumte von der Schönheit, der Tiefe und der Einfachheit der Künste; und obwohl es nur ein Traum war, war mir auch sehr bewusst, wie schwer es sei, darin Hervorragendes zu leisten. Allmählich vermengten sich Wahn und Wirklichkeit, und es schien mir, ich sei das Fräulein Clairon. Trotz dieser Verwandlung war ich doch auch gleichzeitig ein wenig ich selbst – weder zu ihrem noch zu meinem Nachteil. Majestätisch durchschritt ich meine Kammer, befriedigt betrachtete ich mich in allen Spiegeln, die meine Wohnung schmückten. Es beeindruckte mich sehr stark, wie ich so dahinschritt, und ich gestand mir ein, dass mir das nur gelang, weil ich der Kunst kundig war, und es schien mir, dass ich, sollte ich diesen Gang noch einmal beginnen, einen anderen, einfacheren, sichereren Weg einschlagen sollte, einen, der vielleicht ebenso viel an Vorübung, aber mehr grundlegendes Verständnis und weniger Anstrengung erfordern würde.“364
Noch während Fräulein Clairon gedankenverloren durch ihre Wohnung wandert, melden sich zwei junge Männer an, die von der großen Schauspielerin unterrichtet werden wollen. Den einen schickt Herr Voltaire, den anderen Herr Monet, der ehemalige Direktor der Opera-comique. Ersterer übergibt einen Brief Voltaires, worin dieser die Clairon darum bittet, seinem Schützling mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Im weiteren Verlauf der Erzählung wird geschildert, wie Clairon in ihrer Unterweisung der jungen Herren vorgeht und wem von den beiden Schauspielschülern sie schließlich das größere Talent zusprechen wird.
Louise d’Épinay entfaltet in ihrem „Traum“ das pädagogisch-didaktische Programm einer zeitgemäßen Schauspielschule; die Gebote von Mademoiselle Clairon (Louise d’Épinay) dürften dabei ganz im Sinne Diderots gewesen sein. Die phantasierte „Ausbildung“ zum Schauspieler erfolgt in drei sich ergänzenden Schritten. In einem ersten Schritt hat sich sich der Schauspielschüler auf das historische Wissen zu konzentrieren, mit dessen Hilfe kann er zu einem besseren Verständnis der Rolle kommen. Um die Psychologie der verkörperten Figur zu erfassen, so das Gebot der erfahrenen Schauspielerin Clairon, ist immer eine gründliche Kenntnis der Geschichte notwendig.365 In einem zweite Schritt geht es dann darum, sich ein Modell zu eigen zu machen, sich mit der zu spielenden Figur zu identifizieren. Dabei helfen praktische Theatererfahrung, Sprachübungen und genaue Beobachtung. Die Entwicklung von Gesten und Haltungen darf sich jedoch nicht in bloßer Nachahmung und Imitation großer Schauspieler erschöpfen. Ebenso wichtig ist das Wissen um die Zusammenhänge. Der dritte Schritt kann diesen Trend dann nur noch vervollständigen. Bei der Unterweisung kommen auch die Schüler selbst zu Wort. So fragt ein Schüler, wie man sich denn nach einem Modell formen soll. Darauf antwortet die große Schauspielerin Clairon: „Comment, monsieur? Comme un peintre se représente la physionomie de ses personnages; avec du génie: le génie devine tout.“ Und wenn ich kein Genie habe, fragt der Schüler zurück. Darauf Clairon: „Dann verzichten Sie auf die Schauspielerei, mein Herr, oder Sie verzichten wenigstens darauf, ein guter Schauspieler zu sein; dann nämlich gestikulieren Sie, schreien Sie und werfen sich in Posen, biedern sich beim Parkett und bei den Logen an; und wenn Sie dann in gewissen Vierteln von Paris herumgehen, können Sie sich damit trösten, dass man Ihnen sagt, Sie seien besser als Caillot oder Kain, und Sie werden zuletzt davon überzeugt sein, dass Sie es wirklich sind, denn so gut kennt sich das Publikum aus und so leichtgläubig ist das Selbstwertgefühl.“366
Unter den „Traum“, den Dialog der Clairon mit ihren Schülern, hat Diderot in der Correspondance littéraire seiner Mitredakteurin Louise d’Épinay zunächst einmal ein Lob ausgesprochen: „Sie haben eben diesen Traum gelesen; eine Frau hat ihn verfasst, und ich muss nicht hinzufügen, dass es sich dabei um eine sehr geistvolle Frau handelt. Wer Fräulein Clairon kennt, wird darin ihren Tonfall wiederfinden, zum Verwechseln ähnlich. Was aber ihre grundsätzliche Meinung über die Kunst der Schauspielerei betrifft, so ist das absolut nicht dasselbe, und der Autor hat Grund zur Befürchtung, dass sie sich auch nicht an ein einziges Wort ihrer Unterhaltung mit dem Schützling von Herrn Monet erinnert.“ Diderot kann es sich nun nicht verkneifen, einige Internas über die Schauspieler Caillot und Kain zum Besten zu geben und er fährt fort: „Wahrscheinlich würde es sie kränken, wie dem bezaubernden Caillot hier Gerechtigkeit widerfährt, da sie, wie ich glaube, weit davon entfernt ist, ihm die Bedeutung zuzugestehen, die er verdient, und die er auch ohne sie in Anspruch nehmen wird. Was Kain betrifft, so hat dieser unsägliche Name nie ihren Mund besudelt; oder, um es weniger parteiisch auszudrücken, Herr Kain und Fräulein Clairon haben sich einer so freimütigen, so aufrichtigen und so tief verwurzelten Feindschaft befleißigt, dass sie unmöglich jemals einander gerecht werden können. Fräulein Clairon, die Caillot in Lyon spielen sah, bevor er nach Paris ging, wollte ihn an der Comédie-Francaise als Neuling für drittklassige Rollen engagieren, d.h., er hätte Tyrannen, verschmähte Liebhaber usw. spielen sollen.“367
Aus den Briefen Diderots, die er seiner Freundin Sophie Volland in der Zeit von Grimms Abwesenheit geschickt hat, lässt sich nicht erkennen, wie sich die Zusammenarbeit mit Louise d’Épinay, seiner Mitredakteurin und Mitautorin, gestaltet hat. Schaut man nur auf die Früchte ihrer gemeinsamen Arbeit für die Correspondance littéraire, scheint die Zusammenarbeit recht gut funktioniert zu haben. Es ist ein eigenes Kapitel wert, Diderots Frauenbild gegen d’Épinays zaghafte Emanzipationsversuche zu halten, wir wollen darauf zurückkommen.
Grimm war mit der Correspondance die Verpflichtung eingegangen, sie periodisch erscheinen zu lassen, er musste daher immer wieder auch seinen Freund zur Mitarbeit anstacheln, um genügend Beiträge zu bekommen. Er mahnte daher Diderot mit strengen Worten seiner Freundespflicht nachzukommen. Diderot antwortete bei aller berechtigten Empörung sehr freundschaftlich: „Eben empfange ich von Grimm die Mitteilung eines Tyrannen, die meine allzu zarte Seele verletzt. [...] er schreibt mir, ich brauche mit der Arbeit gar nicht zu Ende kommen, wenn sie nicht morgen fertig sei. Für diese unerbittliche Härte werde ich entschädigt sein, und zwar auf meine Weise. Ich habe gestern den ganzen morgigen Tag hereingearbeitet. Um neun bekommt er eine Riesenmenge Schriften.“368
Trotz vielfältiger Verpflichtungen gab Grimm bis 1773 die verantwortliche Herausgabe der Correspondance nicht aus der Hand. Warum er glaubte, an niemandem delegieren zu können, liegt an der besonderen Kommunikationsform der literarischen Korrespondenz, deren Vor- und Nachteile, deren Freiheiten und Zwänge Grimm sehr wohl kannte. Er sandte seine Korrespondenz nur an souveräne Fürsten, nur so glaubte er ein freies Urteil über die zeitgenössischen literarischen Ereignisse, Neuerscheinungen usw. abgeben zu können. In einem Brief an die Kurfürstin von Sachsen vom 10. März 1769 schreibt er: „Diese Arbeit hat nur Bestand, wenn sie mit allergrößter Nachsicht gelesen wird. In nichts anderem kann ihr Verdienst liegen, als darin, dass sie gedanklich und stilistisch eine ebenso unschuldige wie totale Freiheit entfaltet. Eben diese wesentliche Eigenschaft lässt mich hoffen, dass ihre königliche Hoheit niemals erlauben werde, dass diese Blätter verbreitet oder vervielfältigt werden.“369 Nicht jedem und nicht jeder konnte Grimm auf diese Weise schreiben, er kannte die Grenzen der Zumutbarkeit bei seinem Publikum sehr genau. Er weiß natürlich, dass nicht alle Prinzen und Prinzessinen den Geist der Aufklärung akzeptieren konnten und solche Abonnenten suchte er auch abzuwehren, andernfalls hätte er seine Mitteilungen filtern und reinigen müssen. Ohnehin suchte Grimm radikale Positionen gar nicht erst in sein Nachrichtenmagazin hineinkommen zu lassen. Grimm hatte daher Bedenken, die Correspondance seinem Freund Diderot ganz und ohne letzte Kontrolle zu überlassen. Sein Zögern und die manchmal schulmeisterlich wirkende Bewertung des Diderotschen Stils macht auf die charakterlichen Gegensätze zwischen den beiden unterschiedlichen Freunden aufmerksam. Und Grimm denkt auch an seine Leser, die über die Corresponance littéraire auch und vielleicht vor allem am französischen Lebensstil Orientierung suchten. Der Wille zur Nachahmung des französischen Vorbilds gehörte sicherlich zu den Hauptmotiven für den Empfang der neuesten Nachrichten aus der Weltkulturhauptstadt Paris.