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Gemeinsame Zielsetzung von Encyclopédie und Correspondance littéraire

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Enzyklopädie und Correspondance littéraire hatten eine gemeinsame Zielsetzung: die umfassende Verbreitung der Aufklärung in ganz Europa. Die Gedanken der Aufklärung hatten in Frankreich die gesellschaftlich führenden Schichten infiltriert und die französischen Aufklärer glaubten sich imstande, auch die übrigen europäischen Höfe für ihr Vorhaben zu gewinnen. „Grimm schwebte der damals weitverbreitete Gedanke eines Bundes zwischen den Philosophen und dem Herrscher vor; die Vorstellung eines „Gesellschaftsvertrages“ Rousseauscher Prägung blieb ihm fremd.“376

Wer heute sog. „Newsletter“377 verschickt oder empfängt, folgt ohne es zu wissen einem historischen Präzedenzfall: das Vorbild dafür ist Friedrich Melchior Grimms La Correspondance littéraire, philosophique et critique, einem Mitteilungsblatt über kulturelle Ereignisse, das die offiziellen Nachrichten ergänzte, wobei die Ergänzung oft darin bestand, auch Nachrichten zu verbreiten, welche die Zensurbehörde nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelassen hätte. Diderots Verhaftung und sein Gefängnisaufenthalt in Vincennes sprechen dafür, dass Vorsicht am Platze war, ein weiteres Beispiel für die Behinderung der öffentlichen Meinung durch die Zensur sind die fortdauernden Schwierigkeiten, unter denen die Veröffentlichung der Enzyklopädie zu leiden hatte. Für Grimms Unternehmen aber waren die Bedingungen so schlecht nicht. Einige Jahre lang war Chrétien-Guillaume de Lamoignon de Malesherbes Frankreichs Chefzensor. Er war 1750 zum Präsidenten des cour des aides, des Pariser Parlaments, ernannt und über seinen Vater mit der Kontrolle der Presse betraut worden. Malesherbes hielt Verbindung mit den literarischen Führern, insbesondere mit Denis Diderot und Friedrich Melchior Grimm und man kann wohl davon ausgehen, dass die „Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers“ ohne Malesherbes’ Hilfe wahrscheinlich nie veröffentlicht worden wäre. Als Oberzensor hatte er 1751 der Encyclopédie das königliche Privileg verliehen. Er hätte diesen Vorzug nicht gewähren müssen, da er das Werk auch stillschweigend hätte passieren lassen können. Noch aber gab es Dinge, die man aus Angst vor der Zensur oder mächtigen Männern des Ancien Régime besser nicht sagte oder gar der Öffentlichkeit in schriftlicher Form vorlegte und auf den Schutz Malesherbes’ allein konnte sich Grimm nicht verlassen. Grimm ließ seine Newsletter nicht drucken, er ließ sie mit der Hand kopieren und außerhalb Frankreichs verteilen – außer Reichweite des Zensors.

Die Correspondance littéraire: Zusammenfassung

Was war nun der Inhalt der Mitteilungen und was machte die Qualität dieser Feuilles de Grimm aus, um die sich die Adeligen, die Reichen und Gebildeten halb Europas bemühten? Die Correspondance war eine Zusammenstellung unterschiedlicher journalistischer Textsorten: gelehrte Artikel standen neben Anekdoten, Theaterrezensionen neben ganzen Theaterstücken, kulturkritische Abhandlungen neben witzigen Tagesbeobachtungen, naturwissenschaftlich Betrachtungen neben staatstheoretischen Erörterungen. Grimm wollte aktuelle philosophische, literarische und sozialkritische Beiträge vorstellen und dann beschreiben, welche Wirkung sie beim Publikum zeigten. Er behielt sich stets ein eigenes Urteil vor und nahm sich das Recht eine eigene Meinung vorzutragen. Er beauftragte Freunde aus dem Kreis der „Philosophen“ Artikel zu verfassen, seinen Freund Diderot brachte er dazu, über die jährliche Kunstausstellung, den Pariser Salon, zu berichten und Diderot kam dieser Pflicht in bewundernswerter Weise nach. Die Salonberichte gehörten zu den berühmtesten Beiträgen der Correspondance. Grimm, der sich nicht in allen Wissensgebieten gleich gut auskannte, ging bei der Rekrutierung von Gastschreibern sehr geschickt vor. Er nahm Fachartikel in seine Correspondance auf, die schon in anderen Journalen erschienen oder noch gar nicht veröffentlicht waren. Sein Beitrag war es, zu filtern, auszuwählen und kritisch zu kommentieren. Das Besondere an Grimms Correspondance aber war ihre Exklusivität, es kam ihm nicht darauf an, eine große Zahl von Abonnenten zu haben. Grimm wollte, um es mit den Worten von John Milton zu sagen, ein „fit audience, though few“. Im Unterschied zu Milton verstand Grimm unter „fitness“ allerdings ‚soziale Stellung’. Zu seinen Abonnenten zählten Aristokraten, Prinzen, Fürsten und Könige. Deren Interesse an Grimms Correspondance scheint eher persönlicher Art gewesen zu sein. Sie wollten wissen, was in Paris, der Weltkulturhauptstadt, so getrieben wurde; sie wollten aber auch aus politischem Eigeninteresse davon Kenntnis haben, was die führenden Köpfe der Aufklärung über Politik und die Natur der Dinge dachten. Sie wollten auch für den Fall vorbereitet sein, dass der Funke der Aufklärung auf den Rest Europas überspringen könnte.

Die meisten Mitteilungen der Correspondance hatten, auch wenn sie nicht von Grimms Hand stammten, eine ganz eigene, persönliche Note: sie waren keine offiziellen Veröffentlichungen, keine diplomatischen Depeschen, keine autorisierten Werke der Wissenschaft – sie waren vertrauliche, von kenntnisreichen und guten Freunden geschriebene Briefe. Sie berichteten über Neuigkeiten aus Kultur und Kunst, an die ihre Abonnenten sonst nicht herangekommen wären, jedenfalls nicht in dieser kommentierten Form. Sie erklärten, wie es jetzt Mode war zu denken, wie man bewerten sollte, was sich in der sich ständig wechselnden, dynamischen und ausgelassenen Pariser Kunst- und Kulturszene zutrug.

Grimms Correspondance hat nicht sehr viele Abonnenten gehabt, aber diejenigen, die sie in Empfang nehmen konnten, hatten am Tag der Lieferung einen erhöhten Pulsschlag auch wenn sie mit der Correspondance littéraire keinen persönlichen Brief in Händen hielten. Grimm trennte strikt zwischen seiner persönlicher Korrespondenz und seinem Periodikum, im gleichen Briefpaket konnte der Empfänger von Grimms Sendung also zwei verschiedene Textsorten zu gleichen Zeit enthalten.

Grimms Verzicht auf die Briefform hatte sowohl pragmatische als auch programmatische Gründe. Grimm wollte mit seinen Abonnenten keinen reziproken Austausch pflegen. In der Entindividualisierung sah er einen Schritt zu Autonomie, die Correspondance verstand sich als eine Dialoggemeinschaft der philosophes. Selbst in der äußeren Gestalt der Correspondance litteraire wird deutlich, dass Grimm mit dem Briefzeremoniell bricht: es fehlt die blumige Anrede eines fürstlichen Empfängers; dem Abonnenten wird vielmehr die Rolle eines stummen Rezipienten zugewiesen. Der Verzicht auf eine persönliche Ansprache verhindert eine persönliche Reaktion des Empfängers. Für diese Handlungseinschränkung aber wird der fürstliche Empfänger reich belohnt: er erhält ein unverstelltes Bild von prominentesten Vertretern der französischen Geisteselite und als exklusiver Adressat kann er sich nun selbst auch zu dieser Geisteselite zählen.378 Als eine Art Unabhängigkeitserklärung kann auch die äußere Gestalt der Correspondance littéraire gesehen werden. Grimm wählt eine mittlere Blattgröße von 230 x 185 mm. Die eng beschriebenen randlosen Blätter wirken alles andere als repräsentativ. Sie weichen vom geforderten Muster der „belle écriture“ ab und setzen damit die hierarchische Sender-Empfänger-Konstelleation außer Kraft - eine weitere Voraussetzung für eine unabhängige Berichterstattung.

Friedrich Melchior Grimm, ein Aufklärer aus Regensburg

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