Читать книгу Friedrich Melchior Grimm, ein Aufklärer aus Regensburg - Winfried Wolf - Страница 16
Exkurs: Wer ist der Autor? - oder - Vorteile der Anonymität
ОглавлениеBei vielen Beiträgen der Correspondance littéraire drängt sich mitunter die Frage auf: Hat das Friedrich Melchior Grimm geschrieben oder steckt ein anderer Autor dahinter? Wenn ein Absatz mit „J’étais ...“ beginnt, ist für die Zeit, da Grimm die alleinige Verantwortung für die Correspondance trug, anzunehmen, dass Grimm den Artikel selbst verfasst hat. Bei vielen Beiträgen ist die Autorschaft jedoch nicht auf den ersten Blick ersichtlich, es sei denn, er trägt eine Überschrift wie „Lettre de Voltaire au maréchal die Richelieu oder Fables et Contes moraux en vers, par Fontaine. Dankenswerterweise haben schon die ersten Editoren der Correspondance littéraire , später vor allem auch Maurice Tourneux (Paris 1877-1882), in Anmerkungen etwas Licht in die personellen Bezüge und in die Autorschaft der jeweiligen Beiträge gebracht, wenngleich bis heute die Editionssituation von Grimms Correspondance littéraire nicht befriedigen kann. Auf eine völlig neue Grundlage wird die Grimm-Forschung mit der auf 20 Bände projektierten Edition für die Zeit bis 1773 gestellt, die unter Leitung der erfahrenen Grimm-Spezialistin Ulla Kölving steht. Der Editionsarbeit liegt das vermutlich vollständigste und zuverlässigste Manuskript der Herzogin von Sachsen-Gotha zugrunde. An die Edition von Ulla Kölving knüpft sich auch die Hoffnung „Grimm als eine singuläre Denkerpersönlichkeit wiederzuentdecken, der ein ganz eigenes Medium philosophischer Reflexion entwickelt, einen fortlaufenden commentaire philosophique, der ein Zeitalter in Gedanken fasst.“370
Grimm hat mit seiner Correspondance littéraire vielen Autoren, an herausragender Stelle ist Denis Diderot zu nennen, eine Möglichkeit zur „Veröffentlichung“ gegeben. Manchmal schien diese diskrete Form der Veröffentlichung die einzige Möglichkeit zu sein, Zensur und Verfolgung zu umgehen. Diderot war Zeit seines Lebens von staatlicher Nachstellung bedroht. Dass ein großer Teil seiner Schriften nicht in Frankreich, sondern in Deutschland publik wurde, gehört zu den Eigentümlichkeiten, die dem bedeutendsten Vertreter der französischen Aufklärung widerfuhren. Wir wissen, dass Grimm „mit dem Rotstift“ Einfluss auf die Texte seiner Autoren nahm. Er änderte ab, entschärfte und schnitt Texte passgenau auf das gewählte Thema und seine Abonnenten zu und die Autoren mussten sich dies gefallen lassen, weil sie selbst keinen Einfluss auf die geheime Correspondance hatten. Grimm besprach Änderungen und Kürzungen nur dann mit seinen Autoren, wenn er ihnen nahe stand und wenn sie von Bedeutung waren. Böswillige Verdrehungen und Umkehrungen der Aussagen sind Grimm jedoch nicht anzulasten, er handelte in aller Regel als verantwortungsvoller Vermittler und Moderator.